Einmal quer durch
Beitrag zum Textwettbewerb 2023
Autor: Wolfgang Brehmer
Kanada 2023 - einmal quer durch
„Toronno“, ihr müsst es „Toronno“ aussprechen, wie die Kanadier. Das sagt Khaleb zu uns, der Fahrer unseres Kleinbusses auf dem Weg zu den Niagarafällen. Er stammt aus Äthiopien und lebt schon seit Jahren in Toronto, in dieser multikulturellen Stadt, deren Bewohner aus über 140 Ländern stammen.
Unsere Reise einmal quer durch Kanada beginnt Ende Juli in Toronto und da ist es natürlich unumgänglich, erst einmal einen Abstecher zu den Niagarafällen zu machen. Wir sind dieses Mal nur zu zweit unterwegs, Renate und ich. Nachdem wir den Osten und den Westen dieses riesigen Landes auf zwei Reisen mit den Kindern erkundet haben, steht nun die Ost - West Tour von Toronto nach Vancouver auf dem Programm. Nach drei Jahren Einschränkungen durch die Corona-Pandemie hoffen wir darauf, dass so eine große Reise wieder möglich ist.
Wie es halt so ist mit den Weltwundern, über zu wenige Touristen braucht man sich nicht zu beklagen. Aber mit den spannenden Erklärungen von Khaleb wird der Tag doch zu einem großen Erlebnis. Die aktuelle Situation Kanadas, das Verhältnis zum „großen Bruder“ im Süden, die Geologie des Niagara Valley, die Geschichte des Weinanbaus – es gibt viel zu erzählen und auch in kurzen Stopps zu besichtigen. Der Höhepunkt ist natürlich die Fahrt mit der „Hornblower“ mitten hinein in die elementare Wucht der Niagarafälle.
Zurück geht es wieder auf dem „Queen Elisabeth“-Highway, eine Reminiszenz an das Mutterland, mit dem man ja immer noch stark verbunden ist.
Toronto lässt sich für uns sehr gut zu Fuß erkunden. Dazu passt auch eine Fahrt mit der Fähre zu den Toronto Islands, zufällig an einem Sonntag, an dem die ganze Stadt unterwegs ist. Alles ist kanadisch-entspannt, auf den Wiesen stehen Schilder: „Betreten erwünscht!“ Großfamilien beim Picknick zuzuschauen ist immer wieder ein Erlebnis. Wagemutige springen in den Lake Ontario, der wie ein Meer erscheint. Vom anderen Ufer ist nichts zu sehen. Es ist ein guter Vorgeschmack, auf das, was uns in den nächsten Tagen auf unserer Fahrt entlang des Lake Superior erwartet - endlose Weite.
Am nächsten Tag geht es endlich los, mit einem Uber-Taxi kommen wir in den Vorort Brampton, wo der Vermieter Canadream seinen Sitz hat. Wir haben Glück und erhalten einen fast neuen Ford Coachman, ideal für zwei Personen. Im Vergleich zu den riesigen RVs, die uns immer wieder begegnen, wirkt er zwar klein. Er ist aber vollkommen ausreichend, wie wir in den nächsten vier Wochen feststellen werden. Vor allem braucht er nur etwas über 14 l Benzin pro 100 km.
Unsere ursprüngliche Idee, die Fahrt über die Bruce – Halbinsel des Lake Huron zu beginnen, müssen wir leider aufgeben, die Fähre zur Manitoulin Insel ist schon ausgebucht. Aber auch die alternative Fahrt über das Ostufer des Lake Huron und Sudbury erscheint reizvoll. Bereits in der ersten Nacht können wir an einem der vielen Provincial Parks Halt machen, mit einem angenehmen Bad im zugehörigen Six Mile Lake: Ontario – das Land der tausend Seen.
Die nächsten Tage sind geprägt von der Fahrt entlang des unvorstellbar großen Lake Superior, der 1/10 der gesamten Süßwasservorräte der Erde enthält. Er funktioniert wie eine große Klimaanlage, im Sommer eher kühl, im Winter nur gemäßigt kalt. Das Wasser hat durchschnittlich nur etwa 4°, im Sommer ist es an den Stränden zum Glück deutlich wärmer.
In Sault St.Marie besuchen wir das Heritage Center, in dem ein Steinhaus aus dem Jahr 1812 steht. Es gehörte einem reich gewordenen Pelzhändler, der ursprünglich aus der Schweiz stammte und sich hier im viktorianischen Stil einrichtete – ganz im Gegensatz zu den einfachen Holzhäusern rundherum. Im Pancake Bay Provincial Park – welch herrlicher Name! – ist das Wasser angenehm warm zum Baden. Ein wirkliches Highlight ist der am nächsten Tag folgende Pukaskwa Nationalpark. In seinem wunderbar gelegenen Campground verbringen wir mehrere Tage. Man kann herrliche Trails am Seeufer machen, an wildromantischen Stränden baden oder sich bei den Rangern ein Kanu ausleihen.
Uns genügen erst einmal 2 Stunden Wildnis – Feeling im Kanu. Mike, der Ranger informiert uns, dass wir entlang des Seeufers eine Kanutour mit Übernachtung auf eingerichteten Zeltplätzen machen könnten, die rund fünf Tage dauert. Am Ende würde man uns mit einem Boot abholen… Ein andermal vielleicht, wir müssen weiter. Neben uns auf dem Campground steht der große RV einer kanadischen Familie, die mit Hund und Katz unterwegs ist und sich gerade auf dem Rückweg von einer Tour bis zu den Yukon Territories befindet. So viele Tiere hätten sie gesehen! Und traumhafte Landschaften! Aber auf der Fahrt durch das eintönige Saskatchewan brauche man ein gutes Buch, damit es einem nicht langweilig werde. Gut, dass es auf dem Campground einen Bücherschrank gibt, aus dem man sich bedienen kann.
Die Fahrt entlang des Ufers bleibt abwechslungsreich. Kurz vor Thunder Bay erreichen wir die Trowbridge Falls, wo wir in den Stromschnellen baden können.
Hinter Thunder Bay erwartet uns mit dem restaurierten Fort William eine der größten Sehenswürdigkeiten von Ontario. „Living History“ ist ja eine kanadische Spezialität, wie wir schon auf früheren Reisen feststellen konnten.
Wir schreiben das Jahr 1816: in dieser größten Niederlassung der North West Company Handelsgesellschaft treffen sich Voyageure aus West und Ost mit der indigenen Bevölkerung und handeln vor allem mit den in Europa so begehrten Pelzen. Das Fort befindet sich auf dem Territorium des Stammes der Anishinaabe, die hier seit Generationen in Harmonie mit dem umgebenden Land leben und nun ihr Wissen mit den europäischen Partnern teilen. Das Ambiente im Fort ist „very british“, vor allem die Great Hall im Hauptgebäude mit dem Zimmer des Kommandanten. Interessant ist auch die Begegnung mit dem Doktor, der seine verschiedenen Instrumente vor sich ausgebreitet hat und nichts von indigener Medizin hält. Er hat selbstverständlich in London studiert. Bei den Voyageuren waren vor allem Verletzungen der Füße zu behandeln, die Mokassins waren wohl nicht gut geeignet in dem sumpfigen Gelände und bei der Kälte. Nach Montreal waren ca. 32 Portagen zu bewältigen, nach Westen noch mehr. Um 14:30 Uhr wird täglich die Ankunft des Kommandanten in einem großen Kanu mit anschließender Ansprache an die Beschäftigten zelebriert. Die Kanus konnten gewaltige Lasten transportieren, im Fort William gab es sogar eine „Kanu-Fabrik“.
Die weitere Strecke führt uns an den Kakabeka Falls vorbei, beeindruckend stürzt der Fluss circa 40 m in die Tiefe. Wir haben Glück mit dem Wetter, nach einem kurzen Schauer hält es bis zum Quetico Provincial Park, wo wir auch noch ein kurzes Bad im French Lake nehmen können, bevor ein größerer Schauer niedergeht. Der Park scheint ein Paddler Paradies zu sein, viele Kanus sind vor Ort gelagert. Die Fahrt geht nun über den abwechslungsreichen, aber einsamen Highway 11 nach Fort Frances, eine wieder einmal mit Ortscharakter aufwartende größere Siedlung. Über eine Brücke erreicht man den in Minnesota liegenden Nachbarort International Falls. Wir kommen in das Gebiet der Tausend Seen, Lake of the Woods. Am Caliper Lake befindet sich der nächste, wieder schön gelegene Provincial Park mit Campground. Der sehr gepflegte Badestrand ist menschenleer.
Vorbei an Kenora, dem Zentrum der Region mit offensichtlich hohem Lebensstandard überqueren wir schließlich die Grenze zu Manitoba, wo wir im Informationszentrum alle wichtigen Unterlagen zu diesem Bundesstaat und seiner Hauptstadt Winnipeg erhalten. Wir fahren direkt ins Zentrum von Winnipeg zu dem alten Handelsplatz „The Forks“ – am Zusammenfluss von Assiniboine und Red River – wo es genügend Parkplätze auch für Wohnmobile gibt.
Neues Wahrzeichen der Stadt ist das „Museum of Human Rights“, ein futuristischer Bau, weltweit einzigartig. Kate, eine sehr nette Mitarbeiterin erklärt uns die Geschichte dieses Gebäudes, das in privater Initiative von Bürgern Winnipegs entstanden ist. Erst zum Schluss gab es noch einen Bundeszuschuss aus Ottawa. Im ersten Stock werden alle Aspekte von Diskriminierung und Benachteiligung in der kanadischen Gesellschaft angesprochen. Im Stockwerk darüber steht der Holocaust mit all seinen Schrecken im Mittelpunkt. Insgesamt ein wirklich eindrucksvolles Mahnmal. Wir fragen uns: In wie vielen Ländern der Erde wäre ein solches Museum denkbar?
Der von uns ausgewählte Campground in Winnipeg befindet sich leider etwas außerhalb, wir müssen die Ausfallstraße bei enormem Verkehr mit vielen Baustellen und starkem Regen bewältigen.
Der nächste Tag ist zum Glück ein Ruhetag. Wir nutzen ihn zum Wäsche waschen und machen nochmals einen Abstecher in die Innenstadt von Winnipeg. Zunächst besuchen wir den Assiniboine Park mit einem eindrucksvollen Geo-Zoo, in dem vor allem die asiatisch-amerikanische Tierwelt vertreten ist, Europa kommt nicht vor. Besonderes Highlight ist die „Journey to Churchill“, ein riesiges Eisbären-Gehege, bei dem man in einem Tunnel unter den im Wasser schwimmenden Eisbären hindurch gehen kann. Die Bedrohung durch den Klimawandel gerade für diese fragile Gegend im Norden Manitobas wird eindrucksvoll dargestellt.
Neueste Errungenschaft auf diesem weitläufigen Parkgelände ist „The Leaf“, ein futuristischer botanischer Garten auf mehreren Etagen, der eng mit der Diversität von Winnipegs Einwohnern verbunden ist. Im mediterranen Teil stellt jeweils eine zugewanderte Person eine Pflanze aus ihrer Heimat vor, zum Beispiel eine Marokkanerin die Kardamompflanze. Auch ein gewöhnlicher Küchengarten ist zu besichtigen mit zahlreichen Tomatensorten usw.
In der Innenstadt landen wir wieder bei „The Forks“ und gehen zunächst in den Downtown Bezirk, wo wir natürlich auch auf einem der berühmten Walkways durch die Hochhäuser spazieren, auf dem man vor schlechtem Wetter geschützt ist. „The Forks Market“ hat auf mehreren Etagen alles, was das Herz begehrt, zum Beispiel auch eine Bierbar mit 18 verschiedenen Bieren vom Fass. Es gäbe noch so viel zu sehen in dieser weltoffenen Stadt, aber wir müssen weiter, der Riding Mountain National Park wartet.
Die Strecke ist lang, das Wetter regnerisch, die Landschaft großartig. Schon bei der Einfahrt in den großen Wasagaming Campground sehen wir einen Schwarzbären, der gemütlich die Straße überquert, bevor er im Busch verschwindet. Auf einem Trail zum Clear Lake liegen auch einige „bärige“ Hinterlassenschaften, entsprechend „bärenbewußtes“ Verhalten wird von den Rangern angeraten. Der See ist glasklar und warm genug zum Baden.
Der nächste Tag steht ganz im Zeichen von Tierbeobachtungen. Man hat uns geraten, möglichst früh zum Lake Aubry zu fahren, weil dann die Chancen hoch sind, die berühmte Bisonherde zu sehen. Schon auf dem Weg dorthin entdecken wir wieder einen Schwarzbären, der genüsslich Beeren vom Strauch pflückt. Von den Bisons ist zunächst nichts zu sehen, als wir einen Aussichtspunkt erreichen. Aber dann, bei der Weiterfahrt um eine Ecke treffen wir auf die ganze Herde von ca. 40 Tieren, ein urweltlicher Anblick! Dazu noch ein einzelner Büffel, der direkt neben der Straße im Gras liegt und sich im Staub wälzt. 1890 gab es nur noch wenige Exemplare, jetzt sollen es immerhin wieder 40.000 in ganz Kanada sein.
Der Lake Aubry ist sehr idyllisch gelegen, ideal für unser Frühstück. Die Fahrt durch den Nationalpark ist sehr schön, das Wetter wird immer besser. Zum Schluss senkt sich das hügelige Gelände in die Ebene ab, wir kommen in eine einsame Landschaft, die bald von großen Weizenfeldern geprägt ist. Hier haben sich viele Zuwanderer aus der Ukraine niedergelassen, vermutlich als Folge der russischen Revolution und der anschließenden Hungersnöte.
Die Überquerung der Grenze zu Saskatchewan fällt nicht weiter auf, landschaftlich ändert sich erst mal nichts. Erst am Schluss der Etappe im Echo Valley hat man das Gefühl, in einer anderen, trockeneren Gegend angekommen zu sein. Karge Höhen, fruchtbare Täler – in diesem Fall mit Stauseen – an deren Ufer sich die Kanadier schöne Häuser gebaut haben. Im gleichnamigen Campground haben wir einen fast mediterran anmutenden Stellplatz am Fuß eines kleinen Berges mit guter Aussicht über die Seen. Den Geräuschen und Gerüchen nach findet am Ufer ein Pow-Wow statt mit Trommeln und Grillfeuer. Wir sind zu müde, um hinzugehen und gönnen uns lieber noch ein Bad im See. Inzwischen haben wir 3000 km hinter uns und fast jeden Tag konnten wir baden!
Am nächsten Tag kommen wir auf die endlosen Weiten der Prärie. Wir sehen riesige Weizenfelder, die mit großen Maschinen bearbeitet werden. 70% der kanadischen Weizenproduktion werden hier erzeugt.
In Regina, der Hauptstadt von Saskatchewan nehmen wir Kurs auf das RCMP (Royal Canadian Mounted Police) Heritage Center. Gegründet 1873 - deshalb 150-Jahrfeier in 2023 – ist diese typisch kanadische Institution eng mit der Geschichte Kanadas verbunden. Unser besonderes Interesse rührt auch daher, dass unsere Tochter 2017 ein halbes Jahr bei einer kanadischen Familie als Au-Pair verbrachte, deren Eltern beide bei der RCMP tätig sind. Der Kontakt besteht bis heute fort.
Schon die Gründung der RCMP ist legendär, es ging um die Bekämpfung des Whiskey-Schmuggels aus den USA. Die „Mounties“ haben sicher ihren Anteil daran, dass die aus den Wildwestfilmen bekannten, gewaltsamen Zusammenstöße der Neusiedler mit den Ureinwohnern auf kanadischem Gebiet kaum stattfanden. Interessant ist auch die im Heritage Center dargestellte neue Rolle bei der „Eroberung“ des Nordens von Kanada. So gelang z.B. einem von der RCMP entsandten Schiff die erste Umsegelung der Nordwestpassage im Polarmeer (1940/42). Auf einer großen Kanada-Karte werden alle First Nations Gebiete abgebildet sowie wichtige Stationen im Zusammenleben, bekanntlich durchaus spannungsreich. So wurde z.B. die letzte Residential School erst 1996 geschlossen, ein Umstand, der bis heute hohe Wogen schlägt.
Nach Regina nehmen die Weizenfelder weiter an Größe zu, die Landschaft hat bei inzwischen 34° einen etwas monotonen Charakter. Immer wieder sehen wir riesige Güterzüge vor Verladestationen.
Auf dem nächsten Campground treffen wir auf einen identischen Camper Van von Canadream, der von einem Schweizer Paar gefahren wird. Sie sind 6 Monate unterwegs und befinden sich schon wieder auf dem Rückweg nach Toronto. Mit dem Fahrzeug sind sie – wie wir – sehr zufrieden, es gab bisher keine Pannen. Erstmals nutzen wir in der Nacht die Klimaanlage im Van, wir nähern uns der heißesten Stadt Kanadas – Medicine Hat. Zunächst muss die Grenze zu Alberta überquert werden, wo wir im Visitor-Center wieder mit allen erforderlichen Materalien versorgt werden. Im Cypress Hills Provincial Park können wir wieder in einem Stausee baden und so die Hitze dieses Sommertages einigermaßen aushalten. Nachts ist es wieder angenehm kühl.
Am nächsten Tag geht es vorbei an Medicine Hat über weiter eintönige Strecken bis zum nächsten Höhepunkt, dem Dinosaur Provincial Park. Hier bricht die flache Prärie unvermittelt in das Tal des Red Deer River ab. Wir sind mitten in den „Badlands“ mit ihren geologischen Besonderheiten. Verschiedene Epochen der Erdgeschichte sind zu bestaunen, von denen die vergleichsweise kurze Zeit der Dinosaurier mit „nur“ 2,5 Mio. Jahren am interessantesten ist. Durch das Abschmelzen der Gletscher am Ende der letzten Eiszeit bis zur Höhe des Red Deer River wurden die alten Lagerstätten überhaupt erst zugänglich. Dass die Dinosaurier vor ca. 74 Mio. Jahren durch ein einzelnes Ereignis ausgestorben sind, ist mittlerweile die herrschende Meinung der Forscher. Auf der Halbinsel Yucatan in Mexico hat man den Krater des gewaltigen Meteoriteneinschlages identifizieren können, der dafür verantwortlich war. So sind die „Dinosaurierfriedhöfe“ in Alberta mit vielen gleichzeitig zu Tode gekommenen Lebewesen zu erklären. Die hohe Zahl dieser Riesenechsen auf dem Gebiet des heutigen Alberta erklärt sich durch die idealen Lebensumstände, die damals hier herrschten. Auf einer Rundfahrt mit kurzen Trailpassagen kommen wir an zwei Ausgrabungsstätten vorbei, in denen die Dinosaurier so liegen, wie man sie gefunden hat. Wir werden sehr gut informiert über die Geschichte dieser UNESCO-Welterbe-Stätte. Es gab von 1910-1917 einen regelrechten „Canadian Dino Rush“, als viele Funde gemacht wurden. Über 300 Skelette wurden geborgen, ca. 40 Arten entdeckt.
Auf einem schönen Trail am Flussufer begegnen uns am Abend einige Rehe mit Jungen, leider kein Elch, wie in den Tagen zuvor einigen anderen Campern.
Auf der Weiterfahrt nach Drumheller sind im Tal des Red Deer River bizarre Felsformationen zu besichtigen, sog. Hoodoos. Sie erinnern uns an die Erdpyramiden am Ritten in Südtirol. Zum Glück sind die Temperaturen etwas erträglicher, abends wird ein Wettersturz erwartet. Beim Besuch des weltweit führenden Dinosauriermuseums in Drumheller werden wir in weit zurückliegende Zeiten versetzt. Man kann die Erdgeschichte kaum anschaulicher darstellen als hier. Wir wandern entlang einer Zeitachse von der Urzeit bis ins heutige Holozän. Die einzelnen Epochen werden anhand von Mineralien und Fossilien erklärt. Besonders eindrucksvoll sind die in Alberta gefundenen Dinosaurierskelette, meist mit großen Panoramen im Hintergrund. So könnte es gewesen sein.
Am Ende des Rundgangs steht eine Übersicht über die Temperaturschwankungen in Verlauf der Erdgeschichte. Die grafische Darstellung des vom Menschen verursachten, extrem schnellen Temperaturanstiegs in den letzten 200 Jahren ist verbunden mit der Botschaft, den CO² Ausstoß zu reduzieren. Die aktuell sehr angespannte Waldbrandsituation in Kanada wird von zahlreichen Experten auch mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht.
Oberhalb des Red Deer River Tales ist die Landschaft wieder eintönig flach bis zu den Vororten von Calgary. Da wir diese freundliche Stadt schon von der letzten Reise her kennen, besuchen wir dieses Mal den etwas außerhalb liegenden Zoo, was auch den Vorteil hat, problemlos parken zu können. Auch hier wird das Prinzip des Geo-Zoos konsequent beibehalten, Europa und Afrika kommen nicht vor. Die beiden Grizzlies im Bärengehege machen deutlich, was mit Bären geschieht, die gefüttert werden bzw. sich Siedlungen nähern: Sie werden in der Regel getötet, wenn sie nicht wie hier das Glück haben, Aufnahme in einem Zoo zu finden. Der eine der beiden ist der bekannte „Skoki“, der vor Jahren auf dem Campground von Lake Louise ein Zelt samt Bewohnern aufgeschreckt hat. Seitdem gibt es einen Elektrozaun um das Areal…
Die Fahrt über den Millenium Drive, vorbei an Downtown, erlaubt gute Einblicke in den vergleichsweise hohen Lebensstandard dieser Großstadt. Mit den Rockies vor der Haustür ist es eine der am stärksten wachsenden Regionen Kanadas.
Nach dem Temperatursturz mit starkem Regen ist das Wetter am nächsten Tag wieder schön, ideal für die Fahrt in die Rocky Mountains. Der alte Highway 1A führt entlang des Bow River nach Banff, wo wir mit einem Shuttlebus ohne Parkplatzsorgen in die Innenstadt kommen. Dort hat sich seit unserem Besuch vor 6 Jahren nicht sehr viel verändert, die Shops sind witzig wie damals, die Hauptstraße ist jetzt Fußgängerzone. Die vielen Touristen scheinen überwiegend aus dem asiatischen Raum zu kommen; ein kleiner Spaziergang zu den großartigen Bow River Falls weckt Erinnerungen. Wir fahren weiter zum Lake Louise Campground.
Angesichts des großen Besucherandrangs brechen wir am nächsten Tag sehr früh auf, um noch einen Parkplatz am Ausgangspunkt der Wanderwege zu bekommen. Drei ältere Kanadier empfehlen uns, unbedingt den Trail auf den Big Beehive zu machen, von dem man eine großartige Aussicht auf den Lake Louise hat. Vorbei am Lake Agnes mit seinem Teehaus erreichen wir auf einem zuletzt ziemlich steilen Weg diesen Gipfel mit dem Blick auf den smaragdgrünen See. Wir nehmen den Abstieg zum Plain of Six Glaciers Trail, der noch weiter ins Tal zu einer bewirtschafteten Hütte führt. Hier geht es wieder „very british“ zu, es gibt Scones mit Marmelade und Tee.
Die Waldbrandsituation in British Columbia und den Nordterritories ist sehr angespannt, die Städte Yellowknife im Norden sowie Kelowna im Süden mussten schon zum Teil evakuiert werden.
Wir fahren weiter auf der uns von der letzten Reise schon bekannten Strecke über den Kicking Horse Paß, machen aber dieses Mal einen Abstecher in den Yoho Nationalpark zu den berühmten Takkakaw Falls, Kanadas zweithöchsten Wasserfällen. Die Fahrt stellt auch eine kleine Herausforderung an die Fahrkünste dar, weil eine Serpentine etwas eng ist und in „Bus-Taktik“, also rückwärts befahren werden müssen. Die Fälle sind spektakulär, sie werden von einem oberhalb liegenden Gletscher gespeist. Der Himmel ist leider ziemlich diesig, die Gipfel sind kaum zu sehen.
In Revelstoke kommt eine Art von „Heimat-Feeling“ auf. Bereits bei unserer Tour vor sechs Jahren fanden wir den Ort sehr reizvoll. Es gibt Cafés und die Häuser sind geschmackvoll restauriert. Der Campground liegt idyllisch am Williamson Lake, der wieder angenehme Badetemperaturen aufweist. Abends genehmigen wir uns ein Essen in der „Old School Eatery“, die sich tatsächlich in einem stolzen alten Schulgebäude befindet mit zahlreichen Fotos aus alten Zeiten und gutem Essen. Es waren damals sicher harte Zeiten, Revelstoke ist im Rahmen des Eisenbahnbaus entstanden und war ein Umschlagplatz für Holz usw. Heute hat es sich einen Namen gemacht als Zentrum des Helikopter-Skiings. Wir genehmigen uns zur Feier des Tages ein Bier aus der hauseigenen Brauerei, es gibt „Old School Lager“ oder „Westcoast IPA“.
Zwischenzeitlich hat es heftig zu regnen begonnen, es geht die ganze Nacht so weiter. Zur Eindämmung der Brände ist das sicher von Vorteil. Für uns ist es natürlich nicht so schön, am nächsten Tag die Tour zum Gipfel des Mount Revelstoke Nationalparks durchgehend im Regen zu machen. Wir gehen den Trail zum Fire Lookout und später folgen wir den Spuren der First Nations. Auf Informationstafeln sind wichtige Aspekte ihres früheren „paradiesischen“ Lebens in Form einer Erzählung festgehalten. Hervorgehoben wird immer die enge Naturverbundenheit.
Uns steht nun die Strecke durch die Berge in Richtung Whistler bevor, die durch die zahlreichen Waldbrände beeinträchtigt ist. Landschaftlich ist die Fahrt – bis auf den ersten Abschnitt entlang des oberen Okanagan Valley – etwas monoton. Sobald wir tiefer in die Berge kommen, ist alles braun, man sieht viele Spuren von früheren Waldbränden und nur wenige Siedlungen. Zum Schluss wird die Landschaft wieder spektakulär, es geht tief hinunter Richtung Fraser River und Lilloet. Der Fraser Cove Campground liegt direkt am Fluss, der hier sehr breit ist. Man kann an seinem Ufer herumwandern und den Fischern zuschauen, die hier den größten Süßwasserfisch Kanadas, den Stör, angeln und danach gleich wieder freilassen. Auf der Old Bridge über den Fraser River nistet ein Geier, es soll auch einen Bären geben, wie uns der nette Besitzer des Campgrounds erzählt.
Die wieder sehr anregende Weiterfahrt auf dem Highway 99 führt durch eine enge Schlucht, bis wir den Duffey Lake Provincial Park erreichen, wo sich mit ungeheurer Wucht zahlreiche Baumstämme am Abfluss des Sees aufgestaut haben. Im Hintergrund sieht man bereits die vergletscherten Berge der Garibaldi Mountains. Am kurz darauf folgenden Joffre Provincial Park könnte man eine Wanderung zu den Joffre Lakes machen. Es werden aber nur noch 1000 Touristen pro Tag zugelassen, ohne Vorbuchung haben wir keine Chance. Wir machen stattdessen einen Abstecher zu den Nairn Falls im gleichnamigen Provincial Park. Dann sind wir schon in Whistler und müssen uns in dem Wirrwarr eines großen Ortes zurechtfinden. Mit unserem Wohnmobil müssen wir in Overflow Lot 3 parken, eine Stunde kostet fünf Dollar. Ein kurzer Abstecher in die autofreie Fußgängerzone zum Visitor Center bringt immerhin die Erkenntnis, dass es möglich ist, den unteren Teil der Whistler Gondola durch einen Trail zu bewältigen und dann nur noch 42 $ statt 93 $ für den Tagespaß zu bezahlen.
Unser Campground außerhalb von Whistler ist voll belegt.
Am nächsten Tag führt uns ein großartiger Trail zur Mittelstation der Whistler Gondola. Zunächst geht es durch gemäßigten Regenwald, später durch einen Zedernwald mit bis zu 600 Jahre alten Bäumen. Entlang des Trails sind auf Tafeln Sinnsprüche von John Muir, Ralph Waldo Emerson und anderen Naturphilosophen zu lesen, die hervorragend in diese wilde Landschaft passen. An der Mittelstation steigen wir in die Gondel nach oben und nehmen später noch die Peak to Peak Gondel zum Nachbarberg Whistler Mountain, angeblich die weltweit längste Gondelbahn und auch die mit der größten Höhe von 436 m über dem Boden. An der Bergstation dreht sich alles ums Mountainbiken. Eine ausgewiesene MTB-Strecke führt mit zahlreichen Varianten mehr als 1200 Höhenmeter ins Tal. Wir machen noch einen kurzen Trail zum Harmony Lake, wo wir Murmeltiere beobachten können. Im Hintergrund ist die imposante Garibaldi Range mit ihren Gletschern zu sehen.
Der nächste größere Ort ist Squamish, an einem weit ins Landesinnere reichenden Fjord der Straight of Georgia gelegen. Wir sind am Pazifik angekommen! Wie zum Beweis liegt am Hafen ein großes Schiff vor Anker. Mitten in dem lebendigen Ort findet ein Bauernmarkt statt, ein Open Air Musikfestival wird gerade aufgebaut. Der Ort ist Zentrum der Kletterer, die am einzigartigen Granitfelsen Stawamus Chief über 50 Routen vorfinden.
Erstmals konnten wir keinen Campground vorreservieren. Nach einigem Suchen finden wir den Mamquam River Campground ohne fließendes Wasser, dafür aber idyllisch am Fluss gelegen.
Bei unserem Abstecher zu den Shannon Falls, die kurz hinter dem Kletterfelsen herabstürzen, treffen wir wieder auf sehr viele Touristen. Hier ist touristischer Hochbetrieb wie bisher nahezu überall in British Columbia. Das Wetter ist fantastisch, vor allem die Sicht auf die Coast Range mit vergletscherten Bergen. Das letzte Teilstück ist die Tantalus Range. Vorbei am Britannia Beach und dem Porteau Cove Provincial Park kommen wir zum offenen Meer. An der Horseshoe Bay Fährstation werden erneut Erinnerungen wach an die letzte Reise 2017, die uns auch an die Sunshine Coast führte.
Vor Vancouver wird der Verkehr immer dichter, inzwischen beträgt die Temperatur auch wieder über 30°. Rundherum ist die Vegetation braun gebrannt, man spürt die lang anhaltende Trockenheit, die auch der Hauptgrund für die vielen Waldbrände in diesem Jahr ist.
Unser letzter Campground liegt in Surrey - nicht sehr idyllisch, aber für die letzte Nacht ausreichend. Nach genau 5570 km geben wir das Fahrzeug wieder ab, es hat uns treue Dienste geleistet. Die Rückgabeprozedur geht unkompliziert vor sich. Mit einem Uber-Taxi sind wir schnell im Zentrum von Vancouver, wo wir ein sehr angenehmes Zimmer im Hotel Rosedale on Robson vorfinden. Sogar eine kleine Küche ist vorhanden.
Auch bei Regen – wie am nächsten Tag – fühlt man sich in dieser schönen Stadt sehr wohl. Es gibt so viel zu sehen. Ein Abstecher zur herrlich freakigen Granville Island gehört ebenso dazu wie ein Besuch der kleinen, überschaubaren Altstadt rund um die Dampfuhr und ein Spaziergang an der Harbourfront, wo immer wieder Wasserflugzeuge starten und Ozeanriesen be- und entladen werden.
Unser letzter Tag ist wieder strahlend schön, ideal für eine ausgiebige Fahrradtour. Das ist mittlerweile in Vancouver ganz einfach, man nutzt die zahlreichen Leihradstationen und kann mit einem Tagespass für 19 $ immer wieder eine halbe Stunde kostenlos fahren. Man arbeitet sich so von Station zu Station voran und kann zwischendurch schöne Pausen einlegen. Es geht einmal rund um den großartigen Stanley Park mit Kaffeepause an der English Bay, dann um den gesamten False Creek, wieder mit Halt in Granville Island – heute mit Musikdarbietungen. Der Radweg endet am Kitsilano Beach, wo sich zahlreiche Hunde austoben. Zurück nehmen wir einen Aquabus.
So geht eine lange Reise ebenso entspannt zu Ende, wie sie begonnen hat. Dank der rücksichtsvollen Fahrweise der Kanadier verlief sie völlig stressfrei.
Im sehr schön mit Motiven aus British Columbia gestalteten Flughafen überlegen wir beim Warten auf den Rückflug schon, wohin es beim nächsten Mal gehen könnte. Ein netter Anbieter von Ahornsirup – im früheren Leben war er bei der RCMP – gibt uns den guten Rat, doch unbedingt den Norden zu erkunden, die Yukon Territories seien wirklich eindrucksvoll. Also – sobald als möglich auf zum nächsten kanadischen Abenteuer, wir kommen gerne wieder!
Beitrag zum Textwettbewerb 2023
Autor: Wolfgang Brehmer
Kanada 2023 - einmal quer durch
„Toronno“, ihr müsst es „Toronno“ aussprechen, wie die Kanadier. Das sagt Khaleb zu uns, der Fahrer unseres Kleinbusses auf dem Weg zu den Niagarafällen. Er stammt aus Äthiopien und lebt schon seit Jahren in Toronto, in dieser multikulturellen Stadt, deren Bewohner aus über 140 Ländern stammen.
Unsere Reise einmal quer durch Kanada beginnt Ende Juli in Toronto und da ist es natürlich unumgänglich, erst einmal einen Abstecher zu den Niagarafällen zu machen. Wir sind dieses Mal nur zu zweit unterwegs, Renate und ich. Nachdem wir den Osten und den Westen dieses riesigen Landes auf zwei Reisen mit den Kindern erkundet haben, steht nun die Ost - West Tour von Toronto nach Vancouver auf dem Programm. Nach drei Jahren Einschränkungen durch die Corona-Pandemie hoffen wir darauf, dass so eine große Reise wieder möglich ist.
Wie es halt so ist mit den Weltwundern, über zu wenige Touristen braucht man sich nicht zu beklagen. Aber mit den spannenden Erklärungen von Khaleb wird der Tag doch zu einem großen Erlebnis. Die aktuelle Situation Kanadas, das Verhältnis zum „großen Bruder“ im Süden, die Geologie des Niagara Valley, die Geschichte des Weinanbaus – es gibt viel zu erzählen und auch in kurzen Stopps zu besichtigen. Der Höhepunkt ist natürlich die Fahrt mit der „Hornblower“ mitten hinein in die elementare Wucht der Niagarafälle.
Zurück geht es wieder auf dem „Queen Elisabeth“-Highway, eine Reminiszenz an das Mutterland, mit dem man ja immer noch stark verbunden ist.
Toronto lässt sich für uns sehr gut zu Fuß erkunden. Dazu passt auch eine Fahrt mit der Fähre zu den Toronto Islands, zufällig an einem Sonntag, an dem die ganze Stadt unterwegs ist. Alles ist kanadisch-entspannt, auf den Wiesen stehen Schilder: „Betreten erwünscht!“ Großfamilien beim Picknick zuzuschauen ist immer wieder ein Erlebnis. Wagemutige springen in den Lake Ontario, der wie ein Meer erscheint. Vom anderen Ufer ist nichts zu sehen. Es ist ein guter Vorgeschmack, auf das, was uns in den nächsten Tagen auf unserer Fahrt entlang des Lake Superior erwartet - endlose Weite.
Am nächsten Tag geht es endlich los, mit einem Uber-Taxi kommen wir in den Vorort Brampton, wo der Vermieter Canadream seinen Sitz hat. Wir haben Glück und erhalten einen fast neuen Ford Coachman, ideal für zwei Personen. Im Vergleich zu den riesigen RVs, die uns immer wieder begegnen, wirkt er zwar klein. Er ist aber vollkommen ausreichend, wie wir in den nächsten vier Wochen feststellen werden. Vor allem braucht er nur etwas über 14 l Benzin pro 100 km.
Unsere ursprüngliche Idee, die Fahrt über die Bruce – Halbinsel des Lake Huron zu beginnen, müssen wir leider aufgeben, die Fähre zur Manitoulin Insel ist schon ausgebucht. Aber auch die alternative Fahrt über das Ostufer des Lake Huron und Sudbury erscheint reizvoll. Bereits in der ersten Nacht können wir an einem der vielen Provincial Parks Halt machen, mit einem angenehmen Bad im zugehörigen Six Mile Lake: Ontario – das Land der tausend Seen.
Die nächsten Tage sind geprägt von der Fahrt entlang des unvorstellbar großen Lake Superior, der 1/10 der gesamten Süßwasservorräte der Erde enthält. Er funktioniert wie eine große Klimaanlage, im Sommer eher kühl, im Winter nur gemäßigt kalt. Das Wasser hat durchschnittlich nur etwa 4°, im Sommer ist es an den Stränden zum Glück deutlich wärmer.
In Sault St.Marie besuchen wir das Heritage Center, in dem ein Steinhaus aus dem Jahr 1812 steht. Es gehörte einem reich gewordenen Pelzhändler, der ursprünglich aus der Schweiz stammte und sich hier im viktorianischen Stil einrichtete – ganz im Gegensatz zu den einfachen Holzhäusern rundherum. Im Pancake Bay Provincial Park – welch herrlicher Name! – ist das Wasser angenehm warm zum Baden. Ein wirkliches Highlight ist der am nächsten Tag folgende Pukaskwa Nationalpark. In seinem wunderbar gelegenen Campground verbringen wir mehrere Tage. Man kann herrliche Trails am Seeufer machen, an wildromantischen Stränden baden oder sich bei den Rangern ein Kanu ausleihen.
Uns genügen erst einmal 2 Stunden Wildnis – Feeling im Kanu. Mike, der Ranger informiert uns, dass wir entlang des Seeufers eine Kanutour mit Übernachtung auf eingerichteten Zeltplätzen machen könnten, die rund fünf Tage dauert. Am Ende würde man uns mit einem Boot abholen… Ein andermal vielleicht, wir müssen weiter. Neben uns auf dem Campground steht der große RV einer kanadischen Familie, die mit Hund und Katz unterwegs ist und sich gerade auf dem Rückweg von einer Tour bis zu den Yukon Territories befindet. So viele Tiere hätten sie gesehen! Und traumhafte Landschaften! Aber auf der Fahrt durch das eintönige Saskatchewan brauche man ein gutes Buch, damit es einem nicht langweilig werde. Gut, dass es auf dem Campground einen Bücherschrank gibt, aus dem man sich bedienen kann.
Die Fahrt entlang des Ufers bleibt abwechslungsreich. Kurz vor Thunder Bay erreichen wir die Trowbridge Falls, wo wir in den Stromschnellen baden können.
Hinter Thunder Bay erwartet uns mit dem restaurierten Fort William eine der größten Sehenswürdigkeiten von Ontario. „Living History“ ist ja eine kanadische Spezialität, wie wir schon auf früheren Reisen feststellen konnten.
Wir schreiben das Jahr 1816: in dieser größten Niederlassung der North West Company Handelsgesellschaft treffen sich Voyageure aus West und Ost mit der indigenen Bevölkerung und handeln vor allem mit den in Europa so begehrten Pelzen. Das Fort befindet sich auf dem Territorium des Stammes der Anishinaabe, die hier seit Generationen in Harmonie mit dem umgebenden Land leben und nun ihr Wissen mit den europäischen Partnern teilen. Das Ambiente im Fort ist „very british“, vor allem die Great Hall im Hauptgebäude mit dem Zimmer des Kommandanten. Interessant ist auch die Begegnung mit dem Doktor, der seine verschiedenen Instrumente vor sich ausgebreitet hat und nichts von indigener Medizin hält. Er hat selbstverständlich in London studiert. Bei den Voyageuren waren vor allem Verletzungen der Füße zu behandeln, die Mokassins waren wohl nicht gut geeignet in dem sumpfigen Gelände und bei der Kälte. Nach Montreal waren ca. 32 Portagen zu bewältigen, nach Westen noch mehr. Um 14:30 Uhr wird täglich die Ankunft des Kommandanten in einem großen Kanu mit anschließender Ansprache an die Beschäftigten zelebriert. Die Kanus konnten gewaltige Lasten transportieren, im Fort William gab es sogar eine „Kanu-Fabrik“.
Die weitere Strecke führt uns an den Kakabeka Falls vorbei, beeindruckend stürzt der Fluss circa 40 m in die Tiefe. Wir haben Glück mit dem Wetter, nach einem kurzen Schauer hält es bis zum Quetico Provincial Park, wo wir auch noch ein kurzes Bad im French Lake nehmen können, bevor ein größerer Schauer niedergeht. Der Park scheint ein Paddler Paradies zu sein, viele Kanus sind vor Ort gelagert. Die Fahrt geht nun über den abwechslungsreichen, aber einsamen Highway 11 nach Fort Frances, eine wieder einmal mit Ortscharakter aufwartende größere Siedlung. Über eine Brücke erreicht man den in Minnesota liegenden Nachbarort International Falls. Wir kommen in das Gebiet der Tausend Seen, Lake of the Woods. Am Caliper Lake befindet sich der nächste, wieder schön gelegene Provincial Park mit Campground. Der sehr gepflegte Badestrand ist menschenleer.
Vorbei an Kenora, dem Zentrum der Region mit offensichtlich hohem Lebensstandard überqueren wir schließlich die Grenze zu Manitoba, wo wir im Informationszentrum alle wichtigen Unterlagen zu diesem Bundesstaat und seiner Hauptstadt Winnipeg erhalten. Wir fahren direkt ins Zentrum von Winnipeg zu dem alten Handelsplatz „The Forks“ – am Zusammenfluss von Assiniboine und Red River – wo es genügend Parkplätze auch für Wohnmobile gibt.
Neues Wahrzeichen der Stadt ist das „Museum of Human Rights“, ein futuristischer Bau, weltweit einzigartig. Kate, eine sehr nette Mitarbeiterin erklärt uns die Geschichte dieses Gebäudes, das in privater Initiative von Bürgern Winnipegs entstanden ist. Erst zum Schluss gab es noch einen Bundeszuschuss aus Ottawa. Im ersten Stock werden alle Aspekte von Diskriminierung und Benachteiligung in der kanadischen Gesellschaft angesprochen. Im Stockwerk darüber steht der Holocaust mit all seinen Schrecken im Mittelpunkt. Insgesamt ein wirklich eindrucksvolles Mahnmal. Wir fragen uns: In wie vielen Ländern der Erde wäre ein solches Museum denkbar?
Der von uns ausgewählte Campground in Winnipeg befindet sich leider etwas außerhalb, wir müssen die Ausfallstraße bei enormem Verkehr mit vielen Baustellen und starkem Regen bewältigen.
Der nächste Tag ist zum Glück ein Ruhetag. Wir nutzen ihn zum Wäsche waschen und machen nochmals einen Abstecher in die Innenstadt von Winnipeg. Zunächst besuchen wir den Assiniboine Park mit einem eindrucksvollen Geo-Zoo, in dem vor allem die asiatisch-amerikanische Tierwelt vertreten ist, Europa kommt nicht vor. Besonderes Highlight ist die „Journey to Churchill“, ein riesiges Eisbären-Gehege, bei dem man in einem Tunnel unter den im Wasser schwimmenden Eisbären hindurch gehen kann. Die Bedrohung durch den Klimawandel gerade für diese fragile Gegend im Norden Manitobas wird eindrucksvoll dargestellt.
Neueste Errungenschaft auf diesem weitläufigen Parkgelände ist „The Leaf“, ein futuristischer botanischer Garten auf mehreren Etagen, der eng mit der Diversität von Winnipegs Einwohnern verbunden ist. Im mediterranen Teil stellt jeweils eine zugewanderte Person eine Pflanze aus ihrer Heimat vor, zum Beispiel eine Marokkanerin die Kardamompflanze. Auch ein gewöhnlicher Küchengarten ist zu besichtigen mit zahlreichen Tomatensorten usw.
In der Innenstadt landen wir wieder bei „The Forks“ und gehen zunächst in den Downtown Bezirk, wo wir natürlich auch auf einem der berühmten Walkways durch die Hochhäuser spazieren, auf dem man vor schlechtem Wetter geschützt ist. „The Forks Market“ hat auf mehreren Etagen alles, was das Herz begehrt, zum Beispiel auch eine Bierbar mit 18 verschiedenen Bieren vom Fass. Es gäbe noch so viel zu sehen in dieser weltoffenen Stadt, aber wir müssen weiter, der Riding Mountain National Park wartet.
Die Strecke ist lang, das Wetter regnerisch, die Landschaft großartig. Schon bei der Einfahrt in den großen Wasagaming Campground sehen wir einen Schwarzbären, der gemütlich die Straße überquert, bevor er im Busch verschwindet. Auf einem Trail zum Clear Lake liegen auch einige „bärige“ Hinterlassenschaften, entsprechend „bärenbewußtes“ Verhalten wird von den Rangern angeraten. Der See ist glasklar und warm genug zum Baden.
Der nächste Tag steht ganz im Zeichen von Tierbeobachtungen. Man hat uns geraten, möglichst früh zum Lake Aubry zu fahren, weil dann die Chancen hoch sind, die berühmte Bisonherde zu sehen. Schon auf dem Weg dorthin entdecken wir wieder einen Schwarzbären, der genüsslich Beeren vom Strauch pflückt. Von den Bisons ist zunächst nichts zu sehen, als wir einen Aussichtspunkt erreichen. Aber dann, bei der Weiterfahrt um eine Ecke treffen wir auf die ganze Herde von ca. 40 Tieren, ein urweltlicher Anblick! Dazu noch ein einzelner Büffel, der direkt neben der Straße im Gras liegt und sich im Staub wälzt. 1890 gab es nur noch wenige Exemplare, jetzt sollen es immerhin wieder 40.000 in ganz Kanada sein.
Der Lake Aubry ist sehr idyllisch gelegen, ideal für unser Frühstück. Die Fahrt durch den Nationalpark ist sehr schön, das Wetter wird immer besser. Zum Schluss senkt sich das hügelige Gelände in die Ebene ab, wir kommen in eine einsame Landschaft, die bald von großen Weizenfeldern geprägt ist. Hier haben sich viele Zuwanderer aus der Ukraine niedergelassen, vermutlich als Folge der russischen Revolution und der anschließenden Hungersnöte.
Die Überquerung der Grenze zu Saskatchewan fällt nicht weiter auf, landschaftlich ändert sich erst mal nichts. Erst am Schluss der Etappe im Echo Valley hat man das Gefühl, in einer anderen, trockeneren Gegend angekommen zu sein. Karge Höhen, fruchtbare Täler – in diesem Fall mit Stauseen – an deren Ufer sich die Kanadier schöne Häuser gebaut haben. Im gleichnamigen Campground haben wir einen fast mediterran anmutenden Stellplatz am Fuß eines kleinen Berges mit guter Aussicht über die Seen. Den Geräuschen und Gerüchen nach findet am Ufer ein Pow-Wow statt mit Trommeln und Grillfeuer. Wir sind zu müde, um hinzugehen und gönnen uns lieber noch ein Bad im See. Inzwischen haben wir 3000 km hinter uns und fast jeden Tag konnten wir baden!
Am nächsten Tag kommen wir auf die endlosen Weiten der Prärie. Wir sehen riesige Weizenfelder, die mit großen Maschinen bearbeitet werden. 70% der kanadischen Weizenproduktion werden hier erzeugt.
In Regina, der Hauptstadt von Saskatchewan nehmen wir Kurs auf das RCMP (Royal Canadian Mounted Police) Heritage Center. Gegründet 1873 - deshalb 150-Jahrfeier in 2023 – ist diese typisch kanadische Institution eng mit der Geschichte Kanadas verbunden. Unser besonderes Interesse rührt auch daher, dass unsere Tochter 2017 ein halbes Jahr bei einer kanadischen Familie als Au-Pair verbrachte, deren Eltern beide bei der RCMP tätig sind. Der Kontakt besteht bis heute fort.
Schon die Gründung der RCMP ist legendär, es ging um die Bekämpfung des Whiskey-Schmuggels aus den USA. Die „Mounties“ haben sicher ihren Anteil daran, dass die aus den Wildwestfilmen bekannten, gewaltsamen Zusammenstöße der Neusiedler mit den Ureinwohnern auf kanadischem Gebiet kaum stattfanden. Interessant ist auch die im Heritage Center dargestellte neue Rolle bei der „Eroberung“ des Nordens von Kanada. So gelang z.B. einem von der RCMP entsandten Schiff die erste Umsegelung der Nordwestpassage im Polarmeer (1940/42). Auf einer großen Kanada-Karte werden alle First Nations Gebiete abgebildet sowie wichtige Stationen im Zusammenleben, bekanntlich durchaus spannungsreich. So wurde z.B. die letzte Residential School erst 1996 geschlossen, ein Umstand, der bis heute hohe Wogen schlägt.
Nach Regina nehmen die Weizenfelder weiter an Größe zu, die Landschaft hat bei inzwischen 34° einen etwas monotonen Charakter. Immer wieder sehen wir riesige Güterzüge vor Verladestationen.
Auf dem nächsten Campground treffen wir auf einen identischen Camper Van von Canadream, der von einem Schweizer Paar gefahren wird. Sie sind 6 Monate unterwegs und befinden sich schon wieder auf dem Rückweg nach Toronto. Mit dem Fahrzeug sind sie – wie wir – sehr zufrieden, es gab bisher keine Pannen. Erstmals nutzen wir in der Nacht die Klimaanlage im Van, wir nähern uns der heißesten Stadt Kanadas – Medicine Hat. Zunächst muss die Grenze zu Alberta überquert werden, wo wir im Visitor-Center wieder mit allen erforderlichen Materalien versorgt werden. Im Cypress Hills Provincial Park können wir wieder in einem Stausee baden und so die Hitze dieses Sommertages einigermaßen aushalten. Nachts ist es wieder angenehm kühl.
Am nächsten Tag geht es vorbei an Medicine Hat über weiter eintönige Strecken bis zum nächsten Höhepunkt, dem Dinosaur Provincial Park. Hier bricht die flache Prärie unvermittelt in das Tal des Red Deer River ab. Wir sind mitten in den „Badlands“ mit ihren geologischen Besonderheiten. Verschiedene Epochen der Erdgeschichte sind zu bestaunen, von denen die vergleichsweise kurze Zeit der Dinosaurier mit „nur“ 2,5 Mio. Jahren am interessantesten ist. Durch das Abschmelzen der Gletscher am Ende der letzten Eiszeit bis zur Höhe des Red Deer River wurden die alten Lagerstätten überhaupt erst zugänglich. Dass die Dinosaurier vor ca. 74 Mio. Jahren durch ein einzelnes Ereignis ausgestorben sind, ist mittlerweile die herrschende Meinung der Forscher. Auf der Halbinsel Yucatan in Mexico hat man den Krater des gewaltigen Meteoriteneinschlages identifizieren können, der dafür verantwortlich war. So sind die „Dinosaurierfriedhöfe“ in Alberta mit vielen gleichzeitig zu Tode gekommenen Lebewesen zu erklären. Die hohe Zahl dieser Riesenechsen auf dem Gebiet des heutigen Alberta erklärt sich durch die idealen Lebensumstände, die damals hier herrschten. Auf einer Rundfahrt mit kurzen Trailpassagen kommen wir an zwei Ausgrabungsstätten vorbei, in denen die Dinosaurier so liegen, wie man sie gefunden hat. Wir werden sehr gut informiert über die Geschichte dieser UNESCO-Welterbe-Stätte. Es gab von 1910-1917 einen regelrechten „Canadian Dino Rush“, als viele Funde gemacht wurden. Über 300 Skelette wurden geborgen, ca. 40 Arten entdeckt.
Auf einem schönen Trail am Flussufer begegnen uns am Abend einige Rehe mit Jungen, leider kein Elch, wie in den Tagen zuvor einigen anderen Campern.
Auf der Weiterfahrt nach Drumheller sind im Tal des Red Deer River bizarre Felsformationen zu besichtigen, sog. Hoodoos. Sie erinnern uns an die Erdpyramiden am Ritten in Südtirol. Zum Glück sind die Temperaturen etwas erträglicher, abends wird ein Wettersturz erwartet. Beim Besuch des weltweit führenden Dinosauriermuseums in Drumheller werden wir in weit zurückliegende Zeiten versetzt. Man kann die Erdgeschichte kaum anschaulicher darstellen als hier. Wir wandern entlang einer Zeitachse von der Urzeit bis ins heutige Holozän. Die einzelnen Epochen werden anhand von Mineralien und Fossilien erklärt. Besonders eindrucksvoll sind die in Alberta gefundenen Dinosaurierskelette, meist mit großen Panoramen im Hintergrund. So könnte es gewesen sein.
Am Ende des Rundgangs steht eine Übersicht über die Temperaturschwankungen in Verlauf der Erdgeschichte. Die grafische Darstellung des vom Menschen verursachten, extrem schnellen Temperaturanstiegs in den letzten 200 Jahren ist verbunden mit der Botschaft, den CO² Ausstoß zu reduzieren. Die aktuell sehr angespannte Waldbrandsituation in Kanada wird von zahlreichen Experten auch mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht.
Oberhalb des Red Deer River Tales ist die Landschaft wieder eintönig flach bis zu den Vororten von Calgary. Da wir diese freundliche Stadt schon von der letzten Reise her kennen, besuchen wir dieses Mal den etwas außerhalb liegenden Zoo, was auch den Vorteil hat, problemlos parken zu können. Auch hier wird das Prinzip des Geo-Zoos konsequent beibehalten, Europa und Afrika kommen nicht vor. Die beiden Grizzlies im Bärengehege machen deutlich, was mit Bären geschieht, die gefüttert werden bzw. sich Siedlungen nähern: Sie werden in der Regel getötet, wenn sie nicht wie hier das Glück haben, Aufnahme in einem Zoo zu finden. Der eine der beiden ist der bekannte „Skoki“, der vor Jahren auf dem Campground von Lake Louise ein Zelt samt Bewohnern aufgeschreckt hat. Seitdem gibt es einen Elektrozaun um das Areal…
Die Fahrt über den Millenium Drive, vorbei an Downtown, erlaubt gute Einblicke in den vergleichsweise hohen Lebensstandard dieser Großstadt. Mit den Rockies vor der Haustür ist es eine der am stärksten wachsenden Regionen Kanadas.
Nach dem Temperatursturz mit starkem Regen ist das Wetter am nächsten Tag wieder schön, ideal für die Fahrt in die Rocky Mountains. Der alte Highway 1A führt entlang des Bow River nach Banff, wo wir mit einem Shuttlebus ohne Parkplatzsorgen in die Innenstadt kommen. Dort hat sich seit unserem Besuch vor 6 Jahren nicht sehr viel verändert, die Shops sind witzig wie damals, die Hauptstraße ist jetzt Fußgängerzone. Die vielen Touristen scheinen überwiegend aus dem asiatischen Raum zu kommen; ein kleiner Spaziergang zu den großartigen Bow River Falls weckt Erinnerungen. Wir fahren weiter zum Lake Louise Campground.
Angesichts des großen Besucherandrangs brechen wir am nächsten Tag sehr früh auf, um noch einen Parkplatz am Ausgangspunkt der Wanderwege zu bekommen. Drei ältere Kanadier empfehlen uns, unbedingt den Trail auf den Big Beehive zu machen, von dem man eine großartige Aussicht auf den Lake Louise hat. Vorbei am Lake Agnes mit seinem Teehaus erreichen wir auf einem zuletzt ziemlich steilen Weg diesen Gipfel mit dem Blick auf den smaragdgrünen See. Wir nehmen den Abstieg zum Plain of Six Glaciers Trail, der noch weiter ins Tal zu einer bewirtschafteten Hütte führt. Hier geht es wieder „very british“ zu, es gibt Scones mit Marmelade und Tee.
Die Waldbrandsituation in British Columbia und den Nordterritories ist sehr angespannt, die Städte Yellowknife im Norden sowie Kelowna im Süden mussten schon zum Teil evakuiert werden.
Wir fahren weiter auf der uns von der letzten Reise schon bekannten Strecke über den Kicking Horse Paß, machen aber dieses Mal einen Abstecher in den Yoho Nationalpark zu den berühmten Takkakaw Falls, Kanadas zweithöchsten Wasserfällen. Die Fahrt stellt auch eine kleine Herausforderung an die Fahrkünste dar, weil eine Serpentine etwas eng ist und in „Bus-Taktik“, also rückwärts befahren werden müssen. Die Fälle sind spektakulär, sie werden von einem oberhalb liegenden Gletscher gespeist. Der Himmel ist leider ziemlich diesig, die Gipfel sind kaum zu sehen.
In Revelstoke kommt eine Art von „Heimat-Feeling“ auf. Bereits bei unserer Tour vor sechs Jahren fanden wir den Ort sehr reizvoll. Es gibt Cafés und die Häuser sind geschmackvoll restauriert. Der Campground liegt idyllisch am Williamson Lake, der wieder angenehme Badetemperaturen aufweist. Abends genehmigen wir uns ein Essen in der „Old School Eatery“, die sich tatsächlich in einem stolzen alten Schulgebäude befindet mit zahlreichen Fotos aus alten Zeiten und gutem Essen. Es waren damals sicher harte Zeiten, Revelstoke ist im Rahmen des Eisenbahnbaus entstanden und war ein Umschlagplatz für Holz usw. Heute hat es sich einen Namen gemacht als Zentrum des Helikopter-Skiings. Wir genehmigen uns zur Feier des Tages ein Bier aus der hauseigenen Brauerei, es gibt „Old School Lager“ oder „Westcoast IPA“.
Zwischenzeitlich hat es heftig zu regnen begonnen, es geht die ganze Nacht so weiter. Zur Eindämmung der Brände ist das sicher von Vorteil. Für uns ist es natürlich nicht so schön, am nächsten Tag die Tour zum Gipfel des Mount Revelstoke Nationalparks durchgehend im Regen zu machen. Wir gehen den Trail zum Fire Lookout und später folgen wir den Spuren der First Nations. Auf Informationstafeln sind wichtige Aspekte ihres früheren „paradiesischen“ Lebens in Form einer Erzählung festgehalten. Hervorgehoben wird immer die enge Naturverbundenheit.
Uns steht nun die Strecke durch die Berge in Richtung Whistler bevor, die durch die zahlreichen Waldbrände beeinträchtigt ist. Landschaftlich ist die Fahrt – bis auf den ersten Abschnitt entlang des oberen Okanagan Valley – etwas monoton. Sobald wir tiefer in die Berge kommen, ist alles braun, man sieht viele Spuren von früheren Waldbränden und nur wenige Siedlungen. Zum Schluss wird die Landschaft wieder spektakulär, es geht tief hinunter Richtung Fraser River und Lilloet. Der Fraser Cove Campground liegt direkt am Fluss, der hier sehr breit ist. Man kann an seinem Ufer herumwandern und den Fischern zuschauen, die hier den größten Süßwasserfisch Kanadas, den Stör, angeln und danach gleich wieder freilassen. Auf der Old Bridge über den Fraser River nistet ein Geier, es soll auch einen Bären geben, wie uns der nette Besitzer des Campgrounds erzählt.
Die wieder sehr anregende Weiterfahrt auf dem Highway 99 führt durch eine enge Schlucht, bis wir den Duffey Lake Provincial Park erreichen, wo sich mit ungeheurer Wucht zahlreiche Baumstämme am Abfluss des Sees aufgestaut haben. Im Hintergrund sieht man bereits die vergletscherten Berge der Garibaldi Mountains. Am kurz darauf folgenden Joffre Provincial Park könnte man eine Wanderung zu den Joffre Lakes machen. Es werden aber nur noch 1000 Touristen pro Tag zugelassen, ohne Vorbuchung haben wir keine Chance. Wir machen stattdessen einen Abstecher zu den Nairn Falls im gleichnamigen Provincial Park. Dann sind wir schon in Whistler und müssen uns in dem Wirrwarr eines großen Ortes zurechtfinden. Mit unserem Wohnmobil müssen wir in Overflow Lot 3 parken, eine Stunde kostet fünf Dollar. Ein kurzer Abstecher in die autofreie Fußgängerzone zum Visitor Center bringt immerhin die Erkenntnis, dass es möglich ist, den unteren Teil der Whistler Gondola durch einen Trail zu bewältigen und dann nur noch 42 $ statt 93 $ für den Tagespaß zu bezahlen.
Unser Campground außerhalb von Whistler ist voll belegt.
Am nächsten Tag führt uns ein großartiger Trail zur Mittelstation der Whistler Gondola. Zunächst geht es durch gemäßigten Regenwald, später durch einen Zedernwald mit bis zu 600 Jahre alten Bäumen. Entlang des Trails sind auf Tafeln Sinnsprüche von John Muir, Ralph Waldo Emerson und anderen Naturphilosophen zu lesen, die hervorragend in diese wilde Landschaft passen. An der Mittelstation steigen wir in die Gondel nach oben und nehmen später noch die Peak to Peak Gondel zum Nachbarberg Whistler Mountain, angeblich die weltweit längste Gondelbahn und auch die mit der größten Höhe von 436 m über dem Boden. An der Bergstation dreht sich alles ums Mountainbiken. Eine ausgewiesene MTB-Strecke führt mit zahlreichen Varianten mehr als 1200 Höhenmeter ins Tal. Wir machen noch einen kurzen Trail zum Harmony Lake, wo wir Murmeltiere beobachten können. Im Hintergrund ist die imposante Garibaldi Range mit ihren Gletschern zu sehen.
Der nächste größere Ort ist Squamish, an einem weit ins Landesinnere reichenden Fjord der Straight of Georgia gelegen. Wir sind am Pazifik angekommen! Wie zum Beweis liegt am Hafen ein großes Schiff vor Anker. Mitten in dem lebendigen Ort findet ein Bauernmarkt statt, ein Open Air Musikfestival wird gerade aufgebaut. Der Ort ist Zentrum der Kletterer, die am einzigartigen Granitfelsen Stawamus Chief über 50 Routen vorfinden.
Erstmals konnten wir keinen Campground vorreservieren. Nach einigem Suchen finden wir den Mamquam River Campground ohne fließendes Wasser, dafür aber idyllisch am Fluss gelegen.
Bei unserem Abstecher zu den Shannon Falls, die kurz hinter dem Kletterfelsen herabstürzen, treffen wir wieder auf sehr viele Touristen. Hier ist touristischer Hochbetrieb wie bisher nahezu überall in British Columbia. Das Wetter ist fantastisch, vor allem die Sicht auf die Coast Range mit vergletscherten Bergen. Das letzte Teilstück ist die Tantalus Range. Vorbei am Britannia Beach und dem Porteau Cove Provincial Park kommen wir zum offenen Meer. An der Horseshoe Bay Fährstation werden erneut Erinnerungen wach an die letzte Reise 2017, die uns auch an die Sunshine Coast führte.
Vor Vancouver wird der Verkehr immer dichter, inzwischen beträgt die Temperatur auch wieder über 30°. Rundherum ist die Vegetation braun gebrannt, man spürt die lang anhaltende Trockenheit, die auch der Hauptgrund für die vielen Waldbrände in diesem Jahr ist.
Unser letzter Campground liegt in Surrey - nicht sehr idyllisch, aber für die letzte Nacht ausreichend. Nach genau 5570 km geben wir das Fahrzeug wieder ab, es hat uns treue Dienste geleistet. Die Rückgabeprozedur geht unkompliziert vor sich. Mit einem Uber-Taxi sind wir schnell im Zentrum von Vancouver, wo wir ein sehr angenehmes Zimmer im Hotel Rosedale on Robson vorfinden. Sogar eine kleine Küche ist vorhanden.
Auch bei Regen – wie am nächsten Tag – fühlt man sich in dieser schönen Stadt sehr wohl. Es gibt so viel zu sehen. Ein Abstecher zur herrlich freakigen Granville Island gehört ebenso dazu wie ein Besuch der kleinen, überschaubaren Altstadt rund um die Dampfuhr und ein Spaziergang an der Harbourfront, wo immer wieder Wasserflugzeuge starten und Ozeanriesen be- und entladen werden.
Unser letzter Tag ist wieder strahlend schön, ideal für eine ausgiebige Fahrradtour. Das ist mittlerweile in Vancouver ganz einfach, man nutzt die zahlreichen Leihradstationen und kann mit einem Tagespass für 19 $ immer wieder eine halbe Stunde kostenlos fahren. Man arbeitet sich so von Station zu Station voran und kann zwischendurch schöne Pausen einlegen. Es geht einmal rund um den großartigen Stanley Park mit Kaffeepause an der English Bay, dann um den gesamten False Creek, wieder mit Halt in Granville Island – heute mit Musikdarbietungen. Der Radweg endet am Kitsilano Beach, wo sich zahlreiche Hunde austoben. Zurück nehmen wir einen Aquabus.
So geht eine lange Reise ebenso entspannt zu Ende, wie sie begonnen hat. Dank der rücksichtsvollen Fahrweise der Kanadier verlief sie völlig stressfrei.
Im sehr schön mit Motiven aus British Columbia gestalteten Flughafen überlegen wir beim Warten auf den Rückflug schon, wohin es beim nächsten Mal gehen könnte. Ein netter Anbieter von Ahornsirup – im früheren Leben war er bei der RCMP – gibt uns den guten Rat, doch unbedingt den Norden zu erkunden, die Yukon Territories seien wirklich eindrucksvoll. Also – sobald als möglich auf zum nächsten kanadischen Abenteuer, wir kommen gerne wieder!