Abenteuer Westkanada, einmal ganz anders
Beitrag zum Textwettbewerb 2023
Autor: Karl-Hans Kern
Abenteuer Westkanada, einmal ganz anders
6 Wochen abseits der Hauptstraßen unterwegs mit PKW, Zelt und Unterkünften
Vorwort
Unsere Reise startete am 5.9.23 in Calgary. Mit dabei ist unser aufblasbares Zweier Kajak, das uns an einsam gelegenen Seen Kanadas schon zu wunderschönen Plätzen gebracht hat. Diese Reise sollte für uns eine andere werden als bisher, wenn wir den Westen Kanadas besuchten. Ungewöhnliche Reiseziele, sechs Wochen Reisezeit und damit viel mehr Zeit an ausgewählten Orten bleiben zu können. Wir waren gespannt was das für uns bedeutet.
Nach dem Besuch der Badlands in Alberta und den sich hier befindlichen Reisezielen Horseshoe Canyon, Drumheller und dem Dinosaur Provincial Park, erfüllten wir uns einen lang ersehnten Wunsch, nämlich die Fahrt über die Forestry Trunk Road bis Hinton. Über Jasper und den Fishing Highway fuhren wir weiter nach Williams Lake, dem Versorgungszentrum der Cariboo Chilcotin Coast Region. Am Highway 20 legten wir an zwei unserer Sehnsuchtsorte einen längeren Zwischenstopp ein, um dann mit der letzten Fähre der Saison von Bella Coola aus nach Vancouver Island zu fahren. Dort sollte unsere Reise in Coal Harbour mit einem ebenfalls längeren Aufenthalt am Holberg Inlet ihren Abschluss finden. Von Nanaimo aus brachte uns die Fähre am 16.10.23 nach Tsawwassen und unseren letzten Abend genossen wir in Steveston.
Als wir 2009 das erste Mal den Westen des Landes besuchten, zog uns das Land in seinen Bann. Die majestätischen Rocky Mountains, die endlos scheinenden Wälder mit ihren versteckt liegenden Seen, die Spannung, was sich hinter der nächsten Kurve zeigen würde, wunderschöne Unterkünfte und herzliche Gastgeber sowie die Ruhe und die Gelassenheit und Freundlichkeit der Menschen faszinierten uns. Seitdem hat uns das Canadavirus infiziert. Mit unseren jährlichen Reisen nach Kanada lassen wir unsere Alltagshektik hinter uns. Wir genießen es abseits der Hauptstraßen und Touristenströme unterwegs zu sein, Neues für uns zu entdecken und aufzutanken, für die Zeit danach. British Columbia ist für uns inzwischen zu einem wirklichen Sehnsuchtsland geworden.
Reise in die Vergangenheit
Mit unserem Mietwagen starten wir am Flughafen Calgary und wir verlassen die Stadt Richtung Osten. Die Himmelsrichtungen bekamen in den Folgetagen noch ihre ganz besondere Bedeutung, denn die meist schnurgeraden Straßen durch die Prairielandschaft Albertas, sind mit Nummern und den Himmelsrichtungen markiert. Also aufpassen wo die Sonne auf- und untergeht. Es sollte hilfreich für uns sein.
Nach der ersten Nacht in einem Motel bei Strathmore führt uns unsere Fahrt Richtung Nordosten. Auf der Strecke liegt der Weiler Rosebud. Der Name war irgendwie in unserer Erinnerung hängen geblieben und wir brachten sie mit einem Film in Verbindung. Aber erst als wir in Rosebud eine Internetverbindung aufbauen konnten, lasen wir von Citizen Kane, dem Film Orson Welles von 1941, der aber im US amerikanischen Rosebud spielte.
Dennoch lohnte sich der Zwischenstopp. Die Geschichte des Weilers spielt an auf die offizielle Blume Albertas, die Rose. Die First Nations hatten den Ort den Namen gegeben, der so viel bedeutete wie „am Fluss der vielen Rosen“. Die Schönheit des Tals lies im Laufe der Jahre viele Naturliebhaber und Künstler hierherkommen. In den 80er Jahren entwickelte sich aus der Rosebud School oft he Arts ein Theater, das heute noch mit professionellen Schauspielern betrieben wird und das ganze Jahr über Programm bietet.
Von Rosebud bis zum Horseshoe Canyon sind es nur wenige Minuten Fahrzeit. Mit der Ankunft verbunden ist eine Zeitreise zurück in die Welt der Dinosaurier. Wind und Wasser ausgesetzte Landschaften mit ihren über Jahrtausende hin geformten Steinskulpturen erwarten uns. Das Wetter spielt mit auch wenn ein wenig Rauch der Waldbrände in der Luft hängt.
Wir kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Landschaft ist völlig anders als all das, was wir bisher im Westen gesehen haben. Das Auge schaut bis zum Horizont. Keine Berge, dafür aber durchziehen Canyon artige Einschnitte die Landschaft. Hügel durchlöchert von kleinen Höhlen, verziert mit Steinsäulen, so wie sie die Natur geschaffen hat, begleiten uns auf dem Weg durch den Canyon und lassen uns für zahlreiche Fotoaufnahmen innehalten. Vorherrschend sind Sandfarben, aufgelockert von wenigen Grasbüscheln, die ein wenig an eine Wüstenlandschaft erinnern.
Unvermutet tauchen auch kleine Wälder auf. Tannen und Gebüsch bilden Rückzugsorte für Rehe, Kojoten und andere Tiere Kanadas. Hinweisschilder machen auf Schlangen aufmerksam. Aber obwohl wir nahezu alleine auf den sich durch den Canyon schlängelnden Pfaden unterwegs sind können wir keine der Tiere beobachten.
Das über die Grenzen Kanadas hinaus berühmte Royal Tyrrell Museum bei Drumheller lassen wir links liegen. Als unsere Kinder klein waren, wäre das sicher ein absolutes Highlight einer Kanadareise für sie gewesen. Wir aber wollen heute noch die Drumheller Hoodoos bestaunen und dann weiter nach Brooks fahren, um am nächsten Tag den Dinosaur Provincial Park besuchen zu können.
Wieder sind es nur wenige Kilometer über den Highway 56 und 10 bis zu dem Parkplatz bei den Hoodoos. Beeindruckend ragen die Säulen mit ihren „Deckeln“ aus hartem Gestein in den Himmel. Die Wanderung abseits der installierten Treppen und markierten Pfade verlangt gutes Schuhwerk. Der Sand ist rutschig und die Wege zwischen den Felsen oft schmal. Wir bleiben daher auf halber Höhe stehen und genießen die untergehende Sonne, die in Verbindung mit der etwas diesigen Luft die Hoodoos in ein Traumlicht hüllt.
Am anderen Tag nehmen wir uns ausreichend Zeit für den Besuch des Dinosaur Provincial Park. Im Besucherzentrum mit seinen gewohnt freundlichen Bediensteten, erhalten wir die Landkarte mitsamt dem markierten Rundweg, den man mit dem eigenen PKW fahren kann. Von Haltebuchten aus lässt sich der Park wunderbar zu Fuß erkunden.
Auch hier ist die Landschaft spektakulär. Felsen, in die der Regen Rinnen eingeschnitten hat, zahlreiche kleine Höhlen und Hoodoos, Schautafeln, die einen Einblick in die Erdgeschichte geben und selbst für Fossilienjäger gibt es spezielle Pfade, an denen man sich als Indiana Jones erproben kann.
Als wir am nächsten Morgen Richtung Südwesten, in Richtung der Forestry Trunk Road aufbrechen, sind wir uns einig darüber. Die Prairie Albertas ist einen Besuch wert. Gewiss, die Landschaft ist anders als das, was man von einer Reise in den „Wilden Westen“ erwartet. Aber für alle diejenigen, die wie wir schon öfter das Land bereist haben, bieten die Badlands neue, unvergessliche Eindrücke.
Durch die Wildnis am Fuße der Rocky Mountains
Für die nächsten Tage war der Weg unser Ziel. Eine Übernachtung hatten wir nicht vorreserviert sondern wollten unseren Stopp von unserer Reiselust, dem Wetter und den Erlebnissen abhängig machen. Es funktionierte.
Entlang des Highway 3 im Süden Albertas sind wir mit Kanadiern unterwegs, weniger Touristen. Wir kommen zügig voran und können so bei Fort Macleod einen ersten Zwischenstopp einlegen. Für alle diejenigen, die sich ein wenig mit der jungen Geschichte des Landes befassen wollen, ist der Besuch der historischen Station der North West Mounted Police durchaus eine Empfehlung. Die historischen Gebäude und ein kleines Museum geben Einblick in die Besiedlung Albertas und des hohen Nordens und lassen ein wenig die Lebensumstände und Herausforderungen der damaligen Zeit erahnen.
Idyllisch wird es hingegen in Lundbreck. Hier zweigt eine kleine Straße vom Highway 3 zu den gleichnamigen Wasserfällen ab. Sie bieten ein zauberhaftes Fotomotiv und eignen sich gut dafür, sich ein wenig die Füße zu vertreten bevor es über den Highway 22 nach Norden geht.
Der Highway ist asphaltiert und führt durch eine sanfte Hügellandschaft vorbei an Weideflächen und Wäldern. Ab und an zeigen sich die Gipfel der Rocky Mountains im Westen und immer wieder zweigen Wege zu Ranches und Lodges ab. Als wir den Hinweis auf die „Historic Site Bar U Ranch“ sehen biegen wir ab und tauchen ein in das Ranchleben des vergangenen Jahrhunderts. Liebevoll sind die rot leuchtenden Hütten mit originalen Möbeln und Werkzeugen ausgestattet und in der Scheune riecht es nach Heu und Pferd. Mit etwas Fantasie hört man das Blöken von Rindern, glaubt Cowboys rufen zu hören und schmeckt den Staub auf der Zunge.
Inzwischen neigt sich die Sonne gen Horizont, so dass wir abbiegen zum Elbow Falls Provincial Park. Dort schlagen wir unser Nachtlager auf und am Lagerfeuer geht ein ereignisreicher Tag seinem Ende entgegen.
Heute ist es nun endlich soweit. Über das kleine Dorf im Western Stile, Bragg Creek, fahren wir weiter nach Norden und überqueren den Hwy 1. Ja, nach Westen wären es nur wenige Kilometer bis Canmore und Banff. Trotz der durchaus vorhandenen Anziehungskraft dieser Namen bleiben wir auf unserer Route und erreichen den Abzweig des Highway 40, die Forestry Trunk Road.
Es sind die Geschichten, die sich um diese Straße am Fuße der Rocky Mountains ranken. Eine raue gravel road, Schlaglöcher, Bären und einsame Campgrounds heißt es allenthalben in Internetforen. Wir sind gespannt. Mit Hilfe des Backroad Mapbooks der Region haben wir unser erstes Tagesziel gefunden, die Bighorn Falls bei der Ya Ha Tinda Ranch.
Zunächst verläuft die Straße durch noch dicht besiedeltes Gebiet. Sie ist asphaltiert aber das soll sich ändern. Die Herbstfarben beginnen sich hier schon zu zeigen. Erste Blätter sind gelb gefärbt und geben der Landschaft ihren Reiz. Je tiefer wir eintauchen in die Einsamkeit am Fuße der Rockies, umso beeindruckender wird das Landschaftsbild.
Inzwischen sind wir auf gravel unterwegs. Die Straße ist breit, lässt sich gut fahren und immer wieder weisen Schilder auf den Verlauf des Highways und Abzweigungen in die Dörfer der Umgebung hin. Über Flussläufe und dichte Wälder verläuft die Straße kilometerweit. Seit gut einer Stunde sind wir niemandem mehr begegnet. Immer wieder kontrollieren wir die Landkarte und unseren Standort. Internet gibt es hier in der Einsamkeit nicht.
Wir hätten uns nicht sorgen müssen. Der Abzweig zur Ya Ha Tinda Ranch ist gut ausgezeichnet. Wider Erwarten kommen uns auf diesem Teilstück der Straße Fahrzeuge entgegen, beladen mit Heu oder Trucks mit 5th wheel Campern im Schlepp. Die Landschaft ist grandios. Wenn sich der Wald öffnet kann der Blick über das Tal des Red Deer River schweifen und die Berge wachsen ständig weiter himmelwärts. Immer wieder halten wir an um für einen Moment den Blick zu genießen.
Am Eingangstor der Ya Ha Tinda Ranch erfahren wir, dass es sich um eine Ranch unter der Leitung von Parks Canada handelt. Hier werden Pferde gehalten und trainiert, damit sie den Park Rangern bei ihrer Arbeit zur Verfügung stehen können. Ein kostenloser Campground findet sich hier ebenfalls und direkt gegenüber, fast ein wenig versteckt, liegt der Trailhead zu den Bighorn Falls.
Ein schmaler Pfad führt zunächst entlang des Flusses und dann steil nach oben. Das Wasser hat sich hier seinen Weg durch die Felsen gegraben, die scharfkantig und steil den Fluss begrenzen. Wir sind alleine unterwegs. Trillerpfeife und Bärenspray haben wir auch bei kurzen Wanderungen durch die Wildnis immer dabei und anders als bei Spaziergängen in Deutschland singen, rufen und klatschen wir hier immer wieder, um anwesende Tiere schon frühzeitig auf uns aufmerksam zu machen.
Der Fluss führt nach dem trockenen Sommer wenig Wasser. Dennoch sind die Wasserfälle Lohn für die lange Anfahrt und den steilen Weg nach oben. Die Farben der Wiesen und Wälder leuchten trotz der Wolken am Himmel. Und fast ein wenig unwirklich sehen wir hinter einer Baumgruppe am Wasserfall plötzlich Reiter mit Cowboyhüten auf ihren Pferden hervorkommen. Wir sind im „Wilden Westen“ angekommen.
Schon spät am Nachmittag erreichen wir unsere Unterkunft in Rocky Mountain House. Wir sind fasziniert vom Clearwater Country und freuen uns schon auf den nächsten Morgen. Die Ram Falls und Nordegg sind die Ziele und wenn wir es zeitlich schaffen, winkt noch eine Paddeltour auf dem Fairfax Lake im gleichnamigen Provincial Park.
Wir sind früh wach und starten bei Sonnenaufgang Richtung Forestry Trunk Road. Über den Flüssen und kleinen Seen entlang des 752 Highways liegt noch Nebel. Eine Büffelherde weidet ruhig hinter einem Holzzaun und Rehe äsen am Straßenrand.
Mit dem Erreichen der Forestry Trunk Road steigt wieder unsere Anspannung. Was uns wohl heute erwartet? Wenn es so etwas gäbe wie eine Steigerung von „wunderschöner Landschaft“, dann wäre es jetzt dafür an der Zeit. Die Wiesen übersät von rötlich schimmernden Büschen, durchzogen von Flussläufen, satt grüne Wälder und am Horizont die Berge der Rocky Mountains. Minutenlang stehen wir am Straßenrand, atmen die klare Luft, hören die Stille und genießen den Blick auf das, was die Natur uns hier bietet.
Am Parkplatz der Ram Falls stehen nur zwei Fahrzeuge und auf der Wiese am Eingang grasen Bighorn Schafe. Vorbei am Campground des Provincial Parks führt der gut markierte Weg zu den Wasserfällen. Der Blick von der Aussichtsplattform auf den Ram River und die Fälle ist grandios. Die rötlich schimmernden Felswände sind wie ein Hufeisen geformt, an dessen oberen Ende das Wasser in die Tiefe stürzt. Wir können uns nicht satt sehen.
Über Nordegg und entlang des Blackstone River erreichen wir am Nachmittag den Fairfax Lake Provincial Park. Ein weiträumiger Stellplatz mitten im Wald und dennoch nicht weit zum See ist heute unsere Station. Wir packen zum ersten Mal unser Boot aus, um den See zu erkunden. Eine Gruppe First Nation, die ihrerseits mit Kanus unterwegs sind, bitten uns um einige Fotoaufnahmen. Dem kommen wir gerne nach. Und dann sind wir auf dem See unterwegs und nur das Plätschern der eintauchenden Paddel begleitet uns.
Das letzte Stück der Forestry Trunk Road führt uns nach Hinton. Doch zuvor ändert sich das Landschaftsbild. Die Berge der Rocky Mountains kommen näher aber die Wiesen wechseln sich ab mit Minen und Bergbauanlagen. Straßen sind gesperrt oder nur für LKW und Gerät der Bergbaugesellschaften freigegeben. Nach dem Einchecken in unsere Unterkunft freuen wir uns deshalb darauf, mit der Weiterfahrt über den Hwy 40 nach Norden zum William A. Switzer Provincial Park zu gelangen. Hier erwartet uns wieder unberührte Natur und die Weite und Ruhe die wir an Kanada so schätzen.
Nach ausgiebigen Paddeltouren auf dem Gregg Lake, dem dritten der Seen im Park sowie den Seen des weiter im Norden liegenden Pierre Grey´s Provincial Park, endet unser Aufenthalt hinter den Rocky Mountains. Nun erwartet uns ein weiteres, außergewöhnliches und auch von uns erstmalig besuchtes Reiseziel.
Doch bis dorthin sind es noch zwei Tage Fahrt. Ohne längeren Aufenthalt durchfahren wir Jasper. Und obwohl wir hier nicht bleiben werden ist ein Tagespass eine „Pflicht“. Zu grandios, zu spektakulär zu majestätisch ist hier die Landschaft um einfach nur durchzufahren. Hier begegnen uns auch die Wapitis, die von Jasper nicht wegzudenken sind. Und trotzdem setzen wir unsere Fahrt am frühen Nachmittag fort. Über Clearwater bis zum Fishing Highway bei Little Fort ist es ein langer Fahrtag. Morgen wollen wir über Williams Lake und den Highway 20 bis zum Nimpo Lake gelangen, der ehemaligen „Hauptstadt“ der Wasserflugzeuge.
Nuk Tessli-Wind aus Westen
Der Wind bläst heftig aus Westen, die Wellen des Whitton Lake sind von weißen Schaumkronen geziert. Das ist Natur pur. Nuk Tessli, in der Sprache der First Nation „Wind aus Westen“ bedeutend, ist Anziehungspunkt für Outdoorbegeisterte insbesondere aus Kanada, Europa und Israel. Wer hierher kommt, hat sich bewusst eingelassen auf die Wildnis Kanadas. Und dafür wird er belohnt. Der Chilcotin ist ein Tipp“ für alle diejenigen, die sich abseits der ausgetretenen Pfade bewegen möchten.
Dieser Auszug aus unserem Reisetagebuch beschreibt Berghütten, die auf rund 1600 Metern Höhe zwischen Charlotte Lake und dem Monarch Icefield im Küstengebirge des Chilcotin in British Columbia liegen. Hierher sind wir mit dem Wasserflugzeug vom Nimpo Lake aus gelangt. Die Tourismusorganisation in Williams Lake hatte immer wieder für dieses einsame Resort geworben und wir haben uns darauf eingelassen.
Drei Blockhütten im Stile der Berghütten in den Alpen bieten Platz für bis zu fünfzehn Personen. Alle Hütten verfügen über eine eigene Toilette sowie eine Dusche mit fließend kaltem und warmem Wasser. Sie werden nur dann voll belegt, wenn sich die Leute kennen und als Gruppe die Hütten buchen. Ansonsten stehen sie auch für Paare oder Familien zur Verfügung. Im ebenfalls als Blockhütte gebauten Haupthaus, mit gemütlich eingerichtetem Aufenthaltsraum und Esszimmer, werden die Gäste mit typisch kanadischem Frühstück samt Müsli und Obst und einem abwechslungsreichen und internationalen Abendessen versorgt. Für die Outdooraktivitäten während des Tages können sich die Gäste Sandwiches aus selbst gebackenem Brot zubereiten.
Doch es hält uns nicht in unserer Blockhütte. Wir wollen hinaus in die Natur und die grandiose Landschaft und die von Gletschern gezierte Berge aus der Nähe spüren. Die Wanderwege rund um die Hütten sind gut markiert und führen in unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen hinauf in alpine Landschaften mit fantastischen Blicken über die Bergwelt des Küstengebirges. Andere Routen wiederum verlaufen rund um den See oder zu Buchten die einladen zum Innehalten und die Seele baumeln zu lassen. Wenn der Wind sich beruhigt, und der Tag sich seinem Ende zuneigt, lädt der See zum Paddeln ein. Dann ist das Plätschern des Wassers beim Eintauchen der Paddel das einzige Geräusch und zwischen den vorgelagerten Inseln lässt es sich anlanden und die untergehende Sonne genießen.
Mit unserer Sehnsucht nach Ruhe und Abgeschiedenheit in unserem Urlaub ist auch der Ursprung Nuk Tesslis eng verbunden. Das erfahren wir aus Gesprächen mit den aus Israel stammenden Besitzern des Resorts. Die erste Blockhütte entstand nämlich durch die Arbeit einer charakterstarken und mutigen Frau, der Engländerin Chris Czajkowski. Sie emigrierte 1979 nach Kanada und erwanderte das Gebiet des West Chilcotin. Dort erbaute sie Ende der 1980er-Jahre in tiefster kanadischer Wildnis, auf sich alleine gestellt, die erste Blockhütte am Whitton Lake. Über das Leben und Arbeiten in der kanadischen Wildnis veröffentlichte sie ein Tagebuch, was sie zur Bestsellerautorin machte.
Und auch der aus Israel stammende Käufer der Hütte und heutige Besitzer Nuk Tesslis verfügt über außergewöhnliche Verbindungen zur Natur und den Herausforderungen der kanadischen Wildnis und Einsamkeit. Doron Erel war der erste Israeli, der 1992 den Gipfel des Mount Everest erklomm. 2011 erwarb er die Berghütte und betreibt seither mit seiner Frau und zwei seiner Söhne, gemeinsam mit Volunteers aus allen Ländern der Erde, das Wanderparadies im Chilcotin.
Einen Höhepunkt des Aufenthaltes hier war für uns die Gletscherwanderung am Ape Lake. Lange hatten wir darauf gespart und wenn man schon einmal hier ist, muss man sich diesen Ausflug gönnen. Wie schon bei der Anreise mit dem Wasserflugzeug von Tweedsmuir Air am Nimpo Lake, startet auch hier unser Abenteuer mit dem Wasserflugzeug. In einem halbstündigen Flug durch die Gebirgs- und Gletscherwelt, wurden wir am Ape Lake abgesetzt. Unter fachkundiger Führung von Sela, einem der Söhne der Familie, erklommen wir mit zwei weiteren Gästen aus Vancouver die Gletscherlandschaft. Es ist eine einzigartige, fast unwirkliche, felsige Landschaft über die sich grandiose Gletscher mit Eishöhlen und Gletscherseen ziehen. So nahe eintauchen zu können in erdgeschichtliche Entwicklungen, die Natur und Umwelteinflüsse erfahren und erleben zu können, ist ein Erlebnis das uns prägte und tief berührte.
Nach vier Nächten und wunderschönen Erlebnissen kehrten wir fast ein wenig wehmütig zurück zum Nimpo Lake. Dort übernahmen wir wieder unseren PKW und noch voller Eindrücke steuerten wir unser nächstes Ziel an, die Terra Nostra Guest Ranch bei Kleena Kleene.
Auszeit für die Seele
Mit der Fahrt durch das Gatter der Ranch öffnet sich vor uns „paradiesisches“. Es ist der Blick auf die Pferdeweide, am Horizont begrenzt vom Clearwater Lake und den Ausläufern der Coast Mountains. Es ist die Weite, die Ruhe und die Lage in der Einsamkeit einer grandiosen und oft noch wenig erschlossenen Landschaft, die uns seit Jahren an diesem Ort fasziniert. Eine Faszination, die wir nicht mit Touristenmassen teilen müssen, sondern sie abseits der ausgetretenen Pfade alleine für uns genießen können.
Nicht ganz alleine. Denn natürlich kommen auf die von Corinne und Christoph aus der Schweiz geführten Pferderanch Gäste vor allem aus Europa aber seit der Corona Pandemie auch verstärkt aus Kanada. Beim gemeinsamen Frühstück oder Abendessen bieten sich zahlreiche Gelegenheiten um sich auszutauschen über Reiseziele, sich Tipps zu geben oder einfach einmal wieder in der Muttersprache reden zu können.
Wenn der Tag aber begonnen hat wird es ruhig. Jeder Gast hat andere Pläne. Und für viele sind die Pferde ein Anziehungspunkt. Sie bewegen sich hier frei und sind Teil der Ranchfamilie. Weil wir selber keine Reiter sind kamen wir ins Gespräch mit einer jungen Frau aus dem Schwäbischen. Sie sei gerade hierhergekommen, weil sie ausreiten, sich mit Pferden auf natürlichem Boden in der Wildnis Kanadas bewegen möchte. Und das ist hier möglich. Bewusst weist Corinne darauf hin, dass Reiten in der Wildnis mehr verlangt als reiten zu können. Die Wege führen über Wurzeln und Steine, durch Bäche und über Stege und das muss beherrscht werden bevor im Galopp über Sanddünen ausgeritten werden kann.
Wir zogen es vor über den Clearwater Lake zu paddeln. Wenn der See ruhig liegt und selbst wenn sich die Sonne nicht am Himmel zeigt, ist paddeln in der Natur Kanadas für uns immer ein Erlebnis. Wir fahren am Ufer entlang, achten auf Bewegungen und Geräusche und mit etwas Glück konnten wir schon Elche am Ufer grasen sehen.
10 Tage bleiben wir zu Gast bei den Beiden. So bleibt uns ausreichend Zeit um die Gegend zu erkunden. Die Fahrt zum Big Stick Lake, unweit der Ranch gelegen, ist wegen der gravel road zwar eine kleine Herausforderung aber sie lohnt. Der See verfügt über einen Sandstrand, der im Sommer sicher zum Baden einlädt. Jetzt aber, Ende September warteten wir hier eher auf Elche und Bären. Und wir hatten Glück. Gemütlich schlendert ein Schwarzbär über die Straße, verweilt ein wenig auf der Wiese und zieht sich dann in den Wald zurück.
Ein besonderes Erlebnis war die Fahrt im Viersitzer Quad, zu der uns Christoph nach dem Frühstück einlud. Durch den Wald, über umgestürzte Bäume und kleine Felsen fuhren wir ins Tal der Kliniklina Falls. Hierher kommt niemand, der sich nicht auskennt. Und das, obwohl die Wasserfälle über einen Wow Effekt verfügen. Tosend stürzen sich die Wassermassen hinab und hier haben wir dieses Naturschauspiel für uns alleine.
Als sich der Tag des Abschieds nähert, sind wir uns sicher, dass wir wieder kommen werden. Es hat sich inzwischen eine Freundschaft mit Corinne und Christoph entwickelt und die wollen wir auch über die Entfernung hin weiter pflegen.
Überraschung: Nordlichter in BC
Die letzte Zwischenstation vor der Fährfahrt nach Vancouver Island ist das Escott Bay Resort am Anahim Lake. Hier haben wir eine Cabin mit Holzofen und Küche direkt am See gelegen. Alleine der morgendliche Blick bei Sonnenaufgang auf den See ist ein Erlebnis. Minütlich wechseln die Farben von zart Rosa nach Rot, Orange und dann weicht der Nebel der Sonne.
Mit paddeln auf dem See und Ausflügen auf dem Highway 20 bis zum Tweedsmuir Provinical Park, vergehen die Tage wie im Flug. Da sich nur wenige Wolken am Himmel zeigen, ist die Nacht wie geschaffen für Fotoaufnahmen des einzigartigen Sternenhimmels. Mein Stativ im Koffer und mit Fleece und Jacke gegen die kühlen Abendtemperaturen geschützt, versuchte ich jeden Abend mein Glück. Und welch eine Überraschung. Auch wenn ich sie noch nicht gleich als solche erkannt habe, zeigte mir die Kamera eine grünliche Färbung am Himmel-NORDLICHTER! Ich konnte unser Glück nicht fassen, lockte meine Frau aus der warmen Cabin und gemeinsam konnten wir das Himmelsschauspiel genießen.
Die kleine Inside Passage
Ende September verlässt die letzte direkte Fähre Northern Sea Wolf Bella Coola nach Port Hardy. Wir hatten sie über SK Touristik schon frühzeitig gebucht. Heute aber ist sie nicht ausgebucht. Wohnmobile und PKWs werden am frühen Morgen gegenüber des Supermarkt in Bella Coola eingecheckt. Wir sind um 6.00 Uhr da und können nach rund 90 Minuten zur Fähre im Hafen fahren.
Wir waren schon öfter in der Fjordlandschaft des Regenwaldes unterwegs. Und doch ist die Fahrt mit der Fähre immer etwas Besonderes. Selbst bei Wolken am Himmel bieten sich Naturschauspiele die ihresgleichen suchen. Alleine das Morgenlicht, das mit dem Ablegen der Fähre seine Farbe ändert, die sich am Horizont zeigenden Gletscher, der emporsteigende Nebel und dann…die Delphine und Wale. Nein, sie gehören nicht zum garantierten Programm der Überfahrt. Aber auch dieses Mal konnten wir die Buckelwale atmen und ihre Flossen beim Abtauchen aufschlagen sehen. Es bleibt immer wieder ein atemberaubendes Erlebnis.
Weil es auf dem offenen Meer ein wenig zu windig war, wählte der Kapitän eine Route entlang der Festlandküste. Vorbei an unzähligen Inseln, zwischen denen sich Fischerboote und erneut Buckelwale tummelten, näherten wir uns Port Hardy. Mit etwas Verspätung erreichten wir nach rund 10 Stunden überfahrt den Hafen und damit die Insel Vancouver Island.
Die Wale atmen hören
Die letzte Station unserer diesjährigen Reise war Coal Harbour am Holberg Inlet. Eine Ferienwohnung mit fantastischem Blick auf das Meer war unser Aufenthaltsort. Unsere beiden Gastgeber, ein Ehepaar in unserem Alter, machten unseren Aufenthalt zu einem unvergesslichen Erlebnis. Er war in jüngeren Jahren Koch des kanadischen Olympiateams und renommierter Hotels in den USA und später Nanaimo. Und das durften wir nahezu täglich erfahren.
Frisch gefangene Krabben und Shrimps, Soufflé und frisch gepflückte Beeren wurden uns immer mal wieder auf unseren Tisch gestellt. Wir wollten eigentlich die letzten Tage unserer Reise nutzen, um überflüssige Pfunde abzubauen. Das gelang uns aber nicht und das obwohl wir hier aktiv wurden.
Denn was bietet sich an, wenn man am Meer die Kajaks der Unterkunft jederzeit kostenlos nutzen kann und wir aus Erzählungen wissen, dass plötzlich Wale auftauchen oder sich Schwarzbären am Ufer zeigen können? Natürlich, Paddeltouren auf dem Meer entlang des Ufers. Gut dass es auch Einer-Kajaks gab. Denn meine Frau wollte nicht morgens um 7.00 Uhr bei Nebel oder einer leichten Brise die Wärme des Betts mit dem Boot tauschen. Und so blieb es mir vorbehalten, diese einzigartigen Naturmomente zu erleben.
Nein, ein Wal ist mir im Kajak nicht begegnet, dafür aber eine Bärenmutter mit ihren zwei Jungen. Sie trotten gemütlich am Ufer entlang und suchten nach Muscheln und anderem essbaren. Und da wir davon ausgingen, dass die Bären auch am späten Nachmittags unterwegs sein würden, machten wir uns zu Zweit auf den Weg über das Wasser. Wir hatten Glück. Fast an der gleichen Stelle tauchte die Bärenfamilie wieder auf und wir konnten sie minutenlang aus sicherer Entfernung beobachten.
Ein weiteres Abenteuer mit Gänsehautcharakter aber gab es am nächsten Tag und zwar in der Dunkelheit. Wir hatten tagsüber auf der gegenüberliegenden Seite des Inlet zwei Buckelwale atmen sehen. Und als es dunkel wurde, und in der Ferne Kinder lachten und die Nachbarn Thanksgiving feierten, war es am Ufer nahezu feierlich still. Aber sie waren zu hören, die Wale. Sie atmeten und es klang, als würden die Meereskolosse direkt vor uns ruhen. Die Nachbarin hatte meine Taschenlampe gesehen und flüsterte mir zu, hörst Du sie? Fast kamen mir die Tränen der Rührung. Dieses Geräusch werde ich nicht mehr vergessen.
An einem der sonnigen Tage entschieden wir uns nach Port McNeill zu fahren und dort die Fähre nach Malcom Island zu nehmen. Schon alleine die Fahrt durch die saftig grünen Wälder der Insel sind ein Erlebnis. Die Fahrt mit der Fähre toppt dies aber noch. Eine knappe halbe Stunde dauert die Überfahrt nach Sointula. Mit dem Anlegen am Hafen kommt automatisch die der Insel eigene Ruhe und Gelassenheit. Man grüßt sich, keines der wenigen Autos fährt schnell, Fußgänger haben wie immer Vorfahrt und so manche Häuserfront lässt künstlerisch ambitionierte Bewohner vermuten.
Wir entscheiden uns für einen Besuch des Bere Point Regional Parks auf der Nordseite der Insel. Über eine 6 Kilometer lange gravel road gelangen wir zu einem wunderschön gelegenen Park samt Campground. Sofort fällt der Blick auf die Bergkette des Küstengebirges und deren Schnee bedeckten Gipfel. Ein breiter Stein und Sandstrand zieht sich entlang der Insel und kleine Pfade führen zum dortigen Campground.
Jeder Stellplatz ist kunstvoll mit dem angeschwemmten weiß grauen Holz gestaltet, abgegrenzt oder verziert. Mit bemalten Steinen wurden Brettspiele gestaltet und zur Nutzung hingestellt. Heftig weht der Wind von der Seeseite her so dass Blätter aufgewirbelt werden und Gischt am Ufer schäumt. Sollten wir je mit einem Wohnmobil wieder in der Gegend unterwegs sein, wäre dieser Campground sicher eine Anlaufstelle für uns.
Der Abschied von Michelle und Stephen, unseren Gastgebern, fällt uns schwer. Noch einmal kocht Stephen für uns nahezu typisch deutsch. Nämlich Rotkraut, Klöße und Truthahn in Soße. Wir vier sind uns alle einig, dass dies zwar das Ende unseres Urlaubes aber der Beginn einer Freundschaft über Kontinente hinweg sein wird.
Früh um 6.00 Uhr verlassen wir Coal Harbour in Richtung Duke Point Ferry Terminal. Wir haben die Fähre nach Tsawwassen vorgebucht und können so entspannt auf die Abfahrt warten. Die Überfahrt verläuft ruhig und auch wir Beide sind eher schweigsam. Jeder hängt seinen Gedanken nach und beginnt sich darauf einzustellen wieder zuhause anzukommen.
Zuhause? In diesen sechs Wochen sind Orte und Menschen in Kanada fast wie ein zweites Zuhause für uns geworden. Wir sind uns sicher. Wenn wir gesund bleiben und das Leben es uns ermöglicht, dann kommen wir wieder in unser Sehnsuchtsland British Columbia.
Oktober 2023, Lampertheim
Karl-Hans Kern
Beitrag zum Textwettbewerb 2023
Autor: Karl-Hans Kern
Abenteuer Westkanada, einmal ganz anders
6 Wochen abseits der Hauptstraßen unterwegs mit PKW, Zelt und Unterkünften
Vorwort
Unsere Reise startete am 5.9.23 in Calgary. Mit dabei ist unser aufblasbares Zweier Kajak, das uns an einsam gelegenen Seen Kanadas schon zu wunderschönen Plätzen gebracht hat. Diese Reise sollte für uns eine andere werden als bisher, wenn wir den Westen Kanadas besuchten. Ungewöhnliche Reiseziele, sechs Wochen Reisezeit und damit viel mehr Zeit an ausgewählten Orten bleiben zu können. Wir waren gespannt was das für uns bedeutet.
Nach dem Besuch der Badlands in Alberta und den sich hier befindlichen Reisezielen Horseshoe Canyon, Drumheller und dem Dinosaur Provincial Park, erfüllten wir uns einen lang ersehnten Wunsch, nämlich die Fahrt über die Forestry Trunk Road bis Hinton. Über Jasper und den Fishing Highway fuhren wir weiter nach Williams Lake, dem Versorgungszentrum der Cariboo Chilcotin Coast Region. Am Highway 20 legten wir an zwei unserer Sehnsuchtsorte einen längeren Zwischenstopp ein, um dann mit der letzten Fähre der Saison von Bella Coola aus nach Vancouver Island zu fahren. Dort sollte unsere Reise in Coal Harbour mit einem ebenfalls längeren Aufenthalt am Holberg Inlet ihren Abschluss finden. Von Nanaimo aus brachte uns die Fähre am 16.10.23 nach Tsawwassen und unseren letzten Abend genossen wir in Steveston.
Als wir 2009 das erste Mal den Westen des Landes besuchten, zog uns das Land in seinen Bann. Die majestätischen Rocky Mountains, die endlos scheinenden Wälder mit ihren versteckt liegenden Seen, die Spannung, was sich hinter der nächsten Kurve zeigen würde, wunderschöne Unterkünfte und herzliche Gastgeber sowie die Ruhe und die Gelassenheit und Freundlichkeit der Menschen faszinierten uns. Seitdem hat uns das Canadavirus infiziert. Mit unseren jährlichen Reisen nach Kanada lassen wir unsere Alltagshektik hinter uns. Wir genießen es abseits der Hauptstraßen und Touristenströme unterwegs zu sein, Neues für uns zu entdecken und aufzutanken, für die Zeit danach. British Columbia ist für uns inzwischen zu einem wirklichen Sehnsuchtsland geworden.
Reise in die Vergangenheit
Mit unserem Mietwagen starten wir am Flughafen Calgary und wir verlassen die Stadt Richtung Osten. Die Himmelsrichtungen bekamen in den Folgetagen noch ihre ganz besondere Bedeutung, denn die meist schnurgeraden Straßen durch die Prairielandschaft Albertas, sind mit Nummern und den Himmelsrichtungen markiert. Also aufpassen wo die Sonne auf- und untergeht. Es sollte hilfreich für uns sein.
Nach der ersten Nacht in einem Motel bei Strathmore führt uns unsere Fahrt Richtung Nordosten. Auf der Strecke liegt der Weiler Rosebud. Der Name war irgendwie in unserer Erinnerung hängen geblieben und wir brachten sie mit einem Film in Verbindung. Aber erst als wir in Rosebud eine Internetverbindung aufbauen konnten, lasen wir von Citizen Kane, dem Film Orson Welles von 1941, der aber im US amerikanischen Rosebud spielte.
Dennoch lohnte sich der Zwischenstopp. Die Geschichte des Weilers spielt an auf die offizielle Blume Albertas, die Rose. Die First Nations hatten den Ort den Namen gegeben, der so viel bedeutete wie „am Fluss der vielen Rosen“. Die Schönheit des Tals lies im Laufe der Jahre viele Naturliebhaber und Künstler hierherkommen. In den 80er Jahren entwickelte sich aus der Rosebud School oft he Arts ein Theater, das heute noch mit professionellen Schauspielern betrieben wird und das ganze Jahr über Programm bietet.
Von Rosebud bis zum Horseshoe Canyon sind es nur wenige Minuten Fahrzeit. Mit der Ankunft verbunden ist eine Zeitreise zurück in die Welt der Dinosaurier. Wind und Wasser ausgesetzte Landschaften mit ihren über Jahrtausende hin geformten Steinskulpturen erwarten uns. Das Wetter spielt mit auch wenn ein wenig Rauch der Waldbrände in der Luft hängt.
Wir kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Landschaft ist völlig anders als all das, was wir bisher im Westen gesehen haben. Das Auge schaut bis zum Horizont. Keine Berge, dafür aber durchziehen Canyon artige Einschnitte die Landschaft. Hügel durchlöchert von kleinen Höhlen, verziert mit Steinsäulen, so wie sie die Natur geschaffen hat, begleiten uns auf dem Weg durch den Canyon und lassen uns für zahlreiche Fotoaufnahmen innehalten. Vorherrschend sind Sandfarben, aufgelockert von wenigen Grasbüscheln, die ein wenig an eine Wüstenlandschaft erinnern.
Unvermutet tauchen auch kleine Wälder auf. Tannen und Gebüsch bilden Rückzugsorte für Rehe, Kojoten und andere Tiere Kanadas. Hinweisschilder machen auf Schlangen aufmerksam. Aber obwohl wir nahezu alleine auf den sich durch den Canyon schlängelnden Pfaden unterwegs sind können wir keine der Tiere beobachten.
Das über die Grenzen Kanadas hinaus berühmte Royal Tyrrell Museum bei Drumheller lassen wir links liegen. Als unsere Kinder klein waren, wäre das sicher ein absolutes Highlight einer Kanadareise für sie gewesen. Wir aber wollen heute noch die Drumheller Hoodoos bestaunen und dann weiter nach Brooks fahren, um am nächsten Tag den Dinosaur Provincial Park besuchen zu können.
Wieder sind es nur wenige Kilometer über den Highway 56 und 10 bis zu dem Parkplatz bei den Hoodoos. Beeindruckend ragen die Säulen mit ihren „Deckeln“ aus hartem Gestein in den Himmel. Die Wanderung abseits der installierten Treppen und markierten Pfade verlangt gutes Schuhwerk. Der Sand ist rutschig und die Wege zwischen den Felsen oft schmal. Wir bleiben daher auf halber Höhe stehen und genießen die untergehende Sonne, die in Verbindung mit der etwas diesigen Luft die Hoodoos in ein Traumlicht hüllt.
Am anderen Tag nehmen wir uns ausreichend Zeit für den Besuch des Dinosaur Provincial Park. Im Besucherzentrum mit seinen gewohnt freundlichen Bediensteten, erhalten wir die Landkarte mitsamt dem markierten Rundweg, den man mit dem eigenen PKW fahren kann. Von Haltebuchten aus lässt sich der Park wunderbar zu Fuß erkunden.
Auch hier ist die Landschaft spektakulär. Felsen, in die der Regen Rinnen eingeschnitten hat, zahlreiche kleine Höhlen und Hoodoos, Schautafeln, die einen Einblick in die Erdgeschichte geben und selbst für Fossilienjäger gibt es spezielle Pfade, an denen man sich als Indiana Jones erproben kann.
Als wir am nächsten Morgen Richtung Südwesten, in Richtung der Forestry Trunk Road aufbrechen, sind wir uns einig darüber. Die Prairie Albertas ist einen Besuch wert. Gewiss, die Landschaft ist anders als das, was man von einer Reise in den „Wilden Westen“ erwartet. Aber für alle diejenigen, die wie wir schon öfter das Land bereist haben, bieten die Badlands neue, unvergessliche Eindrücke.
Durch die Wildnis am Fuße der Rocky Mountains
Für die nächsten Tage war der Weg unser Ziel. Eine Übernachtung hatten wir nicht vorreserviert sondern wollten unseren Stopp von unserer Reiselust, dem Wetter und den Erlebnissen abhängig machen. Es funktionierte.
Entlang des Highway 3 im Süden Albertas sind wir mit Kanadiern unterwegs, weniger Touristen. Wir kommen zügig voran und können so bei Fort Macleod einen ersten Zwischenstopp einlegen. Für alle diejenigen, die sich ein wenig mit der jungen Geschichte des Landes befassen wollen, ist der Besuch der historischen Station der North West Mounted Police durchaus eine Empfehlung. Die historischen Gebäude und ein kleines Museum geben Einblick in die Besiedlung Albertas und des hohen Nordens und lassen ein wenig die Lebensumstände und Herausforderungen der damaligen Zeit erahnen.
Idyllisch wird es hingegen in Lundbreck. Hier zweigt eine kleine Straße vom Highway 3 zu den gleichnamigen Wasserfällen ab. Sie bieten ein zauberhaftes Fotomotiv und eignen sich gut dafür, sich ein wenig die Füße zu vertreten bevor es über den Highway 22 nach Norden geht.
Der Highway ist asphaltiert und führt durch eine sanfte Hügellandschaft vorbei an Weideflächen und Wäldern. Ab und an zeigen sich die Gipfel der Rocky Mountains im Westen und immer wieder zweigen Wege zu Ranches und Lodges ab. Als wir den Hinweis auf die „Historic Site Bar U Ranch“ sehen biegen wir ab und tauchen ein in das Ranchleben des vergangenen Jahrhunderts. Liebevoll sind die rot leuchtenden Hütten mit originalen Möbeln und Werkzeugen ausgestattet und in der Scheune riecht es nach Heu und Pferd. Mit etwas Fantasie hört man das Blöken von Rindern, glaubt Cowboys rufen zu hören und schmeckt den Staub auf der Zunge.
Inzwischen neigt sich die Sonne gen Horizont, so dass wir abbiegen zum Elbow Falls Provincial Park. Dort schlagen wir unser Nachtlager auf und am Lagerfeuer geht ein ereignisreicher Tag seinem Ende entgegen.
Heute ist es nun endlich soweit. Über das kleine Dorf im Western Stile, Bragg Creek, fahren wir weiter nach Norden und überqueren den Hwy 1. Ja, nach Westen wären es nur wenige Kilometer bis Canmore und Banff. Trotz der durchaus vorhandenen Anziehungskraft dieser Namen bleiben wir auf unserer Route und erreichen den Abzweig des Highway 40, die Forestry Trunk Road.
Es sind die Geschichten, die sich um diese Straße am Fuße der Rocky Mountains ranken. Eine raue gravel road, Schlaglöcher, Bären und einsame Campgrounds heißt es allenthalben in Internetforen. Wir sind gespannt. Mit Hilfe des Backroad Mapbooks der Region haben wir unser erstes Tagesziel gefunden, die Bighorn Falls bei der Ya Ha Tinda Ranch.
Zunächst verläuft die Straße durch noch dicht besiedeltes Gebiet. Sie ist asphaltiert aber das soll sich ändern. Die Herbstfarben beginnen sich hier schon zu zeigen. Erste Blätter sind gelb gefärbt und geben der Landschaft ihren Reiz. Je tiefer wir eintauchen in die Einsamkeit am Fuße der Rockies, umso beeindruckender wird das Landschaftsbild.
Inzwischen sind wir auf gravel unterwegs. Die Straße ist breit, lässt sich gut fahren und immer wieder weisen Schilder auf den Verlauf des Highways und Abzweigungen in die Dörfer der Umgebung hin. Über Flussläufe und dichte Wälder verläuft die Straße kilometerweit. Seit gut einer Stunde sind wir niemandem mehr begegnet. Immer wieder kontrollieren wir die Landkarte und unseren Standort. Internet gibt es hier in der Einsamkeit nicht.
Wir hätten uns nicht sorgen müssen. Der Abzweig zur Ya Ha Tinda Ranch ist gut ausgezeichnet. Wider Erwarten kommen uns auf diesem Teilstück der Straße Fahrzeuge entgegen, beladen mit Heu oder Trucks mit 5th wheel Campern im Schlepp. Die Landschaft ist grandios. Wenn sich der Wald öffnet kann der Blick über das Tal des Red Deer River schweifen und die Berge wachsen ständig weiter himmelwärts. Immer wieder halten wir an um für einen Moment den Blick zu genießen.
Am Eingangstor der Ya Ha Tinda Ranch erfahren wir, dass es sich um eine Ranch unter der Leitung von Parks Canada handelt. Hier werden Pferde gehalten und trainiert, damit sie den Park Rangern bei ihrer Arbeit zur Verfügung stehen können. Ein kostenloser Campground findet sich hier ebenfalls und direkt gegenüber, fast ein wenig versteckt, liegt der Trailhead zu den Bighorn Falls.
Ein schmaler Pfad führt zunächst entlang des Flusses und dann steil nach oben. Das Wasser hat sich hier seinen Weg durch die Felsen gegraben, die scharfkantig und steil den Fluss begrenzen. Wir sind alleine unterwegs. Trillerpfeife und Bärenspray haben wir auch bei kurzen Wanderungen durch die Wildnis immer dabei und anders als bei Spaziergängen in Deutschland singen, rufen und klatschen wir hier immer wieder, um anwesende Tiere schon frühzeitig auf uns aufmerksam zu machen.
Der Fluss führt nach dem trockenen Sommer wenig Wasser. Dennoch sind die Wasserfälle Lohn für die lange Anfahrt und den steilen Weg nach oben. Die Farben der Wiesen und Wälder leuchten trotz der Wolken am Himmel. Und fast ein wenig unwirklich sehen wir hinter einer Baumgruppe am Wasserfall plötzlich Reiter mit Cowboyhüten auf ihren Pferden hervorkommen. Wir sind im „Wilden Westen“ angekommen.
Schon spät am Nachmittag erreichen wir unsere Unterkunft in Rocky Mountain House. Wir sind fasziniert vom Clearwater Country und freuen uns schon auf den nächsten Morgen. Die Ram Falls und Nordegg sind die Ziele und wenn wir es zeitlich schaffen, winkt noch eine Paddeltour auf dem Fairfax Lake im gleichnamigen Provincial Park.
Wir sind früh wach und starten bei Sonnenaufgang Richtung Forestry Trunk Road. Über den Flüssen und kleinen Seen entlang des 752 Highways liegt noch Nebel. Eine Büffelherde weidet ruhig hinter einem Holzzaun und Rehe äsen am Straßenrand.
Mit dem Erreichen der Forestry Trunk Road steigt wieder unsere Anspannung. Was uns wohl heute erwartet? Wenn es so etwas gäbe wie eine Steigerung von „wunderschöner Landschaft“, dann wäre es jetzt dafür an der Zeit. Die Wiesen übersät von rötlich schimmernden Büschen, durchzogen von Flussläufen, satt grüne Wälder und am Horizont die Berge der Rocky Mountains. Minutenlang stehen wir am Straßenrand, atmen die klare Luft, hören die Stille und genießen den Blick auf das, was die Natur uns hier bietet.
Am Parkplatz der Ram Falls stehen nur zwei Fahrzeuge und auf der Wiese am Eingang grasen Bighorn Schafe. Vorbei am Campground des Provincial Parks führt der gut markierte Weg zu den Wasserfällen. Der Blick von der Aussichtsplattform auf den Ram River und die Fälle ist grandios. Die rötlich schimmernden Felswände sind wie ein Hufeisen geformt, an dessen oberen Ende das Wasser in die Tiefe stürzt. Wir können uns nicht satt sehen.
Über Nordegg und entlang des Blackstone River erreichen wir am Nachmittag den Fairfax Lake Provincial Park. Ein weiträumiger Stellplatz mitten im Wald und dennoch nicht weit zum See ist heute unsere Station. Wir packen zum ersten Mal unser Boot aus, um den See zu erkunden. Eine Gruppe First Nation, die ihrerseits mit Kanus unterwegs sind, bitten uns um einige Fotoaufnahmen. Dem kommen wir gerne nach. Und dann sind wir auf dem See unterwegs und nur das Plätschern der eintauchenden Paddel begleitet uns.
Das letzte Stück der Forestry Trunk Road führt uns nach Hinton. Doch zuvor ändert sich das Landschaftsbild. Die Berge der Rocky Mountains kommen näher aber die Wiesen wechseln sich ab mit Minen und Bergbauanlagen. Straßen sind gesperrt oder nur für LKW und Gerät der Bergbaugesellschaften freigegeben. Nach dem Einchecken in unsere Unterkunft freuen wir uns deshalb darauf, mit der Weiterfahrt über den Hwy 40 nach Norden zum William A. Switzer Provincial Park zu gelangen. Hier erwartet uns wieder unberührte Natur und die Weite und Ruhe die wir an Kanada so schätzen.
Nach ausgiebigen Paddeltouren auf dem Gregg Lake, dem dritten der Seen im Park sowie den Seen des weiter im Norden liegenden Pierre Grey´s Provincial Park, endet unser Aufenthalt hinter den Rocky Mountains. Nun erwartet uns ein weiteres, außergewöhnliches und auch von uns erstmalig besuchtes Reiseziel.
Doch bis dorthin sind es noch zwei Tage Fahrt. Ohne längeren Aufenthalt durchfahren wir Jasper. Und obwohl wir hier nicht bleiben werden ist ein Tagespass eine „Pflicht“. Zu grandios, zu spektakulär zu majestätisch ist hier die Landschaft um einfach nur durchzufahren. Hier begegnen uns auch die Wapitis, die von Jasper nicht wegzudenken sind. Und trotzdem setzen wir unsere Fahrt am frühen Nachmittag fort. Über Clearwater bis zum Fishing Highway bei Little Fort ist es ein langer Fahrtag. Morgen wollen wir über Williams Lake und den Highway 20 bis zum Nimpo Lake gelangen, der ehemaligen „Hauptstadt“ der Wasserflugzeuge.
Nuk Tessli-Wind aus Westen
Der Wind bläst heftig aus Westen, die Wellen des Whitton Lake sind von weißen Schaumkronen geziert. Das ist Natur pur. Nuk Tessli, in der Sprache der First Nation „Wind aus Westen“ bedeutend, ist Anziehungspunkt für Outdoorbegeisterte insbesondere aus Kanada, Europa und Israel. Wer hierher kommt, hat sich bewusst eingelassen auf die Wildnis Kanadas. Und dafür wird er belohnt. Der Chilcotin ist ein Tipp“ für alle diejenigen, die sich abseits der ausgetretenen Pfade bewegen möchten.
Dieser Auszug aus unserem Reisetagebuch beschreibt Berghütten, die auf rund 1600 Metern Höhe zwischen Charlotte Lake und dem Monarch Icefield im Küstengebirge des Chilcotin in British Columbia liegen. Hierher sind wir mit dem Wasserflugzeug vom Nimpo Lake aus gelangt. Die Tourismusorganisation in Williams Lake hatte immer wieder für dieses einsame Resort geworben und wir haben uns darauf eingelassen.
Drei Blockhütten im Stile der Berghütten in den Alpen bieten Platz für bis zu fünfzehn Personen. Alle Hütten verfügen über eine eigene Toilette sowie eine Dusche mit fließend kaltem und warmem Wasser. Sie werden nur dann voll belegt, wenn sich die Leute kennen und als Gruppe die Hütten buchen. Ansonsten stehen sie auch für Paare oder Familien zur Verfügung. Im ebenfalls als Blockhütte gebauten Haupthaus, mit gemütlich eingerichtetem Aufenthaltsraum und Esszimmer, werden die Gäste mit typisch kanadischem Frühstück samt Müsli und Obst und einem abwechslungsreichen und internationalen Abendessen versorgt. Für die Outdooraktivitäten während des Tages können sich die Gäste Sandwiches aus selbst gebackenem Brot zubereiten.
Doch es hält uns nicht in unserer Blockhütte. Wir wollen hinaus in die Natur und die grandiose Landschaft und die von Gletschern gezierte Berge aus der Nähe spüren. Die Wanderwege rund um die Hütten sind gut markiert und führen in unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen hinauf in alpine Landschaften mit fantastischen Blicken über die Bergwelt des Küstengebirges. Andere Routen wiederum verlaufen rund um den See oder zu Buchten die einladen zum Innehalten und die Seele baumeln zu lassen. Wenn der Wind sich beruhigt, und der Tag sich seinem Ende zuneigt, lädt der See zum Paddeln ein. Dann ist das Plätschern des Wassers beim Eintauchen der Paddel das einzige Geräusch und zwischen den vorgelagerten Inseln lässt es sich anlanden und die untergehende Sonne genießen.
Mit unserer Sehnsucht nach Ruhe und Abgeschiedenheit in unserem Urlaub ist auch der Ursprung Nuk Tesslis eng verbunden. Das erfahren wir aus Gesprächen mit den aus Israel stammenden Besitzern des Resorts. Die erste Blockhütte entstand nämlich durch die Arbeit einer charakterstarken und mutigen Frau, der Engländerin Chris Czajkowski. Sie emigrierte 1979 nach Kanada und erwanderte das Gebiet des West Chilcotin. Dort erbaute sie Ende der 1980er-Jahre in tiefster kanadischer Wildnis, auf sich alleine gestellt, die erste Blockhütte am Whitton Lake. Über das Leben und Arbeiten in der kanadischen Wildnis veröffentlichte sie ein Tagebuch, was sie zur Bestsellerautorin machte.
Und auch der aus Israel stammende Käufer der Hütte und heutige Besitzer Nuk Tesslis verfügt über außergewöhnliche Verbindungen zur Natur und den Herausforderungen der kanadischen Wildnis und Einsamkeit. Doron Erel war der erste Israeli, der 1992 den Gipfel des Mount Everest erklomm. 2011 erwarb er die Berghütte und betreibt seither mit seiner Frau und zwei seiner Söhne, gemeinsam mit Volunteers aus allen Ländern der Erde, das Wanderparadies im Chilcotin.
Einen Höhepunkt des Aufenthaltes hier war für uns die Gletscherwanderung am Ape Lake. Lange hatten wir darauf gespart und wenn man schon einmal hier ist, muss man sich diesen Ausflug gönnen. Wie schon bei der Anreise mit dem Wasserflugzeug von Tweedsmuir Air am Nimpo Lake, startet auch hier unser Abenteuer mit dem Wasserflugzeug. In einem halbstündigen Flug durch die Gebirgs- und Gletscherwelt, wurden wir am Ape Lake abgesetzt. Unter fachkundiger Führung von Sela, einem der Söhne der Familie, erklommen wir mit zwei weiteren Gästen aus Vancouver die Gletscherlandschaft. Es ist eine einzigartige, fast unwirkliche, felsige Landschaft über die sich grandiose Gletscher mit Eishöhlen und Gletscherseen ziehen. So nahe eintauchen zu können in erdgeschichtliche Entwicklungen, die Natur und Umwelteinflüsse erfahren und erleben zu können, ist ein Erlebnis das uns prägte und tief berührte.
Nach vier Nächten und wunderschönen Erlebnissen kehrten wir fast ein wenig wehmütig zurück zum Nimpo Lake. Dort übernahmen wir wieder unseren PKW und noch voller Eindrücke steuerten wir unser nächstes Ziel an, die Terra Nostra Guest Ranch bei Kleena Kleene.
Auszeit für die Seele
Mit der Fahrt durch das Gatter der Ranch öffnet sich vor uns „paradiesisches“. Es ist der Blick auf die Pferdeweide, am Horizont begrenzt vom Clearwater Lake und den Ausläufern der Coast Mountains. Es ist die Weite, die Ruhe und die Lage in der Einsamkeit einer grandiosen und oft noch wenig erschlossenen Landschaft, die uns seit Jahren an diesem Ort fasziniert. Eine Faszination, die wir nicht mit Touristenmassen teilen müssen, sondern sie abseits der ausgetretenen Pfade alleine für uns genießen können.
Nicht ganz alleine. Denn natürlich kommen auf die von Corinne und Christoph aus der Schweiz geführten Pferderanch Gäste vor allem aus Europa aber seit der Corona Pandemie auch verstärkt aus Kanada. Beim gemeinsamen Frühstück oder Abendessen bieten sich zahlreiche Gelegenheiten um sich auszutauschen über Reiseziele, sich Tipps zu geben oder einfach einmal wieder in der Muttersprache reden zu können.
Wenn der Tag aber begonnen hat wird es ruhig. Jeder Gast hat andere Pläne. Und für viele sind die Pferde ein Anziehungspunkt. Sie bewegen sich hier frei und sind Teil der Ranchfamilie. Weil wir selber keine Reiter sind kamen wir ins Gespräch mit einer jungen Frau aus dem Schwäbischen. Sie sei gerade hierhergekommen, weil sie ausreiten, sich mit Pferden auf natürlichem Boden in der Wildnis Kanadas bewegen möchte. Und das ist hier möglich. Bewusst weist Corinne darauf hin, dass Reiten in der Wildnis mehr verlangt als reiten zu können. Die Wege führen über Wurzeln und Steine, durch Bäche und über Stege und das muss beherrscht werden bevor im Galopp über Sanddünen ausgeritten werden kann.
Wir zogen es vor über den Clearwater Lake zu paddeln. Wenn der See ruhig liegt und selbst wenn sich die Sonne nicht am Himmel zeigt, ist paddeln in der Natur Kanadas für uns immer ein Erlebnis. Wir fahren am Ufer entlang, achten auf Bewegungen und Geräusche und mit etwas Glück konnten wir schon Elche am Ufer grasen sehen.
10 Tage bleiben wir zu Gast bei den Beiden. So bleibt uns ausreichend Zeit um die Gegend zu erkunden. Die Fahrt zum Big Stick Lake, unweit der Ranch gelegen, ist wegen der gravel road zwar eine kleine Herausforderung aber sie lohnt. Der See verfügt über einen Sandstrand, der im Sommer sicher zum Baden einlädt. Jetzt aber, Ende September warteten wir hier eher auf Elche und Bären. Und wir hatten Glück. Gemütlich schlendert ein Schwarzbär über die Straße, verweilt ein wenig auf der Wiese und zieht sich dann in den Wald zurück.
Ein besonderes Erlebnis war die Fahrt im Viersitzer Quad, zu der uns Christoph nach dem Frühstück einlud. Durch den Wald, über umgestürzte Bäume und kleine Felsen fuhren wir ins Tal der Kliniklina Falls. Hierher kommt niemand, der sich nicht auskennt. Und das, obwohl die Wasserfälle über einen Wow Effekt verfügen. Tosend stürzen sich die Wassermassen hinab und hier haben wir dieses Naturschauspiel für uns alleine.
Als sich der Tag des Abschieds nähert, sind wir uns sicher, dass wir wieder kommen werden. Es hat sich inzwischen eine Freundschaft mit Corinne und Christoph entwickelt und die wollen wir auch über die Entfernung hin weiter pflegen.
Überraschung: Nordlichter in BC
Die letzte Zwischenstation vor der Fährfahrt nach Vancouver Island ist das Escott Bay Resort am Anahim Lake. Hier haben wir eine Cabin mit Holzofen und Küche direkt am See gelegen. Alleine der morgendliche Blick bei Sonnenaufgang auf den See ist ein Erlebnis. Minütlich wechseln die Farben von zart Rosa nach Rot, Orange und dann weicht der Nebel der Sonne.
Mit paddeln auf dem See und Ausflügen auf dem Highway 20 bis zum Tweedsmuir Provinical Park, vergehen die Tage wie im Flug. Da sich nur wenige Wolken am Himmel zeigen, ist die Nacht wie geschaffen für Fotoaufnahmen des einzigartigen Sternenhimmels. Mein Stativ im Koffer und mit Fleece und Jacke gegen die kühlen Abendtemperaturen geschützt, versuchte ich jeden Abend mein Glück. Und welch eine Überraschung. Auch wenn ich sie noch nicht gleich als solche erkannt habe, zeigte mir die Kamera eine grünliche Färbung am Himmel-NORDLICHTER! Ich konnte unser Glück nicht fassen, lockte meine Frau aus der warmen Cabin und gemeinsam konnten wir das Himmelsschauspiel genießen.
Die kleine Inside Passage
Ende September verlässt die letzte direkte Fähre Northern Sea Wolf Bella Coola nach Port Hardy. Wir hatten sie über SK Touristik schon frühzeitig gebucht. Heute aber ist sie nicht ausgebucht. Wohnmobile und PKWs werden am frühen Morgen gegenüber des Supermarkt in Bella Coola eingecheckt. Wir sind um 6.00 Uhr da und können nach rund 90 Minuten zur Fähre im Hafen fahren.
Wir waren schon öfter in der Fjordlandschaft des Regenwaldes unterwegs. Und doch ist die Fahrt mit der Fähre immer etwas Besonderes. Selbst bei Wolken am Himmel bieten sich Naturschauspiele die ihresgleichen suchen. Alleine das Morgenlicht, das mit dem Ablegen der Fähre seine Farbe ändert, die sich am Horizont zeigenden Gletscher, der emporsteigende Nebel und dann…die Delphine und Wale. Nein, sie gehören nicht zum garantierten Programm der Überfahrt. Aber auch dieses Mal konnten wir die Buckelwale atmen und ihre Flossen beim Abtauchen aufschlagen sehen. Es bleibt immer wieder ein atemberaubendes Erlebnis.
Weil es auf dem offenen Meer ein wenig zu windig war, wählte der Kapitän eine Route entlang der Festlandküste. Vorbei an unzähligen Inseln, zwischen denen sich Fischerboote und erneut Buckelwale tummelten, näherten wir uns Port Hardy. Mit etwas Verspätung erreichten wir nach rund 10 Stunden überfahrt den Hafen und damit die Insel Vancouver Island.
Die Wale atmen hören
Die letzte Station unserer diesjährigen Reise war Coal Harbour am Holberg Inlet. Eine Ferienwohnung mit fantastischem Blick auf das Meer war unser Aufenthaltsort. Unsere beiden Gastgeber, ein Ehepaar in unserem Alter, machten unseren Aufenthalt zu einem unvergesslichen Erlebnis. Er war in jüngeren Jahren Koch des kanadischen Olympiateams und renommierter Hotels in den USA und später Nanaimo. Und das durften wir nahezu täglich erfahren.
Frisch gefangene Krabben und Shrimps, Soufflé und frisch gepflückte Beeren wurden uns immer mal wieder auf unseren Tisch gestellt. Wir wollten eigentlich die letzten Tage unserer Reise nutzen, um überflüssige Pfunde abzubauen. Das gelang uns aber nicht und das obwohl wir hier aktiv wurden.
Denn was bietet sich an, wenn man am Meer die Kajaks der Unterkunft jederzeit kostenlos nutzen kann und wir aus Erzählungen wissen, dass plötzlich Wale auftauchen oder sich Schwarzbären am Ufer zeigen können? Natürlich, Paddeltouren auf dem Meer entlang des Ufers. Gut dass es auch Einer-Kajaks gab. Denn meine Frau wollte nicht morgens um 7.00 Uhr bei Nebel oder einer leichten Brise die Wärme des Betts mit dem Boot tauschen. Und so blieb es mir vorbehalten, diese einzigartigen Naturmomente zu erleben.
Nein, ein Wal ist mir im Kajak nicht begegnet, dafür aber eine Bärenmutter mit ihren zwei Jungen. Sie trotten gemütlich am Ufer entlang und suchten nach Muscheln und anderem essbaren. Und da wir davon ausgingen, dass die Bären auch am späten Nachmittags unterwegs sein würden, machten wir uns zu Zweit auf den Weg über das Wasser. Wir hatten Glück. Fast an der gleichen Stelle tauchte die Bärenfamilie wieder auf und wir konnten sie minutenlang aus sicherer Entfernung beobachten.
Ein weiteres Abenteuer mit Gänsehautcharakter aber gab es am nächsten Tag und zwar in der Dunkelheit. Wir hatten tagsüber auf der gegenüberliegenden Seite des Inlet zwei Buckelwale atmen sehen. Und als es dunkel wurde, und in der Ferne Kinder lachten und die Nachbarn Thanksgiving feierten, war es am Ufer nahezu feierlich still. Aber sie waren zu hören, die Wale. Sie atmeten und es klang, als würden die Meereskolosse direkt vor uns ruhen. Die Nachbarin hatte meine Taschenlampe gesehen und flüsterte mir zu, hörst Du sie? Fast kamen mir die Tränen der Rührung. Dieses Geräusch werde ich nicht mehr vergessen.
An einem der sonnigen Tage entschieden wir uns nach Port McNeill zu fahren und dort die Fähre nach Malcom Island zu nehmen. Schon alleine die Fahrt durch die saftig grünen Wälder der Insel sind ein Erlebnis. Die Fahrt mit der Fähre toppt dies aber noch. Eine knappe halbe Stunde dauert die Überfahrt nach Sointula. Mit dem Anlegen am Hafen kommt automatisch die der Insel eigene Ruhe und Gelassenheit. Man grüßt sich, keines der wenigen Autos fährt schnell, Fußgänger haben wie immer Vorfahrt und so manche Häuserfront lässt künstlerisch ambitionierte Bewohner vermuten.
Wir entscheiden uns für einen Besuch des Bere Point Regional Parks auf der Nordseite der Insel. Über eine 6 Kilometer lange gravel road gelangen wir zu einem wunderschön gelegenen Park samt Campground. Sofort fällt der Blick auf die Bergkette des Küstengebirges und deren Schnee bedeckten Gipfel. Ein breiter Stein und Sandstrand zieht sich entlang der Insel und kleine Pfade führen zum dortigen Campground.
Jeder Stellplatz ist kunstvoll mit dem angeschwemmten weiß grauen Holz gestaltet, abgegrenzt oder verziert. Mit bemalten Steinen wurden Brettspiele gestaltet und zur Nutzung hingestellt. Heftig weht der Wind von der Seeseite her so dass Blätter aufgewirbelt werden und Gischt am Ufer schäumt. Sollten wir je mit einem Wohnmobil wieder in der Gegend unterwegs sein, wäre dieser Campground sicher eine Anlaufstelle für uns.
Der Abschied von Michelle und Stephen, unseren Gastgebern, fällt uns schwer. Noch einmal kocht Stephen für uns nahezu typisch deutsch. Nämlich Rotkraut, Klöße und Truthahn in Soße. Wir vier sind uns alle einig, dass dies zwar das Ende unseres Urlaubes aber der Beginn einer Freundschaft über Kontinente hinweg sein wird.
Früh um 6.00 Uhr verlassen wir Coal Harbour in Richtung Duke Point Ferry Terminal. Wir haben die Fähre nach Tsawwassen vorgebucht und können so entspannt auf die Abfahrt warten. Die Überfahrt verläuft ruhig und auch wir Beide sind eher schweigsam. Jeder hängt seinen Gedanken nach und beginnt sich darauf einzustellen wieder zuhause anzukommen.
Zuhause? In diesen sechs Wochen sind Orte und Menschen in Kanada fast wie ein zweites Zuhause für uns geworden. Wir sind uns sicher. Wenn wir gesund bleiben und das Leben es uns ermöglicht, dann kommen wir wieder in unser Sehnsuchtsland British Columbia.
Oktober 2023, Lampertheim
Karl-Hans Kern