Just Kanada – und doch soviel mehr!
Mietwagenreise
Ein Beitrag zum Textwettbewerb 2025 von Kanadafieber-Kundin Nicole Neumann
Es ist nicht unsere erste Reise nach Kanada gewesen und wird auch hoffentlich nicht die Letzte gewesen sein. Dennoch stellt diese Reise für meinen Mann und mich etwas Besonderes dar. Zum einen, weil wir in Kanada schon unsere Hochzeitsreise verbracht haben und nun zur Silberhochzeit wieder dorthin wollten. Manche Dinge sollte man nicht auf die lange Bank schieben und manche Dinge erwachen plötzlich so vehement, als wäre man aus einem Tiefschlaf hochgeschreckt. Manche Dinge… hier einfach die Liebe zu Kanada genannt.
Unsere Reise beginnt Anfang Juni dieses Jahres mit unserem Flug von Frankfurt nach Edmonton über Calgary. Am Flughafen Calgary werden wir mit einem warmen „Welcome to Canada“ empfangen und warten auf unseren Anschlußflug, doch bald schon ist die Rede von 3 Stunden. Nicht toll, aber was solls? Wenig später erfahren wir mehr oder weniger zufällig: unser Flug wurde gestrichen! Nicht gut, alle Lebensgeister erwachen und wir suchen die Info auf. Wir erfahren, dass wir bereits auf den nächsten Tag umgebucht wurden! Nicht gut, denn wir sollen um 8 Uhr abgeholt werden, während unser Flug erst um 8.30 Uhr starten soll! Irgendwie gelangen wir glücklicherweise an unser Gepäck, welches eigentlich direkt weitergeleitet werden sollte. Unsere Entscheidung, kurz vor Mitternacht, ist schnell getroffen: will das Flugzeug nicht, wollen wir ein Auto! Na ja, die anderen Passagiere leider auch, denn es geht kein einziges Flugzeug mehr aufgrund einer Schlechtwetterfront. Wir klappern alle Mietwagenfirmen ab und am buchstäblich letzten Stand erwischen wir noch einen Mietwagen – one way, Nachtzuschlag, Angebot und Nachfrage – dafür hätten wir glatt ein Taxi nehmen können für die knapp drei Stunden Fahrt! Wir fahren also nach 24 Stunden auf den Beinen in die Nacht hinein, wechseln uns ab, halten uns wach und erreichen Edmonton um 2.30 Uhr nachts und viel wichtiger: wir stehen nach knapp 4 Stunden Schlaf pünktlich im Hotel zur Abholung bereit – bei strahlendem Sonnenschein!
Mag sein, dass der Start nicht optimal war – it´s just nature – ein Satz, den wir noch einige Male zu hören bekommen und nie ist er so zutreffend, wie in Kanada und trotzdem ist es immer gut, nur vielleicht anders, als man denkt. Auf jeden Fall haben in diesem Chaos alle Beteiligten stets die Ruhe bewahrt und waren immer freundlich und hilfsbereit. Wenn ich daran denke, dass der Veranstalter uns sogar später nochmals extra abgeholt hätte, wenn wir es nicht in Eigenregie geschafft hätten. Das wären für die Jungs zweimal 3 Stunden Fahrt extra gewesen!
Tief durchatmen, ankommen und während der Fahrt zu den Kanus und den anderen Teilnehmern noch etwas dösen. Dösen? Auf keinen Fall. Schnell kommen wir mit der kleinen Gruppe, mit der wir zusammen abgeholt wurden, ins Plaudern und sehen in der Ferne die Rockies auftauchen.
Kurz vor Hinton treffen wir auf den Rest der Gruppe. Mit zwei Guides werden wir mit 13 Leuten den Athabasca River bis nach Whitecourt hinunterpaddeln. Die letzten Einkäufe werden gemacht, dann geht es zunächst auf einen See in der Nähe, um die Paddelkünste zu testen und Boote zu verteilen. Die Sonne strahlt mit unseren Gesichtern um die Wette. Gleich am nächsten Morgen packen wir unsere Sachen in die Kanus, verstauen die Vorräte und bekommen ein paar Tipps für das Paddeln auf dem Fluss. Der Athabasca ist breit und die Strömung kraftvoll. Dichte Wälder säumen die Ufer. Ein bisschen Respekt kommt kurz auf. Ich verlasse mich dabei voll auf meinen Mann, der den Steuermann hinter mir gibt und auf die Aussage, dass noch kein Teilnehmer unfreiwillig baden gegangen ist. Und dann gleiten wir auch schon in die Strömung hinein und werden vom Fluss getragen. Die Kanus wirken schnell wie bunte Farbtupfer auf dem Wasser. Keine zwei Stunden später fliegt schon der erste Weißkopfseeadler majestätisch dicht über unsere Köpfe hinweg, einfach so, als sei es das Normalste der Welt. Am Nachmittag finden wir unseren ersten Übernachtungsplatz auf einer kleinen Halbinsel auf der rechten Seite des Flusses. Das Herauspaddeln aus der Strömung und das punktuelle Anlegen am Ufer ist spannend – und zum Glück erfolgreich. Wie ein bereits eingespieltes Team bauen wir das Lager auf und suchen uns geeignete Stellen für unsere Zelte. Die Kanus werden für die Nacht sicher vertäut und das Lagerfeuer angezündet. Das Camp ist wunderbar wild. Ein Trampelpfad führt von der Ufer- und Feuerstelle an der Böschung vorbei zu einer kleinen Wiese, auf der wild durcheinander junge Kiefern wachsen. In den Zwischenbereichen stellen wir die Zelte auf. Weiter hinten durch wird die Halbinsel steiniger. Dort sammeln wir ausreichend getrocknetes Feuerholz. Dort am Ufer und auf der anderen Seite in einem kleinen Wäldchen ist auch unser „Badezimmer“. In der beginnenden Dämmerung hören wir viele Vogelstimmen, darunter auch die Spottdrosseln, die sehr lustig klingen, Adler auf Suche nach ihrem Abendessen, und Eulen. Mein Blick wandert immer wieder auf den Fluss und ich nehme mir die Auszeit und hocke mich ans Ufer, um einfach nur dem stetigen Strom und Plätschern zu lauschen. Detox pur, denn Handyempfang haben wir schon eine Weile nicht mehr. Es ist so friedlich, und einsam, und groß – und einfach nur schön. Auch am Lagerfeuer herrscht Gemütlichkeit. Jeder scheint auf seine Weise herunterzukommen, die Flammen des Feuers züngeln ihre Geschichte, der wir alle lauschen, bis wir in unsere Zelte kriechen.
Beim Aufstehen wissen wir es noch nicht, was alles heute auf uns zukommt. Früh am Morgen, die Sonne steigt gerade hinter den Bergen auf, ist der Fluss ruhig und schlummert beinahe noch. Ich bin nicht die Einzige, die so früh schon auf ist, aber wir reden nicht, wir genießen. Kleine Wolken hängen noch in den Wäldern, verziehen sich aber schon. Kurz darauf knistert das Feuer, brutzeln das Rührei und der Speck und die Lebensgeister erwachen. Bevor wir aufbrechen, bekommen wir genaue Anweisungen zu ein paar Flussbiegungen, die wir achtsam ansteuern müssen, um nicht von der Strömung auf Sand- oder Kiesbänke getrieben zu werden. Außerdem müssen wir einige Passagen mit Whitewater passieren und an Gravelbanks die Flussseite kreuzen, um jeweils die sichere Passage zu nutzen. Und da ist er wieder – der Respekt vor dem Fluss. Zum Glück haben wir schon einige Paddelerfahrung, aber auch unsere Anfänger in der Gruppe meistern später die Strecke ohne Probleme. Wir sind alle aufmerksam und paddeln gewissenhaft. Die Kurven kommen, die Kanus finden ihren Weg, alles geht gut – auch das Kreuzen und die Passagen mit den höheren Wellen macht letztlich richtig Spaß. Danke für all die guten Tipps! Wir haben gute Laune und der Himmel strahlt in hellem Blau, als wir zur Mittagspause auf einer kleinen Insel halten. Noch ehe wir unsere Hot Dogs essen können, finden wir ganz frische Spuren eines Bären, der dort wohl gerade sein Mittagessen verfolgt hat. Sicherheitshalber sehen wir uns noch einmal um, bevor wir das Essen auspacken, doch die Luft ist rein. Anschließend beweist das Wetter in den Rockies, wie schnell es sich ändern kann. Wolkenberge ziehen auf, der Himmel verdunkelt sich, Grummeln ist in der Ferne zu hören und der Wind nimmt zu. Bald wird es zu gefährlich, auf dem Fluss zu bleiben, zumindest für den Moment. Wir steuern ein flaches Ufer an, an dem wir zur Not das Wetter abwarten können. Das Grollen wird lauter, Regenschleier sind über dem Berggrad vor uns. Eine knappe halbe Stunde später wird entschieden, wir paddeln weiter, aber sicherheitshalber nehmen wir einen Campground früher als geplant als Übernachtungslager. Was wir nämlich auf jeden Fall noch tun müssen, ist Wasser holen. Um unser Trinkwasser aufzufüllen halten wir an einem Felsenvorsprung an, aus dem frisches, sauberes und unglaublich leckeres Wasser herausfließt. Die Kanister werden drangehalten und aufgefüllt und weiter geht es. Wir spüren die Notwendigkeit zur Eile. So erreichen wir die Stelle, wo wir unser Lager aufstellen wollen buchstäblich in letzter Sekunde. Kaum sind die Kanus ausgeräumt, gerade die Plane für die Campküche aufgezogen und einige Zelte aufgebaut, da prasselt eine heftige Regenschauer auf uns nieder. So plötzlich wie sie kommt, ist der Spuk auch wieder vorbei. Nach und nach richten wir uns ein und als wir das Abendessen zubereiten, ist es wieder trocken, der Wind hat sich gelegt. Es ist frisch und wir tummeln uns dicht ums Feuer herum. Doch dann siegt die Neugier. Auf dieser kleinen Halbinsel gibt es viel zu entdecken. Zwei von uns gehen Angeln, doch der einzige Fisch, der anbeisst, darf nicht gefangen werden – Petri Pech! Ein paar gehen auf Entdeckungstour und wir anderen spielen am Ufer Steinchen Boules. Plötzlich sehe ich etwa 25 m Entfernung eine Bewegung. Ich blicke auf. Etwas bewegt sich am Uferbereich, wo dichtes Gestrüpp bis fast zum Wasser wächst. Ich stupse einen unserer Guides an, der gerade neben mir steht an. Vor lauter Aufregung fehlen mir abrupt die richtigen Worte und ich sage: „Hey, das sieht aus, wie ein Hase, der sich gerade die Ohren putzt.“ Der Blick, den ich dafür ernte, ist Gold wert und ich muss selbst lachen. Im zweiten Anlauf meine ich: „Seht doch, da vorn – ist das … ein Luchs???“ Ich konnte es nicht glauben. Wir waren sprachlos. So standen fünf staunende Leute vor ihrem Camp wie Statuen mit einer Handvoll Steine in der Hand und schauten gebannt zu dem Tier mit den Puschelohren und getupften Fell hinüber. Und was macht der Luchs? Der coole Typ muss uns schon eine ganze Weile beobachtet haben, was wir so treiben. Und jetzt putzt er sich in aller Ruhe weiter. Selbst als unsere Angler und noch dazustoßen. Erst dann wird es ihm dann doch zu viel Aufmerksamkeit oder er hat einfach keine Lust mehr. Mit einer lässigen Geschmeidigkeit wendet er sich ab und stapft die Böschung hinauf in die Wälder. Wie man uns dann sagte, zählt die Sichtung eines Luchses 10x soviel wie die eines Bären, weil sie eigentlich so scheu sind. Na, da hat unser Luchs wohl in der Schule nicht aufgepasst.
Mit einem beeindruckenden Abendrot und einem Schwarm vorbeiziehender Pelikane geht auch dieser ereignisreiche Tag zu Ende.
Den Zeltplatz verlassen wir nur ungern. Es war schön hier. Etliche Pelikanschwärme begleiten uns bei unserer Weiterfahrt. Diese Vögel sehen in freier Natur beim Fliegen viel erhabener und beeindruckender aus, als in einem Gehege. Ich werde sich zukünftig mit anderen Augen sehen, das ist mal sicher. Immer wieder bietet der Fluss an, dass wir unsere Kanus zu einem Raft zusammenschließen und uns einfach treiben lassen, dabei dösen, quatschen oder Snacks herumreichen. An einer weiteren Gabelung, als wir eigentlich mit Steuern und Paddeln beschäftigt sind, treffen wir auf eine Elchkuh mit ihrem Kalb. Während die Mutter sichtlich skeptisch ist und weiterdrängt, ist ihr Kalb fasziniert von uns und bleibt immer wieder neugierig stehen. Wir in der Strömung auf jeden Fall nicht. Es reicht für ein paar schnelle Fotos und kurzen Bestaunen, dann sind wir schon vorbei, sehr zur Beruhigung der Mutter zumindest. Wir fahren weiter auf ein großes Felsmassiv zu. Umringt von den hohen Felsen kommen wir uns in der Weite der Landschaft noch kleiner vor. Auf der linken Uferseite befindet sich eine winzige Bucht, durch überhängende Äste kaum zu sehen. Dort legen wir mit den Kanus an, um eine kleine Wanderung auf den Image Rock zu machen. Die sieben Kanus passen geradeso hinein. Die darin liegenden Holzstämme und Felsvorsprünge sind mit Moos und Farn bewachsen und durch das Oberlicht fällt warmes Licht herein. Ein wunderbarer, kleiner Ort. Ein tierischer Trampelpfad führt in kleinen Serpentinen auf das Felsplateau hinauf. Der Weg lohnt sich. Wie sehen von hier oben weit in beide Flußrichtungen hinein. Auf dem kleinen Vorsprung unter uns steht ein Stein, in der Form eines Fisches, etwa 3 m groß und hat dem Felsen wohl seinen Namen gegeben. Diese Flußbiegung mit dem prägnanten Felsen diente einst den Pelzhändlern als Wegmarkierung. Auf dem Athabasca herrscht Anfang des vorigen Jahrhunderts reger Pelzhandel und die Boot fuhren wohl tatsächlich nicht nur stromabwärts, sondern auch aufwärts, da es lange Zeit der einzige Weg war. Mit rhythmischen Liedern und vollem Einsatz arbeiteten sie sich gegen die Strömung flussaufwärts, um Vorräte zu verbringen. Was muss das für eine Schufterei gewesen sein? Wir hören noch so einige Geschichten über den Fluß und seine Landschaft, bevor wir uns wieder auf den Weg machen. Allmählich tauchen auch wieder Spuren der Zivilisation hier und da auf. Eine Gleisstrecke begleitet uns eine Weile am rechten Ufer entlang und verschwindet dann wieder aus dem Sichtfeld. Wir kommen an weiteren Weißkopfseeadlern vorbei, die die Sonne genießen, ein Rudel Hirsche watet am Ufer entlang und eine weitere Elchkuh stapft mit ihrem Kalb durchs Wasser und diesmal haben wir etwas länger Gelegenheit, die Beiden zu beobachten. Am Abend sind wir alle etwas melancholisch. Der letzte Abend. Passend dazu gibt es wieder ein tolles Abendrot, wir sitzen alle am Feuer und erzählen Geschichten und hören einfach nur zu. Heute gibt es zum Abschluss als Nachtisch S´Mores, Marshmellows mit Keks und Schokolade. Erwartungsvoll wie Kinder halten wir unsere Stöcke ins Feuer und versuchen, die perfekte Bräunung der weißen Schaumbälle zu erreichen – oder sie wenigstens nicht ins Feuer fallen zu lassen. Es wird der längste Abend am Feuer, keiner will ihn beenden, da es der Letzte unserer Kanutour ist.
Am nächsten Tag ist alles viel zu schnell vorbei. Obwohl wir noch einmal ein paar Stunden auf dem Fluss sind, fliegt die Zeit. Da kommt schon die Brücke bei Whitecourt. Ein letztes Mal aufpassen, wo wir hinpaddeln, uns hinter der Brücke passend ans Ufer gleiten lassen – und dann ist Schluss. Der Transporter steht schon bereit, wir ziehen die Kanus an Land, verstauen alles. Es gibt ein letztes gemeinsames Abendessen in Edmonton, herzliche Umarmungen zum Abschied und die Wege trennen sich – leider. Für mich und viele von uns hätte die Tour noch um ein paar Tage verlängert werden können.
Ein weiterer Abschnitt unseres Urlaubes beginnt.
Wir erhalten unseren Mietwagen für die nächsten drei Wochen und staunen über die Größe des Pickups. Später staunen wir, dass wir noch Größeren begegnen auf den Straßen, wo wir nur noch die Motorhaube im Fenster sehen. Wir erreichen am frühen Nachmittag den Eingang zum Nationalpark und schon tummeln sich die ersten Rehe auf der Straße. Je weiter wir uns Jasper nähern, desto öfter sehen wir schon Spuren es großen Feuers aus 2024. Erst vereinzelte Abschnitte, die auf uns schon Eindruck machen, dann plötzlich mit Erreichen der Stadt sehen wir ringsherum, soweit man sehen kann, das Ausmaß der Katastrophe. Ganze Berghänge bis zur Baumgrenze sind abgebrannt, verkohlte Stumpen ragen ihre Spitzen gen Himmel, das was grün sein sollte, ist braun und schwarz. Im ersten Moment sind wir einfach nur geschockt und betroffen. Und dennoch. Die Landschaft büßt nichts von Ihrer Anziehungskraft ein. So grotesk es auch ist – es ist Natur. Ich bin von dem Anblick gleichermaßen bestürzt und fasziniert. Was für eine Urgewalt, die da über Land, Tier und Mensch hereingebrochen ist! Sobald wir genauer hinsehen, sehen wir, wie Neues wächst und entsteht. Tiere, die durch die kleinen Schonungen stapfen und das frisch gewachsene Gras zupfen, Fireweeds, die zart erblühen und mit ihren lila Blüten das Braun auflockern. Auch gibt es einheimischen, vielleicht durch starken Bewuchs verdrängten Pflanzen, neuen Lebensraum – auch das lernen wir. Die Stadt Jasper selbst hat es natürlich auch getroffen. Vieles ist im Aufbau, die Leute emsig bemüht, die Gebäude wieder herzustellen. Wenn man mit den Leuten spricht, so hört man meist sowas wie „Aufstehen, Krönchen richten, weitermachen“ heraus. Das Flair der kleinen Stadt in den Rockies ist auf jeden Fall erhalten geblieben. Und unglaublich ist, wie das Feuer scheinbar willkürlich Gegenden total verwüstet oder wundersamerweise verschont hat. Wohl auch ein Verdienst der Firefighter vor Ort.
Becker´s Chalets gehören glücklicherweise dazu. Während ringsherum die Schäden sichtbar sind, stehen die Hütten wie eine kleine Oase umringt von grünen Bäumen und frischen Gras. Der La Biche River fließt gleich daneben kraftvoll vorbei und lädt zum Rafting ein. Unsere Hütte ist klein, komfortabel und unglaublich gemütlich eingerichtet. Nach einer ausgiebigen Erkundung der Stadt und einem leckerem Alberta AAA Steak lassen wir den Tag am Fluss ausklingen.
Der Maligne Canyon ist noch geschlossen aufgrund der Nachwirkungen des Feuers, aber wir fahren durch zum Maligne Lake. Dabei kommen wir am Medicine Lake vorbei, der sich mit seiner einfachen Landschaft und Stille präsentiert. Am Kopf des Sees thront hoch oben in einem Baum ein Weißkopfseeadlerhorst mit zwei Jungvögeln. Die Eltern fliegen über unsere Köpfe hinweg und behalten alles im Auge. Der Maligne Lake liegt noch ein bisschen im morgendlichen Dunst, als wir ankommen. So entscheiden wir uns zunächst für den Moose Lake Loop. Den kleinen Waldsee erreichen wir über einen wurzeligen kleinen Pfad. Elche sehen wir nicht, dafür sind vielleicht schon ein paar Wanderer zu viel unterwegs. Der See fasziniert. Er ist weder besonders groß oder spektakulär, außer wenn vielleicht Elche zur Wasserstelle kommen, aber diese Stille! Wir stehen an dem Aussichtsplatz, der mit ein paar liegenden Baumstämmen zum Verweilen einlädt und staunen. Wir hören nichts, absolut nichts. Es ist wie ein Vakuum. Wir sehen ein paar Vögel, Wanderer am anderen Ufer, aber hören tut man nur die Stille. Tiefbeeindruckt genießen wir das geraume Zeit. Der Loop führt großzügig um den See herum, den Berg etwas hinauf, bis man ein gutes Stück weiter den Maligne Lake hinauf wieder zu dessen Ufern stößt und dort entlang zurückwandern kann. Der Weg ist interessant und keinesfalls langweilig, ein bisschen Klettern inklusive. Zu jeder Zeit hat man das Gefühl, dass Elche im Dickicht auftauchen könnten oder auch andere Tiere. Jetzt am Mittag strahlt der See in seiner vollen Schönheit mit dem beeindruckenden weißen Gipfeln auf der anderen Uferseite. Irgendwo auf der Strecke machen wir Rast und genießen die Aussicht. Später auf dem Weg zurück nach Jasper stehen wir mit einem Mal im Stau. Natürlich will jeder wissen, ob wir für einen Bären anhalten. Nein, eine Familie Dickhornschafe trappelt über die Straße und sucht eher ungeduldig als ängstlich nach einem Weg durch die Reihe der Fahrzeuge, um ins Dickicht abbiegen zu können. So ist das eben in Kanada.
Wir sind schon ein paar Mal in Kanada gewesen, aber tatsächlich noch nie auf dieser Straße. Kaum zu glauben. Die Straße allein ist einen ganzen Urlaub wert! Wir starten früh am Morgen, um möglichst vor dem großen Besuchersturm auf der Strecke zu sein und es gelingt uns. Erster Halt, die Athabasca Falls. Die Sonne ist aufgegangen und verspricht einen weiteren strahlenden Sommertag. Schön, dass wir dem Fluss noch einmal begegnen, dem wir eine so tolle Zeit verdanken. Der Wasserfall ist beeindruckend, mit welcher Kraft das Wasser angerauscht kommt und tosend den Canyon hinunterstürzt. Die Massen haben den Fels kugelrund ausgehöhlt, das Wasser gurgelt und tanzt , während es sich seinen Weg flussabwärts sucht. Die Morgensonne scheint goldfarben in den Canyon hinein, Wassertropfen glitzern und es ist einfach eine Farbexplosion der Natur. Mein Herz hüpft, so kitschig das aus klingt, egal. Ich versuche mir jeden Eindruck, jedes Bild, jeden Geruch genau einzuprägen für später.
Wir erreichen die Sunwapta Falls. Auf den ersten Blick wirkt der Wasserfall noch pittoresquer, weil der Fluss ringförmig eine kleine Insel umschließt ehe er sich mit Getöse in die Tiefe wirft. Wild schleudert das Wasser hin und her durch die Felsen, bis es durch den Wald hindurch und hinab in den Fluss La Biche entlassen wird. Ein kleiner Wanderweg von etwas mehr als einer Stunde begleitet das Wasser hinab zum Fluss. Ich bin hin und her gerissen, welcher Wasserfall mir besser gefällt und komme zu der Entscheidung, dass ich keine Entscheidung fällen muss. Beide haben ihren eigenen Charme und Charakter. Einfach wirken lassen, das reicht.
Weiter geht´s. Die Szenerie, die sich uns auf dem Highway eröffnet, hinterlässt tiefen Eindruck bei meinem Mann und mir. Die malerische Bergketten mit ihren schneebedeckten Spitzen, die wilden Flüsse, die dunkelgrünen Wälder. Nicht zuletzt fühlen wir uns auch dankbar, dass natürlich auch das Wetter mitspielt. Die Farben tanzen im Sonnenlicht. Der hellblaue Himmel bietet so einen tollen Kontrast und die Flüsse und Seen leuchten. Anders als in den Alpen zum Beispiel stören keine Siedlungen oder andere Straßen das Bild der freien Natur. Wir suchen in dieser Schönheit eigentlich einen geeigneten Platz zum Frühstücken. Langsam bekommen wir Hunger, denn wir sind so früh am Morgen gleich ohne Frühstück los und haben nur Brote und Kaffee mitgenommen. Doch stattdessen müssen wir plötzlich anhalten und spontan rechts ranfahren. Ein Rastplatz ist es nicht, einen Namen hat die Stelle auch nicht, dafür ein paar Hinweisschilder, wie die Berge vor uns heißen. Aber was für ein Panorama ist das bitte? Vor uns erstreckt sich ein riesiges Flussbett in türkis und hellblau, oft mit Kiesbänken und Gestrüpp unterbrochen, schlängelt es sich schon seit den letzten Wasserfällen an Bergen entlang und breitet sich hier nun aus und verschwindet vor uns im nächsten Tal. Wir sind umringt von hohen Bergen und Wäldern soweit das Auge reicht. Einer der höchsten Berge, der Tangle Ridge mit 3001m ragt links vor uns in den Himmel. Es ist wirklich wahr, hier ist ein Ausblick schöner als der andere. In unserem Fotobuch hat dieser Spot hier eine ganze Doppelseite bekommen. Unbeschreiblich schön klingt immer noch untertrieben. Ich will gar nicht mehr weg, aber es wartet noch so viel auf uns. Am Stutfield Glacier Viewpoint machen wir endlich Pause, sehr zur Freude zweier Krähen, die auf unser Essen lauern und dabei gar nicht scheu und vorsichtig sind. Wir genießen unsere Sandwiches bei toller Aussicht und lassen uns von den heran rollenden Bussen nicht stören. Die Busse sind wir nach der Pause schnell wieder los, denn sie halten alle am berühmten Columbia Icefield. Wir haben uns an der Stelle bewußt dagegen entschieden, es anzufahren. Man kann nicht alles auf einmal sehen. Wir halten auf dem oberen Parkplatz dennoch zumindest kurz an, um Bilder zu machen. Die Größenverhältninsse zum Gletscher und den winzigen Menschen und Autos ist ziemlich witzig. Und auch der rechts davon gelegene Athabasca Gletscher ist mindestens genauso beeindruckend und gefällt mir rein optisch sogar noch besser. Muss wohl am Namen liegen!
Der Highway nimmt uns weiter mit auf seine Reise gen Süden. Berge mit waagerechten Gesteinsschichten, die mit Schnee wie Zebras gestreift sind, wechseln mit Bergen, die weise Flecken wie Kühe haben und mit Schiefergebirgen ab. Den Grund für die wechselnden Gesteinsarten habe ich mir erklären lassen, aber leider schon wieder vergessen. Irgendetwas mit unterschiedlichem Alter oder Fortbewegung des Gebirges. Nachdem wir wieder in etwas niedrigere Regionen kommen, passieren wir u.a. die Weeping Wall, Wasserrinnsale, die hoch vom Berg an der Felswand herabfließen und diese aussehen lassen, als würde sie weinen. Und wieder fahren wir plötzlich rechts ran, diesmal am Waterfawl Lake. Das Türkis des Wassers hat uns förmlich geblendet. Wie kann Mutter Natur solche Farben nur aus dem Ärmel schütteln? Hier zu paddeln würde mir auch gefallen oder auch schwimmen zu gehen. Geschätzte 11 Grad Wassertemparatur lassen mich dann aber doch schnell wieder zur Vernunft kommen und ich beschränke mich aufs Bestaunen. Selbst ein paar Labradoren, die dort gerade herumlaufen, ist es zu kalt.
Bow Lake. Ich gelange allmählich ans Ende sämtlicher Komparative. Wir fahren die 93 a weiter, vor uns das bekannte Bergmassiv, links und rechts dichte Wälder. Auf einmal leuchtet vor uns etwas hellblau auf. Erst ein schmaler Streifen, der dann breiter und größer wird. Wir nehmen uns etwas Zeit und spazieren ein wenig am Bow Lake entlang. Eigentlich hätte er einen ganzen Tag verdient, haben wir aber leider nicht eingeplant. Ein Grund mehr, wiederzukommen.
Wir nähern uns Banff. Vor der Stadt gibt es einen weiteren Aussichtspunkt, der auf die umliegenden Berge verweist, wie z.B. den Bourgeau 2930m, der Sulphur 2451m. Die Rampe des Berges ist recht markant. Mein Blick fällt auf etwas vor uns, im Gras. Vermutlich hat man für Touristen einen Präriehund ins Gras gestellt, um die örtliche Fauna darzustellen. Keck und starr ist der Blick auf die Leute gerichtet – bis der kleine Kerl plötzlich blinzelt und die Nase rümpft. Der ist ja echt! Ich lache laut auf, doch das scheint ihn nicht zu beeindrucken. Wieder unbewegt steht er da auf seinen Hinterbeinen und läßt sich nichts entgehen. Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass ich nicht die Einzige bin, die auf ihn reingefallen ist.
Die Stadt liegt malerisch zu Füßen der Berge, überall sieht man holzverkleidete oder mit Felsen verklinkerte Häuser. Die Bilder aus den Fotobänden sind nicht übertrieben. Unser Hotel liegt mittendrin, auch innen ist alles mit Holz verarbeitet und ein großer Kamin mit gemütlicher Sitzgelegenheit begrüßt die Gäste. Wir können es kaum erwarten und streifen sofort neugierig durch das Städtchen. Nette Geschäfte, viele Einkaufsmöglichkeiten und gemütliche, abwechslungsreiche Lokale wechseln sich ab. Schnell wissen wir, wo wir die beiden Abende essen gehen werden. Auch einen kleinen Pub finden wir später und kommen über ein paar Bier mit den Leuten ins Gespräch. Am Vormittag haben wir notgedrungen noch etwas Zeit und genießen das Flair der Stadt in einem kleinen Teeladen. Die Auswahl ist riesig, die Inhaberin sehr freundlich und so lassen wir es uns draußen gutgehen. Kleine Spatzen tummeln sich um den Platz, in der Hoffnung ein paar Krümel aufzuschnappen. Auch wenn Banff gut besucht ist, es will keine Hektik aufkommen.
Es ist wirklich notwendig, sich für die Seen Lake Louise und Moraine Lake das Shuttle vorab zu buchen. Man lernt mit seinen Vorhaben. In letzter Minute haben wir dennoch Glück und erwischen noch zwei Plätze für den Mittag. Nicht optimal, aber immerhin kommen wir hin. Und es lohnt sich. Spontan entscheiden wir uns, den Moraine Lake zuerst anzusteuern. Wieder erleben wir diese herrliche, unglaubliche Farbe des Wassers. Es ist ein perfekt gemaltes Bild. Der See ist gesäumt von einer Reihe schneebedeckter Berge und eingerahmt durch die dunklen Bäume. Auch wenn wir nicht den Sonnenaufgang mitbekommen und auch viele Besucher gleichzeitig hier sind, ist die Aussicht spektakulär. Am liebsten würde ich mir dieses Türkis in ein Glas abfüllen, zusammen mit der Bergkulisse.
Als wir am Nachmittag den Shuttlebus zum Lake Louise nehmen, zieht sich das Wetter merklich zu. Wir entscheiden uns gegen die größere Wanderung und nehmen den kürzeren Aufstieg zum nahegelegenen Aussichtspunkt. Dort angekommen präsentiert sich der See immer noch imposant, doch ein kleiner Mitstreiter macht ihm die Aufmerksamkeit streitig. Links des kleinen Plateaus im Unterholz, keine 5 Meter von uns Menschen entfernt, knabbert ein Waldmurmeltier eifrig und unermüdlich an Ästen herum und läßt sich gerne filmen und fotografieren. Ein richtiges Wollknäuel, habe ich so auch nicht gesehen. Ein heftiger Donner reisst uns dann doch aus der Faszination in die Wirklichkeit zurück. Erste dicke Regentropfen landen auf unseren Köpfen und irgendwo hinter dem Hotel blitzt es auf. Wir machen uns rasch an den Abstieg. Pitschnass erwischen wir das Shuttle und bei Sonnenschein steigen wir wieder aus dem Bus aus. That´s nature.
Banff am folgenden Tag schon wieder hinter uns zu lassen, fällt nicht leicht. Auch wären wir gern noch nach Canmore weitergefahren – das ist ein weiterer Zettel auf der Pinnwand fürs nächste Mal.
Über Revelstoke gelangen wir nach Clearwater im Herzen des Wells Gray Provincial Park in British Columbia und verlassen damit Alberta. Und lassen damit auch für ein paar Tage die Gegenwart zurück. Clearwater war damals unser Haupt Dreh- und Angelpunkt der Hochzeitsreise. Wir wollen auf die Spuren der Vergangenheit gehen, unsere Vergangenheit. Als wir in Clearwater hineinfahren, werde ich ganz hibbelig. Vieles erkenne ich wieder, einiges ist neu. Sofort weiß ich, wo das Visitorcenter ist, der alte Einkaufsladen, die Straße zur Ranch, zum Fluß und den Helmcken Falls, aber auch noch den Weg zum Dunn Peak, komisch wie präsent manche Dinge bleiben, obwohl es so viele Jahre her ist. Noch bei der Ankunft fängt es an zu regnen. Dennoch hält es uns nicht davon ab, zu den Helmcken Falls hinauszufahren. Die Brücken auf der Straße sind weiter ausgebaut worden zu meiner Beruhigung, das war damals echt noch etwas abenteuerlicher. Am Wasserfall angekommen führt ein kurzer Pfad vom Parkplatz zum Ziel. Aus dem einfachen Holzgestell von damals ist eine solide, etwas höher gelegene Aussichtsplattform aus Metall geworden. Das Wasser stößt mit enormer Energie aus dem schmalen Schlot des Felsens und fällt 142 m tief in den Trichter. Die weiße Gischt schäumt wie dichter Nebel. Am Grund ist alles knallgrün bewachsen mit Moos und Gräsern. Hohe Felswände ragen zu beiden Seiten empor und bilden den Canyon. Man erkennt deutlich wie die Kräfte hier den Trichter weiter aushöhlen. Ein herrliches Spektakel.
Wir besuchen die Wells Guest Ranch am nächsten Morgen bei strömenden Regen. Dort haben wir damals eine Reit- und Kanutour gemacht. Kanufahren wird nicht mehr angeboten, so dass wir uns eine Tagesreittour gebucht haben. Es kam keine Absage, also gehen wir davon aus, auch bei Regen zu reiten. Nun gut, es gibt kein schlechtes Wetter, nur unpassende Kleidung. Wir erreichen die Ranch. Sie sieht noch genauso aus, wie damals. Nur die Besitzer haben gewechselt. Wir quatschen ein wenig über die letzten Jahre und dann kommen auch noch die weiteren Teilnehmer. Eine Mutter und ihr Sohn, beide unsicher, ob sie bei dem Wetter wirklich reiten möchten. Die Pferde werden verteilt, wir werden mit Wachsmänteln gegen den Regen ausgestattet und ich rechne es meinem Mann echt hoch an, dass er das schon wieder mitmacht, denn zugegeben reitet er sonst nie und nur für mich. Unser Weg führt aufgrund des Wetters nicht hinunter zum Fluss, da die Wege zu rutschig sind, stattdessen geht es in die Wälder. Wir queren quirlige Bäche, erklimmen kleine Böschungen und entdecken Birkenstämme mit Spuren von Bärenkrallen darauf. Der Regen tropft nicht nur von der Reitkappe herunter, als wir schließlich wieder an der Ranch ankommen. Mutter und Sohn sind schneller im Auto verschwunden, als wir es mitbekommen können. Wir machen noch einen Rundgang über die Ranch, zu den kleinen Cabins, in den Saloon und stellen vor dem Haupthaus noch ein altes Foto nach, was ich heraus gekramt habe. Damals – heute. Als wir auf dem Weg zurück nach Clearwater sind, brauchen wir keinen Scheibenwischer mehr… That´s nature. Wir nehmen es mit Humor. Zumindest ermöglicht dieser Umstand uns, am späten Nachmittag noch den Bailey´s Chute zu wandern. Der Rundweg führt durch den Wald zu drei Wasserfällen und einem stillen See. Ein Wanderpfad voller Gegensätze, von tosenden Wasserfällen, durch Dickicht und riesige Zedernbäume zu dem verträumten See, den man über einen Steg überquert.
Unser weißer Pickup sieht spätestens nach dem heutigen Tag nicht mehr wie ein Mietwagen aus. Dank der zahlreichen Gravelroads und dem Regen kann man die vorherrschende Farbe als matschbraun bezeichnen. Ziemlich deutsch beschließen wir, damit nicht in die nächste Stadt fahren zu wollen und spritzen ihn kurzerhand an der örtlichen Tankstelle einmal ab. Schließlich sind wir der Meinung, dass wir uns die riesige Grillplatte bei Hop „N“ Hog Tap & Smokehouse verdient haben heute. Gleich neben dem Visitorcenter gelegen ist der Grill ein echter Tip und tatsächlich für uns neu. Drinnen wie draußen gemütlich im Westernstil eingerichtet, können wir auch bei wiedereinsetzenden Regen draußen sitzen und den Tag ausklingen lassen.
Manchmal wird aus wenig viel mehr. Eigentlich fahren wir heute nur bis Whistler, um dort zu übernachten, bevor es dann morgen auf die Fähre nach Vancouver Island geht. Doch in Kamloops gibt es das Secwepemc Museum and Heritage Park, welches wir uns noch auf dem Weg anschauen wollten. Nur kommen wir gar nicht bis dahin. Die Straßen sind voll, Autos von überall her, Völkerwanderungen am Straßenrand. Unsicher fahren wir weiter, lassen uns zu einem Parkplatz leiten. Von einem Powwow ist die Rede. Wir folgen den Massen wie eine Ameisenstraße. Das Museum ist geschlossen, dafür entdecken wir Zeltplätze, Campingfahrzeuge und alles führt zum Kamloops Powwow Ground, einem Stadion. Wir lassen uns drauf ein und platzen mitten in eine jährliche Großveranstaltung hinein, bei der sich die nordamerikanischen indigenen Volksgruppen treffen zum Feiern, Singen und Zusammenkommen mit traditionellen Aufführungen und Kunsthandwerksständen. Das Stadion füllt sich und nach einem ersten Rundgang durch die Stände suchen wir uns einen Platz. Es ist ein buntes, lautes und fröhliches Spektakel. Alle Regionen werden mit Trommeln und Gesang vorgestellt und schließlich ziehen die Gruppen in einem langen Marsch mit Musik und Tanz ins Stadion ein. Die Reihe scheint kein Ende zu nehmen. Farbenfroh und total unterschiedlich ist die traditionelle Kleidung und der Federschmuck. Sehr beeindruckend, auch wie fröhlich und gemeinsam hier gefeiert wird, indigen oder nicht. Besser als jeder Museumsbesuch. Glück muss man haben und sich drauf einlassen wollen.
Schweren Herzens müssen wir die Veranstaltung dann aber verlassen. Schließlich haben wir noch ein paar Stunden Fahrt vor uns. Die Landschaft um Kamloops herum ist so anders als in den Rockies. Hügelige Prärielandschaft, meist mit kurzem Gras bewachsen, nur mit wenig Baumbestand. Irgendwie mag ich sie gern anschauen. Wir kommen an einigen Seen vorbei, deren Szenerie an die schottischen Highlands erinnert. Dann wird die Umgebung rauer. Die Grashügel werden von Felsen und trockenen Plateaus abgelöst, immer seltener kommen wir an Häuser oder Farmen vorbei. Die Canyon werden tiefer, die Wildnis unwegsamer, beinahe wüstenartig. Irgendwo wollen wir kurz Pause machen, aber hier scheint sich nichts anzubieten. Als wir nicht damit rechnen, stoßen wir auf den Railroad Tunnel Viewpoint im Fountain Valley vor Lillooet. Ein weiterer Wow Moment. Ein Fluss schlängelt sich tief im Canyon an uns vorbei, wild, hellgrau seine Farbe, umgeben von rotem und braunen Sandgestein inmitten dieser wüstenähnlichen Umgebung. Der Viewpoint befindet sich an einer Flussbiegung, so dass man zu beiden Seiten eine weite Sicht hat. Wir schnappen uns unsere Sandwiches und Wasserflaschen und setzen uns auf einem kleinen Felsen. Wir haben den Platz für uns ganz allein in dem Moment, nicht einmal ein anderes Auto kommt vorbei. Die Nachmittagssonne ist kräftig, kaum ein Lüftchen bewegt sich. Was für ein Klischee und so passend.
Whistler ist niedlich. Wir sehen nicht allzuviel davon, weil wir spät ankommen, aber das was wir sehen, gefällt uns. Es ist leicht zu glauben, dass man nicht nur im Winter hier eine gute Zeit verbringen kann.
Am nächsten Morgen brechen wir auch schon wieder früh auf. Wir wollen noch einen Abstecher zu den Train Wracks machen. Eine etwa 20 minütige Wanderung bringt uns zu der Hängebrücke, die wir überqueren müssen, um zu den Eisenbahnwaggons zu gelangen. Mitten einem Waldstück mit Giant Cedars liegen sie dann plötzlich vor uns, verstreut wie Legobausteine im Kinderzimmer. Sie sind durch ein Kunstprojekt mit bunten Graffitis besprüht worden. Das ist wieder so ein Farbkontrast zur natürlichen Umgebung mitten im Wald. Wir erkunden einen Waggon nach dem Nächsten, klettern dabei über riesige Wurzeln und nicht wenige Felsen. Insgesamt sieben Waggons liegen hier nachdem sie nach einem Unfall in 1956 kurzerhand von den Gleisen entsorgt worden sind. Bei dem ein oder anderen Waggon hätte es mich nicht gewundert, wenn ein vierbeiniger Bewohner herausgesprungen wäre.
Was man alles nur bei der Durchreise so erleben kann! Unsere Reise geht letztlich weiter zu ihrem nächsten Abschnitt. Etliche Kilometer weiter taucht wieder einmal ein Gewässer neben uns auf. Diesmal ist es kein See und kein Fluss. Es ist das Meer. Wir haben die Küste bei Vancouver erreicht und nähern uns der Fähre nach Nanaimo.
Ich glaube, ich habe einen kleinen Overload. Mir fällt es auf der Fähre unheimlich schwer, einen neuen Reiseabschnitt zu beginnen. Zu groß wirken die bisherigen Eindrücke und Erlebnisse bislang nach. So blicke ich dem Hafen von Nanaimo mit gemischten Gefühlen entgegen, als wir auf dem Deck der Fähre stehen. Die Anfertigung mit der Fähre verläuft reibungslos und wir fahren noch bis Campbell River, um dort zu übernachten. Spätestens als wir dort, beinahe versteckt, in dem kleinen Hafen ein Bistro finden, das auf dem schwankenden Steg umringt von Booten, Pommes, Fisch und Burger anbietet, erwacht mein Entdeckergeist aufs Neue. Die Abendsonne geht hinter den Häusern der Hafenstadt unter, die Möwen ziehen kreischend ihre Runden über unsere Köpfe hinweg und es geht uns gut. Bei einem Spaziergang am Ufer entlang entdecken wir überall auf Wänden, Felsen, Stromkästen maritime Malereien. Ich mag das und es sind schöne Motive.
Unser eigentliches Ziel ist Telegraph Cove. Wir fahren die unheimlich lange geradeaus und nochmal ein Stück weiter. Wenn es keine Insel wäre, hätte ich geglaubt, wir haben uns verfahren. Irgendwo im Nirgendwo biegen wir ab. Nichts und niemand scheint hier zu wohnen. Auf einmal fahren wir nach einer Brücke eine Anhöhe hinauf und wir sind da. Es geht an zwei, drei Häusern auf der rechten Seite vorbei, die Anhöhe wieder hinunter. Das Örtchen besteht aus einem langen Bootssteg mit verschiedenen Ferienhäuschen links und rechts, die früher mal Funktionsbehausungen waren. Davor gibt es das Infobüro für die Vermietungen und Angebote, die man buchen kann und den Generalstore. Treffpunkt für die Einwohner, umliegenden Nachbarn – meint bis ca. 20 km Umkreis – und Urlauber. Bäckerei, Souvenierladen und Restaurant in Einem. Das Wasser in der Marina ist so klar, dass man bis auf den Grund gucken kann. Wir beziehen ein süßes, kleines Cottage auf einem winzigen Stück Wiese, umsäumt von mächtigen Weiden. Danach bummeln wir Beide etwas in der Gegend herum, besuchen den Wood Art Store, an dem wir zu Beginn vorbeigefahren sind. Der Inhaber verkauft wunderschöne Dinge aus Holz gefertigt. Es ist in Kanada wirklich nicht schwer, ein bisschen ins Gespräch zu kommen und er und seine Frau erzählen uns ein bisschen über Telegraph Cove, welches aktuell aus ganzen 25 Einwohnern besteht. Bis zum Campingplatz gehen wir noch und zurück, an den Häusern vorbei bis zum Ende es Stegs, wo man auf die Bucht hinausblicken mit den zahllosen Inseln kann. Eine Ringwolke hat sich gebildet und umschließt eine größere Inselgruppe. Auf einem kleinen Fischerhäuschen sitzt ein Weißkopfseeadler. Es sind keine 30 m und als er sich erhebt und mit weit ausgebreiteten Flügeln dicht, sehr dicht über uns hinwegfliegt, kann man jede einzelne Feder und seine klaren Augen erkennen. Als wir später im Generalstore sitzen, wo alles liebevoll mit bunten Blumen dekoriert ist, schwirrt etwas in meinem linken Augenwinkel. Erst beim zweiten Mal erkenne ich, was es ist. Ein Kolibri! Ich habe noch nie einen in Natura gesehen und suche im Internet sicherheitshalber, ob ich tatsächlich recht habe.
Am nächsten Morgen schippern wir mit Tide Rip Beartours in die Buchten der Glendale Cove, um Grizzlys zu beobachten. Wir sind eine kleine Gruppe und werden gleich vor der Bucht von einem Orca begrüßt. Ebenfalls hat eine Gruppe Seelöwen lautstark etwas zu sagen, die wir, auf einem Felsen sitzend, passieren. Als wir ein paar Seehunde gefunden haben, passiert lange Zeit nichts und wir befürchten schon, das wars. Zum Glück nicht. Am Ende der Bucht von Glendale Cove entdecken wir sie. Es sind wirklich 2 Grizzlymütter mit ihren jeweils zwei Kindern. Sie sind den Guides durch das Bärenschutzprogramm bekannt. Es sind Lilian mit ihren beiden Jungbären aus 2024 und Thimble mit den Baby aus April 2025. An den beiden Familien kann man gut sehen, wie unterschiedlich Bären aussehen können. Grizzly ist nicht gleich Grizzly. Das Besondere an unserer heutigen Tour ist: wir haben Zeit! Es ist kein Hinfahren, Fotos machen, wegfahren. Sondern wir haben ausgiebig Zeit, in Ruhe zu beobachten. Das wissen wir zu schätzen. Erst zieht sich Thimble bei unserem Besuch etwas in die Böschung zurück, so dass wir bei Lilian bleiben, die Hunger hat und am Ufer nach Krebsen und anderen Kleintieren sucht. Dabei posiert sie ein paarmal extra für uns. Na ja, vielleicht hat sie auch überlegt, ob wir heute Freund oder Feind sind. Ihre Kinder sehen aus wie Teenies, schlacksig, noch kleiner, aber nicht mehr babyhaft. Sie machen schon vieles ohne ihre Mutter, gehen eigenständig auf Futtersuche, tollen herum. Als ihre Beiden müde werden und sich ins hohe Gras legen, versuchen wir es noch einmal bei Thimble, die inzwischen wieder ans Wasser gekommen ist. Es ist ein warmer Tag heute und sie will sich abkühlen. Dabei läßt sie uns nun gnädig zuschauen. Ihre Baby sind da viel aufgeweckter. Neugierig stellen sie sich auf die Hinterbeine und beobachten uns. Es sieht zu drollig aus. Dann laufen sie ihrer Mutter hinterher ins Wasser und eine Wasserschlacht beginnt. Wie zwei Kinder springen sie durchs Wasser, lassen sich fallen, platschen mit den Tatzen ins Wasser, um den anderen nass zuspritzen und wieder aufs Neue. Wir sind sprachlos, unsere Fotoapparate verstummen. Es ist zu schön, um nicht einfach zu erleben, wie die Beiden hier spielen. Irgendwann hat Thimble sich genug gebadet und verlässt das Wasser und damit ist das Badespiel auch beendet. Es ist Nachmittag geworden und auch für uns ist es an der Zeit, umzukehren. Was für ein Tag! Damit hatten wir bei der Buchung nicht gerechnet.
Wir verlassen den Norden von Vancouver Island und erreichen die südliche Küstenstadt Ucuelet – von den Einheimischen gerne Uci genannt. Das Wetter meint es weiter gut mit uns und wir machen noch am frühen Abend die kurze Wanderung am Lighthouse Loop. Wir blicken das erste Mal auf den freien Pazifik. Die Wege sind sauber angelegt es ist ein angenehmer Spaziergang in der Abendsonne. Zum Ende sehen wir schon den Einstieg in die am nächsten Tag geplante Tour auf dem West Pazific Trail. Der Wanderweg führt etwa 8 km an der Südküste vorbei bis zu den Rocky Bluffs. An vielen Stellen gibt es Bänke, um die Gelegenheit nutzen zu können, die Aussicht zu genießen. Wir bewundern die raue Küstenlandschaft mit den zerklüfteten Felsen und kleinen Sandstränden, auf denen sich Adler, Möwen und Seehunde tummeln. Wale sehen wir nicht zufällig, aber die Landschaft alleine reicht einmal mehr. Durch die Küstenwinde geformte Zypressen säumen unseren Weg. Führt der Weg ins Landinnere, so ist der subtropische Regenwald allgegenwärtig, moosbehangene Bäume, hohe Farne und andere dauergrünen Pflanzen. An den Rocky Bluffs gibt es eine Aussichtsbank, an der wir Pause machen und die Weite des Pazifiks auf uns wirken lassen. Auf dem Weg zurück nehmen wir noch den Giant Cedars Lehrpfad mit, ein kurzer, aber sehr informativer Loop auf halber Strecke.
Den Nachmittag und dann auch spontan den Abend verbringen wir am Combers Beach, einem Teil des 16 km langen Longbeaches zwischen Ucuelet und Tofino. Es ist ein herrlich weitläufiger, natürlicher Sandstrand mit einer guten Brandung. Irgendwo suchen wir uns einen Platz auf den zahlreichen herumliegenden Baumstämmen und essen Hot Dogs. Nach einem langen Spaziergang merken wir, dass wir gute Chancen auf einen wunderschönen Sonnenuntergang hier haben. Dieser wird nicht nur wunderschön, sondern atemberaubend. Wir sind noch völlig allein hier, als leise Bodennebel sich bilden. Richtung Ucuelet wird die Luft über dem Wasser und am Strand diesig, wir können kaum noch den Pfad erkennen, den wir zurück zum Parkplatz nehmen müssen. Doch das interessiert uns im Augenblick überhaupt nicht. In Richtung Tofino hat der Maler die Aquarellfarben ausgepackt. Der Sand hat sich orangegefärbt, das Unterholz glimmt bis in die Baumkronen hinauf in den verschiedensten Lilatönen von dunkel nach hell. Dort holt der beginnende Sonnenuntergang die Farben von purpurrot bis orange und goldgelb ab. Es ist ein kunstvoll gemaltes Bild, die Farbverläufe so schön verlaufen, die Stimmung mystisch. Ich kann mich nicht sattsehen an diesem Bild. Wir haben gar nicht gemerkt, dass wir noch von einer Handvoll Leuten Gesellschaft bekommen haben, die ebenso gebannt auf das Schauspiel schauen. Irgendwann taucht die Sonne ins Meer, man meint, das Zischen zu hören und ein Streifen Licht zieht sich übers Wasser, ehe es dunkel wird.
Gutgelaunt geht es für uns mit dem Kodiac in die Buchten, hier vor Vancouver Island. Unser Ziel: Schwarzbären finden. Es ist wahr, wir haben bislang noch nicht einen Einzigen gesehen. Was uns zunächst auffällt, ist die Wasserfarbe. Sie ist türkisgrün wie in der Karibik, eine tolle Kulisse. Die Erklärung kommt prompt, es ist Algenblüte. Zusammen mit einem weiteren sonnigen Tag, der vor uns liegenden vielen kleinen Inseln sieht es aus wie ein Postkartenbild. Wir verrenken uns die Hälse in den nächsten Stunden, um irgendwo einen Bär zu finden. Doch außer sehr photogenen und niedlichen Seeottern, die ihre Bäuche in der Sonne wärmen und faul auf dem Rücken liegen im Wasser, sehen wir am Ende nur einen Schwarzbären, auf mehr als 500 m Entfernung, der schon auf dem Weg hinauf in die Böschung ist. Die Schwarzbären haben wohl die E-Mail nicht gelesen, dass es hier ein paar Menschen gibt, die sie gern mal sehen würden.
Es ist ein bisschen wie verhext. Auch am nächsten Morgen in Tofino gelingt es uns nicht, mehr als den Rücken einer Grauwaldame zu sichten, die sehr hungrig den Meeresboden an ein paar Klippen abgrast. Ich würde gern mal die Wegekarte sehen, die wie an dem Morgen mit dem Boot abgefahren sin. Da sind einige Seemeilen zustande gekommen. Dichter Nebel begleitete uns anfangs auf dem offenen Gewässer, der sich dann aber rund um die größeren Inseln sammelte und aussah, wie die Ringe eines kunstvoll ausgestoßenen Pfeifenrauches. It´s nature - man kann es drehen, wie man will. Es läßt sich nichts erzwingen und ich müßte nun lügen, wenn wir gerade heute bei den Grauwalen nicht ein bisschen enttäuscht waren. Andererseits haben wir heute lieber weniger Glück, aber wissen, dass wir sie in freier Wildbahn hätten sehen können – wenn sie denn wollen. Zurück in Tofino herrscht nun buntes Treiben. Die Straßen sind voll und alles, was mit Wassersport und – vergnügen zu tun haben will, ist auf den Beinen.
Auf dem Weg zurück nach Ucuelet halten wir noch am Rainforest Trail und verschaffen uns nach der Bootstour noch Bewegung. 700 Stufen hinunter in den Regenwald, zur Schonung des Unterholzes über extra gefertigte Holzstege und wieder hinauf. Unterwegs lernen wir linksseitig der Straße des alten, gewachsenden Regenwald kennen, es herrscht eine fast heilige Stille, nur durchdrungen vom Geschrei einiger Krähen. Verschlungene Wege runter zu den Wurzeln der mächtigen Giganten bis zu den lichten, moosbewachsenen Ästen hinauf. Auf der rechten Straßenseite geht es um den nachwachsenden, jungen Regenwald, der sich noch entwickelt. Vielleicht nur gefühlt, aber hier erscheint es nicht so ehrfürchtig wie drüben. Der kleine Ausflug hat sich auf jeden Fall gelohnt.
Während wir nach einem kleinen Einkauf zu unserem Appartment zurückkehren, entdecken wir beim Vorbeigehen einen Hirsch in der Garageneinfahrt eines Hauses. Er läßt sich auch von uns nicht stören, als wir stehenbleiben. Typisch Touri, denn für das Pärchen, was uns entgegenkommt, scheint es nichts Besonderes zu sein. Ein kurzer Blick im Vorbeigehen, das wars.
Es ist Sonntag. Unsere einzige Aufgabe besteht darin, von Ucuelet nach Vancouver zu kommen. Eine Reservierung der Fähre ist nicht mehr möglich, schon alles vergeben. Nun gut, wir wollen am frühen Nachmittag an der Fähre sein, da sieht die Auslastung noch gut aus. Frühmorgens fahren wir los, um noch einen Abstecher in Victoria zu machen. Wir besuchen den Yachthafen mit Blick auf das Empress Hotel und das Parlamentsgebäude. Auch hier – das muss einfach sein – stellen wir ein paar Fotos von früher nach. Tja, der Hintergrund hat sich nicht so sehr verändert, wie wir uns. Wir laufen die Hauptstraße, die Governmentstreet hinauf, erkennen einige Geschäfte wieder, bummeln ein wenig und suchen eine bestimmte kleine Pforte links in einer Nebenstraße. Eine vage Erinnerung von damals, der Eingang zu Chinatown. Letztlich ist es mein Mann, der sie entdeckt. Eine unscheinbare schwarze Pforte aus verzierten Metallgittern zwischen zwei roten Backsteingebäuden. Ha! Wir spazieren die wohl kleinste Einkaufsgasse der Welt entlang, ich kann teilweise nicht einmal beide Arme voll ausstrecken. Es sind noch die gleichen Läden wie damals, ein Museum ist noch dazugekommen. Über der Gasse hängen rote Lampions, wie auch hinter der Gasse in der nächsten, großen Straße. Dort steht auch das imposante und reich verzierte Tor als Eingang zu Chinatown. Victorias Chinatown gilt als das Schönste in Canada und quirlig geht es dort allemal zu. Wir holen uns noch einen Kaffee und einen Muffin, dann drängt es uns zum Auto zurück. Wir fahren zur Fähre und müssen erstmal kräftig schlucken. Wenn wir Glück haben, kommen wir mit der dritten Fähre mit rüber nach Vancouver – mit der Letzten des Tages. Autos, soweit das Auge reicht, stehen Schlange. Wartezeit ca. 5 Stunden. Okay, auch das lernen wir fürs nächste Mal. Die Wochenendpendler, Kurzurlauber und was auch immer, haben wir gänzlich unterschätzt. Um 20 Uhr dann die Erlösung, als wir schätzungsweise als vorletztes Auto auf die Fähre gelassen werden. Kurze Zeit später stehen wir an Deck, Vancouver Island wird immer kleiner, voraus ist der Vulkan Mount Baker zu erkennen und die Sonne geht langsam unter. Ein stimmungsvoller Sonnenuntergang und die bunten Lichter Vancouvers sind ein Trostpflaster für die Warterei und das Bangen wegen der Überfahrt.
Obwohl es bereits stockdunkel ist, als wir durch die Stadt zu unserem Hotel fahren, erkennen wir sofort soviel wieder. Die Brücke bei Granville Island, das Stadion, die Straßen wie Burrard Street oder Robson Street. Wieder werde ich kribbelig und kann es kaum erwarten, morgen auf Erkundungstour zu gehen.
Wir lassen das Auto die nächsten beiden Tage in der Tiefgarage stehen. Unser vorletzter Tag ist angebrochen. Wir laufen kreuz und quer durch Vancouver Downtown, suchen Bekanntes, entdecken Neues. Statt eines Rundfluges fahren wir im Harbor Center ganz hinauf zum Vancouver Lookout und genießen bei klarem Wetter eine Rundumsicht auf die Stadt mit tollen Erklärungen, was man da so alles sieht. Allerdings habe ich beim Hochfahren die Augen zugemacht, denn der Aufzug ist aus Glas und außen am 169 m hohen Gebäude angebracht. Die rauchende Steam Clock in Gas Town ist immer wieder ein kleines Erlebnis und wird liebvoll instandgehalten. Wir sind auf das Vancouver House aufmerksam geworden und laufen die ganze Burrard Street hinunter, um es zu sehen. Je nachdem, in welchem Winkel man es sieht, wirkt es, als würde es auf einer Säule, einer Wohnung stehen, während es nach oben viel breiter wird. Eine geniale optische Täuschung und witzige Architektur. Natürlich flanieren wir auch über den Canada Place, auch heute liegt wieder ein großes Schiff vor Anker. Hier ist Vieles umgestaltet worden. Zum Beispiel wehten früher die Fahnen der Provinzen vor dem Canada Place, heute hat man den Boden neu verlegt und dabei die Provinzen und ihre bekannten Städte als Platten verlegt, so dass man beim Begehen der Plattform einmal durch ganz Kanada spaziert. Ober der oberen Aussichtsplatte wurde die Hymne Kanadas in Englisch und Französisch verlegt. Im Lot 49 gönnen wir uns eine Pause. Kleinkünstler spielen hier Musik, ein Café bietet Sitzgelegenheiten an, der Platz zwischen den Bürogebäuden ist begrünt und mit Bäumen bewachsen, eine kleine Oase inmitten der Betonwüste. Vancouver ist eine Stadt, die mit der Zeit geht, modern, hip, sie wächst, aber überall sieht man solch kleine Oasen und auch alte, kleine Backsteingebäude aus dem vorletzten Jahrhundert stehen neben gläsernen, hoch in den Himmel schießenden Wolkenkratzern. Am frühen Abend machen wir tatsächlich schon ein paar Einkäufe für die Abreise, ein paar Mitbringsel für zu Hause, als Erinnerung für uns. Es ist so unwirklich. Wo sind die drei Wochen nur geblieben? Um von dieser Frage abzulenken, gehen wir mit vollen Einkaufstüten in die Spaghetti Factory in Gas Town. Die haben dort nicht nur fantastisches italienisches Essen, sondern auch ein besonderes Ambiente. Innen steht ein Straßenbahnwaggon, für Gäste hergerichtet und das sanfte Licht kommt aus unzähligen Tiffanylampen. Ansonsten ist es sehr gemütlich, rustikal und ein bißchen antik eingerichtet.
Unser letzter Tag gehört dem Stanley Park. Wir wandern die Straße von Gas Town hoch zum Yachthafen und folgen dem Wanderweg außen um den Park herum, bis wir hinter dem neuen Wasserspielplatz zum Beaver Lake abbiegen können. Von dort aus steuern wir den Red Cross Point an. Der Stanley Park ist riesig für einen Stadtpark. Wir wandern heute ca. 15 km nur durch und um den Park. Im Gegensatz zu damals sind viel mehr Wege richtig ausgebaut worden, sowohl für Fußgänger und vor allem für Radfahrer. Der Aussichtspunkt Red Cross Point bietet einen Ausblick auf den Pazifik, wo die großen Schiffe hereinkommen und auf die Lions´s Gate Bridge, die Vancouver mit der North Shore verbindet. Nach dem Großstadtbummel von gestern genießen wir es noch einmal richtig, hier durch den Wald zu wandern, auch wenn ganz schön was los ist. Der Stanley Park ist ein richtig schöner Naherholungsort für Groß und Klein in einer so großen Stadt wie Vancouver. Schon fast wieder auf dem Rückweg kommen wir an einem kleinen Strandabschnitt vorbei. An einem Marktstand ergattern wir zwei üppige Obstschalen mit Brombeeren und Himbeeren, setzen uns in den Sand und letztlich gehe ich sogar noch ins Wasser. Einmal im Pazifik baden! Das Wasser ist erstaunlich warm! Später, vorbei an der Lost Lagoon, treffen wir dann endlich auch auf die kleinen Eichhörnchen, die ich schon vermisst habe. Man darf sie aus gutem Grund inzwischen nicht mehr füttern und das hat sich herumgesprochen. Waren sie früher wie ein Schwarm Tauben unterwegs, überall wo es Parkbänke gab, so findet man sie heute nur noch im Vorbeiflitzen oder eben in den Sträuchern und Bäumen und haben unnatürliche Zutraulichkeit verloren. Aber niedlich sind sie immer noch!
Mit müden Füßen der letzten Tage finden wir zum Abschluss unserer Reise dank eines Insider Tipps eine kleine, unscheinbare Bar in Gas Town. Ohne den Tipp hätten wir sie weder gefunden, noch wären wir auf die Idee gekommen, hineinzugehen. An einem Restaurant führt eine Treppe hinab in das Kellergewölbe, ins Guilt & Co, nur ein unscheinbares Schild mit einem Pfeil weist auf die Bar hin. Wir haben Glück und erleben Livemusik, die uns gefällt, Countrystyle. Mit ein paar Drinks und Knabbereien setzen wir uns ins bunt gemischte Publikum. Für ein paar Stunden denken wir noch nicht daran, dass wir danach noch die Koffer packen müssen.
Am Tag unserer Abreise regnet es in Strömen. Wie passend. Aber so fällt es niemanden auf, dass mir bei der Ankunft am Flughafen tatsächlich ein paar Tränen herunterkullern.
Ich werde immer wieder gefragt, woher kommt meine Faszination für Kanada? Andere Länder sind doch ähnlich und viel näher. Dazu habe ich mir wirklich Gedanken gemacht. Es gibt wohl keine rationale Erklärung. Aber schon 1996, als ich das erste Mal und direkt allein nach Vancouver geflogen bin, hatte ich dieses unglaubliche Gefühl des Nachhausekommens. Ein Freund sagte daraufhin zu mir:
„In Kanada siehst Du die Landschaft deiner Seele – hier siehst Du nur eine schöne Landschaft“
Mietwagenreise
Ein Beitrag zum Textwettbewerb 2025 von Kanadafieber-Kundin Nicole Neumann
Ein ganz anderer Anfang
Es ist nicht unsere erste Reise nach Kanada gewesen und wird auch hoffentlich nicht die Letzte gewesen sein. Dennoch stellt diese Reise für meinen Mann und mich etwas Besonderes dar. Zum einen, weil wir in Kanada schon unsere Hochzeitsreise verbracht haben und nun zur Silberhochzeit wieder dorthin wollten. Manche Dinge sollte man nicht auf die lange Bank schieben und manche Dinge erwachen plötzlich so vehement, als wäre man aus einem Tiefschlaf hochgeschreckt. Manche Dinge… hier einfach die Liebe zu Kanada genannt.
Unsere Reise beginnt Anfang Juni dieses Jahres mit unserem Flug von Frankfurt nach Edmonton über Calgary. Am Flughafen Calgary werden wir mit einem warmen „Welcome to Canada“ empfangen und warten auf unseren Anschlußflug, doch bald schon ist die Rede von 3 Stunden. Nicht toll, aber was solls? Wenig später erfahren wir mehr oder weniger zufällig: unser Flug wurde gestrichen! Nicht gut, alle Lebensgeister erwachen und wir suchen die Info auf. Wir erfahren, dass wir bereits auf den nächsten Tag umgebucht wurden! Nicht gut, denn wir sollen um 8 Uhr abgeholt werden, während unser Flug erst um 8.30 Uhr starten soll! Irgendwie gelangen wir glücklicherweise an unser Gepäck, welches eigentlich direkt weitergeleitet werden sollte. Unsere Entscheidung, kurz vor Mitternacht, ist schnell getroffen: will das Flugzeug nicht, wollen wir ein Auto! Na ja, die anderen Passagiere leider auch, denn es geht kein einziges Flugzeug mehr aufgrund einer Schlechtwetterfront. Wir klappern alle Mietwagenfirmen ab und am buchstäblich letzten Stand erwischen wir noch einen Mietwagen – one way, Nachtzuschlag, Angebot und Nachfrage – dafür hätten wir glatt ein Taxi nehmen können für die knapp drei Stunden Fahrt! Wir fahren also nach 24 Stunden auf den Beinen in die Nacht hinein, wechseln uns ab, halten uns wach und erreichen Edmonton um 2.30 Uhr nachts und viel wichtiger: wir stehen nach knapp 4 Stunden Schlaf pünktlich im Hotel zur Abholung bereit – bei strahlendem Sonnenschein!
Mag sein, dass der Start nicht optimal war – it´s just nature – ein Satz, den wir noch einige Male zu hören bekommen und nie ist er so zutreffend, wie in Kanada und trotzdem ist es immer gut, nur vielleicht anders, als man denkt. Auf jeden Fall haben in diesem Chaos alle Beteiligten stets die Ruhe bewahrt und waren immer freundlich und hilfsbereit. Wenn ich daran denke, dass der Veranstalter uns sogar später nochmals extra abgeholt hätte, wenn wir es nicht in Eigenregie geschafft hätten. Das wären für die Jungs zweimal 3 Stunden Fahrt extra gewesen!
Kanufahrt auf dem Athabasca River mit Timberwolf Tours
Tief durchatmen, ankommen und während der Fahrt zu den Kanus und den anderen Teilnehmern noch etwas dösen. Dösen? Auf keinen Fall. Schnell kommen wir mit der kleinen Gruppe, mit der wir zusammen abgeholt wurden, ins Plaudern und sehen in der Ferne die Rockies auftauchen.
Kurz vor Hinton treffen wir auf den Rest der Gruppe. Mit zwei Guides werden wir mit 13 Leuten den Athabasca River bis nach Whitecourt hinunterpaddeln. Die letzten Einkäufe werden gemacht, dann geht es zunächst auf einen See in der Nähe, um die Paddelkünste zu testen und Boote zu verteilen. Die Sonne strahlt mit unseren Gesichtern um die Wette. Gleich am nächsten Morgen packen wir unsere Sachen in die Kanus, verstauen die Vorräte und bekommen ein paar Tipps für das Paddeln auf dem Fluss. Der Athabasca ist breit und die Strömung kraftvoll. Dichte Wälder säumen die Ufer. Ein bisschen Respekt kommt kurz auf. Ich verlasse mich dabei voll auf meinen Mann, der den Steuermann hinter mir gibt und auf die Aussage, dass noch kein Teilnehmer unfreiwillig baden gegangen ist. Und dann gleiten wir auch schon in die Strömung hinein und werden vom Fluss getragen. Die Kanus wirken schnell wie bunte Farbtupfer auf dem Wasser. Keine zwei Stunden später fliegt schon der erste Weißkopfseeadler majestätisch dicht über unsere Köpfe hinweg, einfach so, als sei es das Normalste der Welt. Am Nachmittag finden wir unseren ersten Übernachtungsplatz auf einer kleinen Halbinsel auf der rechten Seite des Flusses. Das Herauspaddeln aus der Strömung und das punktuelle Anlegen am Ufer ist spannend – und zum Glück erfolgreich. Wie ein bereits eingespieltes Team bauen wir das Lager auf und suchen uns geeignete Stellen für unsere Zelte. Die Kanus werden für die Nacht sicher vertäut und das Lagerfeuer angezündet. Das Camp ist wunderbar wild. Ein Trampelpfad führt von der Ufer- und Feuerstelle an der Böschung vorbei zu einer kleinen Wiese, auf der wild durcheinander junge Kiefern wachsen. In den Zwischenbereichen stellen wir die Zelte auf. Weiter hinten durch wird die Halbinsel steiniger. Dort sammeln wir ausreichend getrocknetes Feuerholz. Dort am Ufer und auf der anderen Seite in einem kleinen Wäldchen ist auch unser „Badezimmer“. In der beginnenden Dämmerung hören wir viele Vogelstimmen, darunter auch die Spottdrosseln, die sehr lustig klingen, Adler auf Suche nach ihrem Abendessen, und Eulen. Mein Blick wandert immer wieder auf den Fluss und ich nehme mir die Auszeit und hocke mich ans Ufer, um einfach nur dem stetigen Strom und Plätschern zu lauschen. Detox pur, denn Handyempfang haben wir schon eine Weile nicht mehr. Es ist so friedlich, und einsam, und groß – und einfach nur schön. Auch am Lagerfeuer herrscht Gemütlichkeit. Jeder scheint auf seine Weise herunterzukommen, die Flammen des Feuers züngeln ihre Geschichte, der wir alle lauschen, bis wir in unsere Zelte kriechen.
Whitewater, Abendrot und ein unerwarteter Besucher
Beim Aufstehen wissen wir es noch nicht, was alles heute auf uns zukommt. Früh am Morgen, die Sonne steigt gerade hinter den Bergen auf, ist der Fluss ruhig und schlummert beinahe noch. Ich bin nicht die Einzige, die so früh schon auf ist, aber wir reden nicht, wir genießen. Kleine Wolken hängen noch in den Wäldern, verziehen sich aber schon. Kurz darauf knistert das Feuer, brutzeln das Rührei und der Speck und die Lebensgeister erwachen. Bevor wir aufbrechen, bekommen wir genaue Anweisungen zu ein paar Flussbiegungen, die wir achtsam ansteuern müssen, um nicht von der Strömung auf Sand- oder Kiesbänke getrieben zu werden. Außerdem müssen wir einige Passagen mit Whitewater passieren und an Gravelbanks die Flussseite kreuzen, um jeweils die sichere Passage zu nutzen. Und da ist er wieder – der Respekt vor dem Fluss. Zum Glück haben wir schon einige Paddelerfahrung, aber auch unsere Anfänger in der Gruppe meistern später die Strecke ohne Probleme. Wir sind alle aufmerksam und paddeln gewissenhaft. Die Kurven kommen, die Kanus finden ihren Weg, alles geht gut – auch das Kreuzen und die Passagen mit den höheren Wellen macht letztlich richtig Spaß. Danke für all die guten Tipps! Wir haben gute Laune und der Himmel strahlt in hellem Blau, als wir zur Mittagspause auf einer kleinen Insel halten. Noch ehe wir unsere Hot Dogs essen können, finden wir ganz frische Spuren eines Bären, der dort wohl gerade sein Mittagessen verfolgt hat. Sicherheitshalber sehen wir uns noch einmal um, bevor wir das Essen auspacken, doch die Luft ist rein. Anschließend beweist das Wetter in den Rockies, wie schnell es sich ändern kann. Wolkenberge ziehen auf, der Himmel verdunkelt sich, Grummeln ist in der Ferne zu hören und der Wind nimmt zu. Bald wird es zu gefährlich, auf dem Fluss zu bleiben, zumindest für den Moment. Wir steuern ein flaches Ufer an, an dem wir zur Not das Wetter abwarten können. Das Grollen wird lauter, Regenschleier sind über dem Berggrad vor uns. Eine knappe halbe Stunde später wird entschieden, wir paddeln weiter, aber sicherheitshalber nehmen wir einen Campground früher als geplant als Übernachtungslager. Was wir nämlich auf jeden Fall noch tun müssen, ist Wasser holen. Um unser Trinkwasser aufzufüllen halten wir an einem Felsenvorsprung an, aus dem frisches, sauberes und unglaublich leckeres Wasser herausfließt. Die Kanister werden drangehalten und aufgefüllt und weiter geht es. Wir spüren die Notwendigkeit zur Eile. So erreichen wir die Stelle, wo wir unser Lager aufstellen wollen buchstäblich in letzter Sekunde. Kaum sind die Kanus ausgeräumt, gerade die Plane für die Campküche aufgezogen und einige Zelte aufgebaut, da prasselt eine heftige Regenschauer auf uns nieder. So plötzlich wie sie kommt, ist der Spuk auch wieder vorbei. Nach und nach richten wir uns ein und als wir das Abendessen zubereiten, ist es wieder trocken, der Wind hat sich gelegt. Es ist frisch und wir tummeln uns dicht ums Feuer herum. Doch dann siegt die Neugier. Auf dieser kleinen Halbinsel gibt es viel zu entdecken. Zwei von uns gehen Angeln, doch der einzige Fisch, der anbeisst, darf nicht gefangen werden – Petri Pech! Ein paar gehen auf Entdeckungstour und wir anderen spielen am Ufer Steinchen Boules. Plötzlich sehe ich etwa 25 m Entfernung eine Bewegung. Ich blicke auf. Etwas bewegt sich am Uferbereich, wo dichtes Gestrüpp bis fast zum Wasser wächst. Ich stupse einen unserer Guides an, der gerade neben mir steht an. Vor lauter Aufregung fehlen mir abrupt die richtigen Worte und ich sage: „Hey, das sieht aus, wie ein Hase, der sich gerade die Ohren putzt.“ Der Blick, den ich dafür ernte, ist Gold wert und ich muss selbst lachen. Im zweiten Anlauf meine ich: „Seht doch, da vorn – ist das … ein Luchs???“ Ich konnte es nicht glauben. Wir waren sprachlos. So standen fünf staunende Leute vor ihrem Camp wie Statuen mit einer Handvoll Steine in der Hand und schauten gebannt zu dem Tier mit den Puschelohren und getupften Fell hinüber. Und was macht der Luchs? Der coole Typ muss uns schon eine ganze Weile beobachtet haben, was wir so treiben. Und jetzt putzt er sich in aller Ruhe weiter. Selbst als unsere Angler und noch dazustoßen. Erst dann wird es ihm dann doch zu viel Aufmerksamkeit oder er hat einfach keine Lust mehr. Mit einer lässigen Geschmeidigkeit wendet er sich ab und stapft die Böschung hinauf in die Wälder. Wie man uns dann sagte, zählt die Sichtung eines Luchses 10x soviel wie die eines Bären, weil sie eigentlich so scheu sind. Na, da hat unser Luchs wohl in der Schule nicht aufgepasst.
Mit einem beeindruckenden Abendrot und einem Schwarm vorbeiziehender Pelikane geht auch dieser ereignisreiche Tag zu Ende.
Von Pelzhändlern und dem letzten Abend
Den Zeltplatz verlassen wir nur ungern. Es war schön hier. Etliche Pelikanschwärme begleiten uns bei unserer Weiterfahrt. Diese Vögel sehen in freier Natur beim Fliegen viel erhabener und beeindruckender aus, als in einem Gehege. Ich werde sich zukünftig mit anderen Augen sehen, das ist mal sicher. Immer wieder bietet der Fluss an, dass wir unsere Kanus zu einem Raft zusammenschließen und uns einfach treiben lassen, dabei dösen, quatschen oder Snacks herumreichen. An einer weiteren Gabelung, als wir eigentlich mit Steuern und Paddeln beschäftigt sind, treffen wir auf eine Elchkuh mit ihrem Kalb. Während die Mutter sichtlich skeptisch ist und weiterdrängt, ist ihr Kalb fasziniert von uns und bleibt immer wieder neugierig stehen. Wir in der Strömung auf jeden Fall nicht. Es reicht für ein paar schnelle Fotos und kurzen Bestaunen, dann sind wir schon vorbei, sehr zur Beruhigung der Mutter zumindest. Wir fahren weiter auf ein großes Felsmassiv zu. Umringt von den hohen Felsen kommen wir uns in der Weite der Landschaft noch kleiner vor. Auf der linken Uferseite befindet sich eine winzige Bucht, durch überhängende Äste kaum zu sehen. Dort legen wir mit den Kanus an, um eine kleine Wanderung auf den Image Rock zu machen. Die sieben Kanus passen geradeso hinein. Die darin liegenden Holzstämme und Felsvorsprünge sind mit Moos und Farn bewachsen und durch das Oberlicht fällt warmes Licht herein. Ein wunderbarer, kleiner Ort. Ein tierischer Trampelpfad führt in kleinen Serpentinen auf das Felsplateau hinauf. Der Weg lohnt sich. Wie sehen von hier oben weit in beide Flußrichtungen hinein. Auf dem kleinen Vorsprung unter uns steht ein Stein, in der Form eines Fisches, etwa 3 m groß und hat dem Felsen wohl seinen Namen gegeben. Diese Flußbiegung mit dem prägnanten Felsen diente einst den Pelzhändlern als Wegmarkierung. Auf dem Athabasca herrscht Anfang des vorigen Jahrhunderts reger Pelzhandel und die Boot fuhren wohl tatsächlich nicht nur stromabwärts, sondern auch aufwärts, da es lange Zeit der einzige Weg war. Mit rhythmischen Liedern und vollem Einsatz arbeiteten sie sich gegen die Strömung flussaufwärts, um Vorräte zu verbringen. Was muss das für eine Schufterei gewesen sein? Wir hören noch so einige Geschichten über den Fluß und seine Landschaft, bevor wir uns wieder auf den Weg machen. Allmählich tauchen auch wieder Spuren der Zivilisation hier und da auf. Eine Gleisstrecke begleitet uns eine Weile am rechten Ufer entlang und verschwindet dann wieder aus dem Sichtfeld. Wir kommen an weiteren Weißkopfseeadlern vorbei, die die Sonne genießen, ein Rudel Hirsche watet am Ufer entlang und eine weitere Elchkuh stapft mit ihrem Kalb durchs Wasser und diesmal haben wir etwas länger Gelegenheit, die Beiden zu beobachten. Am Abend sind wir alle etwas melancholisch. Der letzte Abend. Passend dazu gibt es wieder ein tolles Abendrot, wir sitzen alle am Feuer und erzählen Geschichten und hören einfach nur zu. Heute gibt es zum Abschluss als Nachtisch S´Mores, Marshmellows mit Keks und Schokolade. Erwartungsvoll wie Kinder halten wir unsere Stöcke ins Feuer und versuchen, die perfekte Bräunung der weißen Schaumbälle zu erreichen – oder sie wenigstens nicht ins Feuer fallen zu lassen. Es wird der längste Abend am Feuer, keiner will ihn beenden, da es der Letzte unserer Kanutour ist.
Am nächsten Tag ist alles viel zu schnell vorbei. Obwohl wir noch einmal ein paar Stunden auf dem Fluss sind, fliegt die Zeit. Da kommt schon die Brücke bei Whitecourt. Ein letztes Mal aufpassen, wo wir hinpaddeln, uns hinter der Brücke passend ans Ufer gleiten lassen – und dann ist Schluss. Der Transporter steht schon bereit, wir ziehen die Kanus an Land, verstauen alles. Es gibt ein letztes gemeinsames Abendessen in Edmonton, herzliche Umarmungen zum Abschied und die Wege trennen sich – leider. Für mich und viele von uns hätte die Tour noch um ein paar Tage verlängert werden können.
Ein weiterer Abschnitt unseres Urlaubes beginnt.
Jasper – Phönix aus der Asche
Wir erhalten unseren Mietwagen für die nächsten drei Wochen und staunen über die Größe des Pickups. Später staunen wir, dass wir noch Größeren begegnen auf den Straßen, wo wir nur noch die Motorhaube im Fenster sehen. Wir erreichen am frühen Nachmittag den Eingang zum Nationalpark und schon tummeln sich die ersten Rehe auf der Straße. Je weiter wir uns Jasper nähern, desto öfter sehen wir schon Spuren es großen Feuers aus 2024. Erst vereinzelte Abschnitte, die auf uns schon Eindruck machen, dann plötzlich mit Erreichen der Stadt sehen wir ringsherum, soweit man sehen kann, das Ausmaß der Katastrophe. Ganze Berghänge bis zur Baumgrenze sind abgebrannt, verkohlte Stumpen ragen ihre Spitzen gen Himmel, das was grün sein sollte, ist braun und schwarz. Im ersten Moment sind wir einfach nur geschockt und betroffen. Und dennoch. Die Landschaft büßt nichts von Ihrer Anziehungskraft ein. So grotesk es auch ist – es ist Natur. Ich bin von dem Anblick gleichermaßen bestürzt und fasziniert. Was für eine Urgewalt, die da über Land, Tier und Mensch hereingebrochen ist! Sobald wir genauer hinsehen, sehen wir, wie Neues wächst und entsteht. Tiere, die durch die kleinen Schonungen stapfen und das frisch gewachsene Gras zupfen, Fireweeds, die zart erblühen und mit ihren lila Blüten das Braun auflockern. Auch gibt es einheimischen, vielleicht durch starken Bewuchs verdrängten Pflanzen, neuen Lebensraum – auch das lernen wir. Die Stadt Jasper selbst hat es natürlich auch getroffen. Vieles ist im Aufbau, die Leute emsig bemüht, die Gebäude wieder herzustellen. Wenn man mit den Leuten spricht, so hört man meist sowas wie „Aufstehen, Krönchen richten, weitermachen“ heraus. Das Flair der kleinen Stadt in den Rockies ist auf jeden Fall erhalten geblieben. Und unglaublich ist, wie das Feuer scheinbar willkürlich Gegenden total verwüstet oder wundersamerweise verschont hat. Wohl auch ein Verdienst der Firefighter vor Ort.
Becker´s Chalets gehören glücklicherweise dazu. Während ringsherum die Schäden sichtbar sind, stehen die Hütten wie eine kleine Oase umringt von grünen Bäumen und frischen Gras. Der La Biche River fließt gleich daneben kraftvoll vorbei und lädt zum Rafting ein. Unsere Hütte ist klein, komfortabel und unglaublich gemütlich eingerichtet. Nach einer ausgiebigen Erkundung der Stadt und einem leckerem Alberta AAA Steak lassen wir den Tag am Fluss ausklingen.
Der Maligne Canyon ist noch geschlossen aufgrund der Nachwirkungen des Feuers, aber wir fahren durch zum Maligne Lake. Dabei kommen wir am Medicine Lake vorbei, der sich mit seiner einfachen Landschaft und Stille präsentiert. Am Kopf des Sees thront hoch oben in einem Baum ein Weißkopfseeadlerhorst mit zwei Jungvögeln. Die Eltern fliegen über unsere Köpfe hinweg und behalten alles im Auge. Der Maligne Lake liegt noch ein bisschen im morgendlichen Dunst, als wir ankommen. So entscheiden wir uns zunächst für den Moose Lake Loop. Den kleinen Waldsee erreichen wir über einen wurzeligen kleinen Pfad. Elche sehen wir nicht, dafür sind vielleicht schon ein paar Wanderer zu viel unterwegs. Der See fasziniert. Er ist weder besonders groß oder spektakulär, außer wenn vielleicht Elche zur Wasserstelle kommen, aber diese Stille! Wir stehen an dem Aussichtsplatz, der mit ein paar liegenden Baumstämmen zum Verweilen einlädt und staunen. Wir hören nichts, absolut nichts. Es ist wie ein Vakuum. Wir sehen ein paar Vögel, Wanderer am anderen Ufer, aber hören tut man nur die Stille. Tiefbeeindruckt genießen wir das geraume Zeit. Der Loop führt großzügig um den See herum, den Berg etwas hinauf, bis man ein gutes Stück weiter den Maligne Lake hinauf wieder zu dessen Ufern stößt und dort entlang zurückwandern kann. Der Weg ist interessant und keinesfalls langweilig, ein bisschen Klettern inklusive. Zu jeder Zeit hat man das Gefühl, dass Elche im Dickicht auftauchen könnten oder auch andere Tiere. Jetzt am Mittag strahlt der See in seiner vollen Schönheit mit dem beeindruckenden weißen Gipfeln auf der anderen Uferseite. Irgendwo auf der Strecke machen wir Rast und genießen die Aussicht. Später auf dem Weg zurück nach Jasper stehen wir mit einem Mal im Stau. Natürlich will jeder wissen, ob wir für einen Bären anhalten. Nein, eine Familie Dickhornschafe trappelt über die Straße und sucht eher ungeduldig als ängstlich nach einem Weg durch die Reihe der Fahrzeuge, um ins Dickicht abbiegen zu können. So ist das eben in Kanada.
Der Glacier Highway 93 a
Wir sind schon ein paar Mal in Kanada gewesen, aber tatsächlich noch nie auf dieser Straße. Kaum zu glauben. Die Straße allein ist einen ganzen Urlaub wert! Wir starten früh am Morgen, um möglichst vor dem großen Besuchersturm auf der Strecke zu sein und es gelingt uns. Erster Halt, die Athabasca Falls. Die Sonne ist aufgegangen und verspricht einen weiteren strahlenden Sommertag. Schön, dass wir dem Fluss noch einmal begegnen, dem wir eine so tolle Zeit verdanken. Der Wasserfall ist beeindruckend, mit welcher Kraft das Wasser angerauscht kommt und tosend den Canyon hinunterstürzt. Die Massen haben den Fels kugelrund ausgehöhlt, das Wasser gurgelt und tanzt , während es sich seinen Weg flussabwärts sucht. Die Morgensonne scheint goldfarben in den Canyon hinein, Wassertropfen glitzern und es ist einfach eine Farbexplosion der Natur. Mein Herz hüpft, so kitschig das aus klingt, egal. Ich versuche mir jeden Eindruck, jedes Bild, jeden Geruch genau einzuprägen für später.
Wir erreichen die Sunwapta Falls. Auf den ersten Blick wirkt der Wasserfall noch pittoresquer, weil der Fluss ringförmig eine kleine Insel umschließt ehe er sich mit Getöse in die Tiefe wirft. Wild schleudert das Wasser hin und her durch die Felsen, bis es durch den Wald hindurch und hinab in den Fluss La Biche entlassen wird. Ein kleiner Wanderweg von etwas mehr als einer Stunde begleitet das Wasser hinab zum Fluss. Ich bin hin und her gerissen, welcher Wasserfall mir besser gefällt und komme zu der Entscheidung, dass ich keine Entscheidung fällen muss. Beide haben ihren eigenen Charme und Charakter. Einfach wirken lassen, das reicht.
Weiter geht´s. Die Szenerie, die sich uns auf dem Highway eröffnet, hinterlässt tiefen Eindruck bei meinem Mann und mir. Die malerische Bergketten mit ihren schneebedeckten Spitzen, die wilden Flüsse, die dunkelgrünen Wälder. Nicht zuletzt fühlen wir uns auch dankbar, dass natürlich auch das Wetter mitspielt. Die Farben tanzen im Sonnenlicht. Der hellblaue Himmel bietet so einen tollen Kontrast und die Flüsse und Seen leuchten. Anders als in den Alpen zum Beispiel stören keine Siedlungen oder andere Straßen das Bild der freien Natur. Wir suchen in dieser Schönheit eigentlich einen geeigneten Platz zum Frühstücken. Langsam bekommen wir Hunger, denn wir sind so früh am Morgen gleich ohne Frühstück los und haben nur Brote und Kaffee mitgenommen. Doch stattdessen müssen wir plötzlich anhalten und spontan rechts ranfahren. Ein Rastplatz ist es nicht, einen Namen hat die Stelle auch nicht, dafür ein paar Hinweisschilder, wie die Berge vor uns heißen. Aber was für ein Panorama ist das bitte? Vor uns erstreckt sich ein riesiges Flussbett in türkis und hellblau, oft mit Kiesbänken und Gestrüpp unterbrochen, schlängelt es sich schon seit den letzten Wasserfällen an Bergen entlang und breitet sich hier nun aus und verschwindet vor uns im nächsten Tal. Wir sind umringt von hohen Bergen und Wäldern soweit das Auge reicht. Einer der höchsten Berge, der Tangle Ridge mit 3001m ragt links vor uns in den Himmel. Es ist wirklich wahr, hier ist ein Ausblick schöner als der andere. In unserem Fotobuch hat dieser Spot hier eine ganze Doppelseite bekommen. Unbeschreiblich schön klingt immer noch untertrieben. Ich will gar nicht mehr weg, aber es wartet noch so viel auf uns. Am Stutfield Glacier Viewpoint machen wir endlich Pause, sehr zur Freude zweier Krähen, die auf unser Essen lauern und dabei gar nicht scheu und vorsichtig sind. Wir genießen unsere Sandwiches bei toller Aussicht und lassen uns von den heran rollenden Bussen nicht stören. Die Busse sind wir nach der Pause schnell wieder los, denn sie halten alle am berühmten Columbia Icefield. Wir haben uns an der Stelle bewußt dagegen entschieden, es anzufahren. Man kann nicht alles auf einmal sehen. Wir halten auf dem oberen Parkplatz dennoch zumindest kurz an, um Bilder zu machen. Die Größenverhältninsse zum Gletscher und den winzigen Menschen und Autos ist ziemlich witzig. Und auch der rechts davon gelegene Athabasca Gletscher ist mindestens genauso beeindruckend und gefällt mir rein optisch sogar noch besser. Muss wohl am Namen liegen!
Der Highway nimmt uns weiter mit auf seine Reise gen Süden. Berge mit waagerechten Gesteinsschichten, die mit Schnee wie Zebras gestreift sind, wechseln mit Bergen, die weise Flecken wie Kühe haben und mit Schiefergebirgen ab. Den Grund für die wechselnden Gesteinsarten habe ich mir erklären lassen, aber leider schon wieder vergessen. Irgendetwas mit unterschiedlichem Alter oder Fortbewegung des Gebirges. Nachdem wir wieder in etwas niedrigere Regionen kommen, passieren wir u.a. die Weeping Wall, Wasserrinnsale, die hoch vom Berg an der Felswand herabfließen und diese aussehen lassen, als würde sie weinen. Und wieder fahren wir plötzlich rechts ran, diesmal am Waterfawl Lake. Das Türkis des Wassers hat uns förmlich geblendet. Wie kann Mutter Natur solche Farben nur aus dem Ärmel schütteln? Hier zu paddeln würde mir auch gefallen oder auch schwimmen zu gehen. Geschätzte 11 Grad Wassertemparatur lassen mich dann aber doch schnell wieder zur Vernunft kommen und ich beschränke mich aufs Bestaunen. Selbst ein paar Labradoren, die dort gerade herumlaufen, ist es zu kalt.
Bow Lake. Ich gelange allmählich ans Ende sämtlicher Komparative. Wir fahren die 93 a weiter, vor uns das bekannte Bergmassiv, links und rechts dichte Wälder. Auf einmal leuchtet vor uns etwas hellblau auf. Erst ein schmaler Streifen, der dann breiter und größer wird. Wir nehmen uns etwas Zeit und spazieren ein wenig am Bow Lake entlang. Eigentlich hätte er einen ganzen Tag verdient, haben wir aber leider nicht eingeplant. Ein Grund mehr, wiederzukommen.
Wir nähern uns Banff. Vor der Stadt gibt es einen weiteren Aussichtspunkt, der auf die umliegenden Berge verweist, wie z.B. den Bourgeau 2930m, der Sulphur 2451m. Die Rampe des Berges ist recht markant. Mein Blick fällt auf etwas vor uns, im Gras. Vermutlich hat man für Touristen einen Präriehund ins Gras gestellt, um die örtliche Fauna darzustellen. Keck und starr ist der Blick auf die Leute gerichtet – bis der kleine Kerl plötzlich blinzelt und die Nase rümpft. Der ist ja echt! Ich lache laut auf, doch das scheint ihn nicht zu beeindrucken. Wieder unbewegt steht er da auf seinen Hinterbeinen und läßt sich nichts entgehen. Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass ich nicht die Einzige bin, die auf ihn reingefallen ist.
Banff und seine Seen
Die Stadt liegt malerisch zu Füßen der Berge, überall sieht man holzverkleidete oder mit Felsen verklinkerte Häuser. Die Bilder aus den Fotobänden sind nicht übertrieben. Unser Hotel liegt mittendrin, auch innen ist alles mit Holz verarbeitet und ein großer Kamin mit gemütlicher Sitzgelegenheit begrüßt die Gäste. Wir können es kaum erwarten und streifen sofort neugierig durch das Städtchen. Nette Geschäfte, viele Einkaufsmöglichkeiten und gemütliche, abwechslungsreiche Lokale wechseln sich ab. Schnell wissen wir, wo wir die beiden Abende essen gehen werden. Auch einen kleinen Pub finden wir später und kommen über ein paar Bier mit den Leuten ins Gespräch. Am Vormittag haben wir notgedrungen noch etwas Zeit und genießen das Flair der Stadt in einem kleinen Teeladen. Die Auswahl ist riesig, die Inhaberin sehr freundlich und so lassen wir es uns draußen gutgehen. Kleine Spatzen tummeln sich um den Platz, in der Hoffnung ein paar Krümel aufzuschnappen. Auch wenn Banff gut besucht ist, es will keine Hektik aufkommen.
Es ist wirklich notwendig, sich für die Seen Lake Louise und Moraine Lake das Shuttle vorab zu buchen. Man lernt mit seinen Vorhaben. In letzter Minute haben wir dennoch Glück und erwischen noch zwei Plätze für den Mittag. Nicht optimal, aber immerhin kommen wir hin. Und es lohnt sich. Spontan entscheiden wir uns, den Moraine Lake zuerst anzusteuern. Wieder erleben wir diese herrliche, unglaubliche Farbe des Wassers. Es ist ein perfekt gemaltes Bild. Der See ist gesäumt von einer Reihe schneebedeckter Berge und eingerahmt durch die dunklen Bäume. Auch wenn wir nicht den Sonnenaufgang mitbekommen und auch viele Besucher gleichzeitig hier sind, ist die Aussicht spektakulär. Am liebsten würde ich mir dieses Türkis in ein Glas abfüllen, zusammen mit der Bergkulisse.
Als wir am Nachmittag den Shuttlebus zum Lake Louise nehmen, zieht sich das Wetter merklich zu. Wir entscheiden uns gegen die größere Wanderung und nehmen den kürzeren Aufstieg zum nahegelegenen Aussichtspunkt. Dort angekommen präsentiert sich der See immer noch imposant, doch ein kleiner Mitstreiter macht ihm die Aufmerksamkeit streitig. Links des kleinen Plateaus im Unterholz, keine 5 Meter von uns Menschen entfernt, knabbert ein Waldmurmeltier eifrig und unermüdlich an Ästen herum und läßt sich gerne filmen und fotografieren. Ein richtiges Wollknäuel, habe ich so auch nicht gesehen. Ein heftiger Donner reisst uns dann doch aus der Faszination in die Wirklichkeit zurück. Erste dicke Regentropfen landen auf unseren Köpfen und irgendwo hinter dem Hotel blitzt es auf. Wir machen uns rasch an den Abstieg. Pitschnass erwischen wir das Shuttle und bei Sonnenschein steigen wir wieder aus dem Bus aus. That´s nature.
Banff am folgenden Tag schon wieder hinter uns zu lassen, fällt nicht leicht. Auch wären wir gern noch nach Canmore weitergefahren – das ist ein weiterer Zettel auf der Pinnwand fürs nächste Mal.
Wells Gray Provincial Park – eine Zeitreise
Über Revelstoke gelangen wir nach Clearwater im Herzen des Wells Gray Provincial Park in British Columbia und verlassen damit Alberta. Und lassen damit auch für ein paar Tage die Gegenwart zurück. Clearwater war damals unser Haupt Dreh- und Angelpunkt der Hochzeitsreise. Wir wollen auf die Spuren der Vergangenheit gehen, unsere Vergangenheit. Als wir in Clearwater hineinfahren, werde ich ganz hibbelig. Vieles erkenne ich wieder, einiges ist neu. Sofort weiß ich, wo das Visitorcenter ist, der alte Einkaufsladen, die Straße zur Ranch, zum Fluß und den Helmcken Falls, aber auch noch den Weg zum Dunn Peak, komisch wie präsent manche Dinge bleiben, obwohl es so viele Jahre her ist. Noch bei der Ankunft fängt es an zu regnen. Dennoch hält es uns nicht davon ab, zu den Helmcken Falls hinauszufahren. Die Brücken auf der Straße sind weiter ausgebaut worden zu meiner Beruhigung, das war damals echt noch etwas abenteuerlicher. Am Wasserfall angekommen führt ein kurzer Pfad vom Parkplatz zum Ziel. Aus dem einfachen Holzgestell von damals ist eine solide, etwas höher gelegene Aussichtsplattform aus Metall geworden. Das Wasser stößt mit enormer Energie aus dem schmalen Schlot des Felsens und fällt 142 m tief in den Trichter. Die weiße Gischt schäumt wie dichter Nebel. Am Grund ist alles knallgrün bewachsen mit Moos und Gräsern. Hohe Felswände ragen zu beiden Seiten empor und bilden den Canyon. Man erkennt deutlich wie die Kräfte hier den Trichter weiter aushöhlen. Ein herrliches Spektakel.
Wir besuchen die Wells Guest Ranch am nächsten Morgen bei strömenden Regen. Dort haben wir damals eine Reit- und Kanutour gemacht. Kanufahren wird nicht mehr angeboten, so dass wir uns eine Tagesreittour gebucht haben. Es kam keine Absage, also gehen wir davon aus, auch bei Regen zu reiten. Nun gut, es gibt kein schlechtes Wetter, nur unpassende Kleidung. Wir erreichen die Ranch. Sie sieht noch genauso aus, wie damals. Nur die Besitzer haben gewechselt. Wir quatschen ein wenig über die letzten Jahre und dann kommen auch noch die weiteren Teilnehmer. Eine Mutter und ihr Sohn, beide unsicher, ob sie bei dem Wetter wirklich reiten möchten. Die Pferde werden verteilt, wir werden mit Wachsmänteln gegen den Regen ausgestattet und ich rechne es meinem Mann echt hoch an, dass er das schon wieder mitmacht, denn zugegeben reitet er sonst nie und nur für mich. Unser Weg führt aufgrund des Wetters nicht hinunter zum Fluss, da die Wege zu rutschig sind, stattdessen geht es in die Wälder. Wir queren quirlige Bäche, erklimmen kleine Böschungen und entdecken Birkenstämme mit Spuren von Bärenkrallen darauf. Der Regen tropft nicht nur von der Reitkappe herunter, als wir schließlich wieder an der Ranch ankommen. Mutter und Sohn sind schneller im Auto verschwunden, als wir es mitbekommen können. Wir machen noch einen Rundgang über die Ranch, zu den kleinen Cabins, in den Saloon und stellen vor dem Haupthaus noch ein altes Foto nach, was ich heraus gekramt habe. Damals – heute. Als wir auf dem Weg zurück nach Clearwater sind, brauchen wir keinen Scheibenwischer mehr… That´s nature. Wir nehmen es mit Humor. Zumindest ermöglicht dieser Umstand uns, am späten Nachmittag noch den Bailey´s Chute zu wandern. Der Rundweg führt durch den Wald zu drei Wasserfällen und einem stillen See. Ein Wanderpfad voller Gegensätze, von tosenden Wasserfällen, durch Dickicht und riesige Zedernbäume zu dem verträumten See, den man über einen Steg überquert.
Unser weißer Pickup sieht spätestens nach dem heutigen Tag nicht mehr wie ein Mietwagen aus. Dank der zahlreichen Gravelroads und dem Regen kann man die vorherrschende Farbe als matschbraun bezeichnen. Ziemlich deutsch beschließen wir, damit nicht in die nächste Stadt fahren zu wollen und spritzen ihn kurzerhand an der örtlichen Tankstelle einmal ab. Schließlich sind wir der Meinung, dass wir uns die riesige Grillplatte bei Hop „N“ Hog Tap & Smokehouse verdient haben heute. Gleich neben dem Visitorcenter gelegen ist der Grill ein echter Tip und tatsächlich für uns neu. Drinnen wie draußen gemütlich im Westernstil eingerichtet, können wir auch bei wiedereinsetzenden Regen draußen sitzen und den Tag ausklingen lassen.
Bunte Farben und ein Tag hat doch mehr als 24 Stunden
Manchmal wird aus wenig viel mehr. Eigentlich fahren wir heute nur bis Whistler, um dort zu übernachten, bevor es dann morgen auf die Fähre nach Vancouver Island geht. Doch in Kamloops gibt es das Secwepemc Museum and Heritage Park, welches wir uns noch auf dem Weg anschauen wollten. Nur kommen wir gar nicht bis dahin. Die Straßen sind voll, Autos von überall her, Völkerwanderungen am Straßenrand. Unsicher fahren wir weiter, lassen uns zu einem Parkplatz leiten. Von einem Powwow ist die Rede. Wir folgen den Massen wie eine Ameisenstraße. Das Museum ist geschlossen, dafür entdecken wir Zeltplätze, Campingfahrzeuge und alles führt zum Kamloops Powwow Ground, einem Stadion. Wir lassen uns drauf ein und platzen mitten in eine jährliche Großveranstaltung hinein, bei der sich die nordamerikanischen indigenen Volksgruppen treffen zum Feiern, Singen und Zusammenkommen mit traditionellen Aufführungen und Kunsthandwerksständen. Das Stadion füllt sich und nach einem ersten Rundgang durch die Stände suchen wir uns einen Platz. Es ist ein buntes, lautes und fröhliches Spektakel. Alle Regionen werden mit Trommeln und Gesang vorgestellt und schließlich ziehen die Gruppen in einem langen Marsch mit Musik und Tanz ins Stadion ein. Die Reihe scheint kein Ende zu nehmen. Farbenfroh und total unterschiedlich ist die traditionelle Kleidung und der Federschmuck. Sehr beeindruckend, auch wie fröhlich und gemeinsam hier gefeiert wird, indigen oder nicht. Besser als jeder Museumsbesuch. Glück muss man haben und sich drauf einlassen wollen.
Schweren Herzens müssen wir die Veranstaltung dann aber verlassen. Schließlich haben wir noch ein paar Stunden Fahrt vor uns. Die Landschaft um Kamloops herum ist so anders als in den Rockies. Hügelige Prärielandschaft, meist mit kurzem Gras bewachsen, nur mit wenig Baumbestand. Irgendwie mag ich sie gern anschauen. Wir kommen an einigen Seen vorbei, deren Szenerie an die schottischen Highlands erinnert. Dann wird die Umgebung rauer. Die Grashügel werden von Felsen und trockenen Plateaus abgelöst, immer seltener kommen wir an Häuser oder Farmen vorbei. Die Canyon werden tiefer, die Wildnis unwegsamer, beinahe wüstenartig. Irgendwo wollen wir kurz Pause machen, aber hier scheint sich nichts anzubieten. Als wir nicht damit rechnen, stoßen wir auf den Railroad Tunnel Viewpoint im Fountain Valley vor Lillooet. Ein weiterer Wow Moment. Ein Fluss schlängelt sich tief im Canyon an uns vorbei, wild, hellgrau seine Farbe, umgeben von rotem und braunen Sandgestein inmitten dieser wüstenähnlichen Umgebung. Der Viewpoint befindet sich an einer Flussbiegung, so dass man zu beiden Seiten eine weite Sicht hat. Wir schnappen uns unsere Sandwiches und Wasserflaschen und setzen uns auf einem kleinen Felsen. Wir haben den Platz für uns ganz allein in dem Moment, nicht einmal ein anderes Auto kommt vorbei. Die Nachmittagssonne ist kräftig, kaum ein Lüftchen bewegt sich. Was für ein Klischee und so passend.
Whistler ist niedlich. Wir sehen nicht allzuviel davon, weil wir spät ankommen, aber das was wir sehen, gefällt uns. Es ist leicht zu glauben, dass man nicht nur im Winter hier eine gute Zeit verbringen kann.
Am nächsten Morgen brechen wir auch schon wieder früh auf. Wir wollen noch einen Abstecher zu den Train Wracks machen. Eine etwa 20 minütige Wanderung bringt uns zu der Hängebrücke, die wir überqueren müssen, um zu den Eisenbahnwaggons zu gelangen. Mitten einem Waldstück mit Giant Cedars liegen sie dann plötzlich vor uns, verstreut wie Legobausteine im Kinderzimmer. Sie sind durch ein Kunstprojekt mit bunten Graffitis besprüht worden. Das ist wieder so ein Farbkontrast zur natürlichen Umgebung mitten im Wald. Wir erkunden einen Waggon nach dem Nächsten, klettern dabei über riesige Wurzeln und nicht wenige Felsen. Insgesamt sieben Waggons liegen hier nachdem sie nach einem Unfall in 1956 kurzerhand von den Gleisen entsorgt worden sind. Bei dem ein oder anderen Waggon hätte es mich nicht gewundert, wenn ein vierbeiniger Bewohner herausgesprungen wäre.
Was man alles nur bei der Durchreise so erleben kann! Unsere Reise geht letztlich weiter zu ihrem nächsten Abschnitt. Etliche Kilometer weiter taucht wieder einmal ein Gewässer neben uns auf. Diesmal ist es kein See und kein Fluss. Es ist das Meer. Wir haben die Küste bei Vancouver erreicht und nähern uns der Fähre nach Nanaimo.
Von XXL zu ganz klein
Ich glaube, ich habe einen kleinen Overload. Mir fällt es auf der Fähre unheimlich schwer, einen neuen Reiseabschnitt zu beginnen. Zu groß wirken die bisherigen Eindrücke und Erlebnisse bislang nach. So blicke ich dem Hafen von Nanaimo mit gemischten Gefühlen entgegen, als wir auf dem Deck der Fähre stehen. Die Anfertigung mit der Fähre verläuft reibungslos und wir fahren noch bis Campbell River, um dort zu übernachten. Spätestens als wir dort, beinahe versteckt, in dem kleinen Hafen ein Bistro finden, das auf dem schwankenden Steg umringt von Booten, Pommes, Fisch und Burger anbietet, erwacht mein Entdeckergeist aufs Neue. Die Abendsonne geht hinter den Häusern der Hafenstadt unter, die Möwen ziehen kreischend ihre Runden über unsere Köpfe hinweg und es geht uns gut. Bei einem Spaziergang am Ufer entlang entdecken wir überall auf Wänden, Felsen, Stromkästen maritime Malereien. Ich mag das und es sind schöne Motive.
Unser eigentliches Ziel ist Telegraph Cove. Wir fahren die unheimlich lange geradeaus und nochmal ein Stück weiter. Wenn es keine Insel wäre, hätte ich geglaubt, wir haben uns verfahren. Irgendwo im Nirgendwo biegen wir ab. Nichts und niemand scheint hier zu wohnen. Auf einmal fahren wir nach einer Brücke eine Anhöhe hinauf und wir sind da. Es geht an zwei, drei Häusern auf der rechten Seite vorbei, die Anhöhe wieder hinunter. Das Örtchen besteht aus einem langen Bootssteg mit verschiedenen Ferienhäuschen links und rechts, die früher mal Funktionsbehausungen waren. Davor gibt es das Infobüro für die Vermietungen und Angebote, die man buchen kann und den Generalstore. Treffpunkt für die Einwohner, umliegenden Nachbarn – meint bis ca. 20 km Umkreis – und Urlauber. Bäckerei, Souvenierladen und Restaurant in Einem. Das Wasser in der Marina ist so klar, dass man bis auf den Grund gucken kann. Wir beziehen ein süßes, kleines Cottage auf einem winzigen Stück Wiese, umsäumt von mächtigen Weiden. Danach bummeln wir Beide etwas in der Gegend herum, besuchen den Wood Art Store, an dem wir zu Beginn vorbeigefahren sind. Der Inhaber verkauft wunderschöne Dinge aus Holz gefertigt. Es ist in Kanada wirklich nicht schwer, ein bisschen ins Gespräch zu kommen und er und seine Frau erzählen uns ein bisschen über Telegraph Cove, welches aktuell aus ganzen 25 Einwohnern besteht. Bis zum Campingplatz gehen wir noch und zurück, an den Häusern vorbei bis zum Ende es Stegs, wo man auf die Bucht hinausblicken mit den zahllosen Inseln kann. Eine Ringwolke hat sich gebildet und umschließt eine größere Inselgruppe. Auf einem kleinen Fischerhäuschen sitzt ein Weißkopfseeadler. Es sind keine 30 m und als er sich erhebt und mit weit ausgebreiteten Flügeln dicht, sehr dicht über uns hinwegfliegt, kann man jede einzelne Feder und seine klaren Augen erkennen. Als wir später im Generalstore sitzen, wo alles liebevoll mit bunten Blumen dekoriert ist, schwirrt etwas in meinem linken Augenwinkel. Erst beim zweiten Mal erkenne ich, was es ist. Ein Kolibri! Ich habe noch nie einen in Natura gesehen und suche im Internet sicherheitshalber, ob ich tatsächlich recht habe.
Am nächsten Morgen schippern wir mit Tide Rip Beartours in die Buchten der Glendale Cove, um Grizzlys zu beobachten. Wir sind eine kleine Gruppe und werden gleich vor der Bucht von einem Orca begrüßt. Ebenfalls hat eine Gruppe Seelöwen lautstark etwas zu sagen, die wir, auf einem Felsen sitzend, passieren. Als wir ein paar Seehunde gefunden haben, passiert lange Zeit nichts und wir befürchten schon, das wars. Zum Glück nicht. Am Ende der Bucht von Glendale Cove entdecken wir sie. Es sind wirklich 2 Grizzlymütter mit ihren jeweils zwei Kindern. Sie sind den Guides durch das Bärenschutzprogramm bekannt. Es sind Lilian mit ihren beiden Jungbären aus 2024 und Thimble mit den Baby aus April 2025. An den beiden Familien kann man gut sehen, wie unterschiedlich Bären aussehen können. Grizzly ist nicht gleich Grizzly. Das Besondere an unserer heutigen Tour ist: wir haben Zeit! Es ist kein Hinfahren, Fotos machen, wegfahren. Sondern wir haben ausgiebig Zeit, in Ruhe zu beobachten. Das wissen wir zu schätzen. Erst zieht sich Thimble bei unserem Besuch etwas in die Böschung zurück, so dass wir bei Lilian bleiben, die Hunger hat und am Ufer nach Krebsen und anderen Kleintieren sucht. Dabei posiert sie ein paarmal extra für uns. Na ja, vielleicht hat sie auch überlegt, ob wir heute Freund oder Feind sind. Ihre Kinder sehen aus wie Teenies, schlacksig, noch kleiner, aber nicht mehr babyhaft. Sie machen schon vieles ohne ihre Mutter, gehen eigenständig auf Futtersuche, tollen herum. Als ihre Beiden müde werden und sich ins hohe Gras legen, versuchen wir es noch einmal bei Thimble, die inzwischen wieder ans Wasser gekommen ist. Es ist ein warmer Tag heute und sie will sich abkühlen. Dabei läßt sie uns nun gnädig zuschauen. Ihre Baby sind da viel aufgeweckter. Neugierig stellen sie sich auf die Hinterbeine und beobachten uns. Es sieht zu drollig aus. Dann laufen sie ihrer Mutter hinterher ins Wasser und eine Wasserschlacht beginnt. Wie zwei Kinder springen sie durchs Wasser, lassen sich fallen, platschen mit den Tatzen ins Wasser, um den anderen nass zuspritzen und wieder aufs Neue. Wir sind sprachlos, unsere Fotoapparate verstummen. Es ist zu schön, um nicht einfach zu erleben, wie die Beiden hier spielen. Irgendwann hat Thimble sich genug gebadet und verlässt das Wasser und damit ist das Badespiel auch beendet. Es ist Nachmittag geworden und auch für uns ist es an der Zeit, umzukehren. Was für ein Tag! Damit hatten wir bei der Buchung nicht gerechnet.
Ucuelet – und wieder ist alles anders
Wir verlassen den Norden von Vancouver Island und erreichen die südliche Küstenstadt Ucuelet – von den Einheimischen gerne Uci genannt. Das Wetter meint es weiter gut mit uns und wir machen noch am frühen Abend die kurze Wanderung am Lighthouse Loop. Wir blicken das erste Mal auf den freien Pazifik. Die Wege sind sauber angelegt es ist ein angenehmer Spaziergang in der Abendsonne. Zum Ende sehen wir schon den Einstieg in die am nächsten Tag geplante Tour auf dem West Pazific Trail. Der Wanderweg führt etwa 8 km an der Südküste vorbei bis zu den Rocky Bluffs. An vielen Stellen gibt es Bänke, um die Gelegenheit nutzen zu können, die Aussicht zu genießen. Wir bewundern die raue Küstenlandschaft mit den zerklüfteten Felsen und kleinen Sandstränden, auf denen sich Adler, Möwen und Seehunde tummeln. Wale sehen wir nicht zufällig, aber die Landschaft alleine reicht einmal mehr. Durch die Küstenwinde geformte Zypressen säumen unseren Weg. Führt der Weg ins Landinnere, so ist der subtropische Regenwald allgegenwärtig, moosbehangene Bäume, hohe Farne und andere dauergrünen Pflanzen. An den Rocky Bluffs gibt es eine Aussichtsbank, an der wir Pause machen und die Weite des Pazifiks auf uns wirken lassen. Auf dem Weg zurück nehmen wir noch den Giant Cedars Lehrpfad mit, ein kurzer, aber sehr informativer Loop auf halber Strecke.
Den Nachmittag und dann auch spontan den Abend verbringen wir am Combers Beach, einem Teil des 16 km langen Longbeaches zwischen Ucuelet und Tofino. Es ist ein herrlich weitläufiger, natürlicher Sandstrand mit einer guten Brandung. Irgendwo suchen wir uns einen Platz auf den zahlreichen herumliegenden Baumstämmen und essen Hot Dogs. Nach einem langen Spaziergang merken wir, dass wir gute Chancen auf einen wunderschönen Sonnenuntergang hier haben. Dieser wird nicht nur wunderschön, sondern atemberaubend. Wir sind noch völlig allein hier, als leise Bodennebel sich bilden. Richtung Ucuelet wird die Luft über dem Wasser und am Strand diesig, wir können kaum noch den Pfad erkennen, den wir zurück zum Parkplatz nehmen müssen. Doch das interessiert uns im Augenblick überhaupt nicht. In Richtung Tofino hat der Maler die Aquarellfarben ausgepackt. Der Sand hat sich orangegefärbt, das Unterholz glimmt bis in die Baumkronen hinauf in den verschiedensten Lilatönen von dunkel nach hell. Dort holt der beginnende Sonnenuntergang die Farben von purpurrot bis orange und goldgelb ab. Es ist ein kunstvoll gemaltes Bild, die Farbverläufe so schön verlaufen, die Stimmung mystisch. Ich kann mich nicht sattsehen an diesem Bild. Wir haben gar nicht gemerkt, dass wir noch von einer Handvoll Leuten Gesellschaft bekommen haben, die ebenso gebannt auf das Schauspiel schauen. Irgendwann taucht die Sonne ins Meer, man meint, das Zischen zu hören und ein Streifen Licht zieht sich übers Wasser, ehe es dunkel wird.
Gutgelaunt geht es für uns mit dem Kodiac in die Buchten, hier vor Vancouver Island. Unser Ziel: Schwarzbären finden. Es ist wahr, wir haben bislang noch nicht einen Einzigen gesehen. Was uns zunächst auffällt, ist die Wasserfarbe. Sie ist türkisgrün wie in der Karibik, eine tolle Kulisse. Die Erklärung kommt prompt, es ist Algenblüte. Zusammen mit einem weiteren sonnigen Tag, der vor uns liegenden vielen kleinen Inseln sieht es aus wie ein Postkartenbild. Wir verrenken uns die Hälse in den nächsten Stunden, um irgendwo einen Bär zu finden. Doch außer sehr photogenen und niedlichen Seeottern, die ihre Bäuche in der Sonne wärmen und faul auf dem Rücken liegen im Wasser, sehen wir am Ende nur einen Schwarzbären, auf mehr als 500 m Entfernung, der schon auf dem Weg hinauf in die Böschung ist. Die Schwarzbären haben wohl die E-Mail nicht gelesen, dass es hier ein paar Menschen gibt, die sie gern mal sehen würden.
Es ist ein bisschen wie verhext. Auch am nächsten Morgen in Tofino gelingt es uns nicht, mehr als den Rücken einer Grauwaldame zu sichten, die sehr hungrig den Meeresboden an ein paar Klippen abgrast. Ich würde gern mal die Wegekarte sehen, die wie an dem Morgen mit dem Boot abgefahren sin. Da sind einige Seemeilen zustande gekommen. Dichter Nebel begleitete uns anfangs auf dem offenen Gewässer, der sich dann aber rund um die größeren Inseln sammelte und aussah, wie die Ringe eines kunstvoll ausgestoßenen Pfeifenrauches. It´s nature - man kann es drehen, wie man will. Es läßt sich nichts erzwingen und ich müßte nun lügen, wenn wir gerade heute bei den Grauwalen nicht ein bisschen enttäuscht waren. Andererseits haben wir heute lieber weniger Glück, aber wissen, dass wir sie in freier Wildbahn hätten sehen können – wenn sie denn wollen. Zurück in Tofino herrscht nun buntes Treiben. Die Straßen sind voll und alles, was mit Wassersport und – vergnügen zu tun haben will, ist auf den Beinen.
Auf dem Weg zurück nach Ucuelet halten wir noch am Rainforest Trail und verschaffen uns nach der Bootstour noch Bewegung. 700 Stufen hinunter in den Regenwald, zur Schonung des Unterholzes über extra gefertigte Holzstege und wieder hinauf. Unterwegs lernen wir linksseitig der Straße des alten, gewachsenden Regenwald kennen, es herrscht eine fast heilige Stille, nur durchdrungen vom Geschrei einiger Krähen. Verschlungene Wege runter zu den Wurzeln der mächtigen Giganten bis zu den lichten, moosbewachsenen Ästen hinauf. Auf der rechten Straßenseite geht es um den nachwachsenden, jungen Regenwald, der sich noch entwickelt. Vielleicht nur gefühlt, aber hier erscheint es nicht so ehrfürchtig wie drüben. Der kleine Ausflug hat sich auf jeden Fall gelohnt.
Während wir nach einem kleinen Einkauf zu unserem Appartment zurückkehren, entdecken wir beim Vorbeigehen einen Hirsch in der Garageneinfahrt eines Hauses. Er läßt sich auch von uns nicht stören, als wir stehenbleiben. Typisch Touri, denn für das Pärchen, was uns entgegenkommt, scheint es nichts Besonderes zu sein. Ein kurzer Blick im Vorbeigehen, das wars.
Victoria, eine Stippvisite mit Folgen
Es ist Sonntag. Unsere einzige Aufgabe besteht darin, von Ucuelet nach Vancouver zu kommen. Eine Reservierung der Fähre ist nicht mehr möglich, schon alles vergeben. Nun gut, wir wollen am frühen Nachmittag an der Fähre sein, da sieht die Auslastung noch gut aus. Frühmorgens fahren wir los, um noch einen Abstecher in Victoria zu machen. Wir besuchen den Yachthafen mit Blick auf das Empress Hotel und das Parlamentsgebäude. Auch hier – das muss einfach sein – stellen wir ein paar Fotos von früher nach. Tja, der Hintergrund hat sich nicht so sehr verändert, wie wir uns. Wir laufen die Hauptstraße, die Governmentstreet hinauf, erkennen einige Geschäfte wieder, bummeln ein wenig und suchen eine bestimmte kleine Pforte links in einer Nebenstraße. Eine vage Erinnerung von damals, der Eingang zu Chinatown. Letztlich ist es mein Mann, der sie entdeckt. Eine unscheinbare schwarze Pforte aus verzierten Metallgittern zwischen zwei roten Backsteingebäuden. Ha! Wir spazieren die wohl kleinste Einkaufsgasse der Welt entlang, ich kann teilweise nicht einmal beide Arme voll ausstrecken. Es sind noch die gleichen Läden wie damals, ein Museum ist noch dazugekommen. Über der Gasse hängen rote Lampions, wie auch hinter der Gasse in der nächsten, großen Straße. Dort steht auch das imposante und reich verzierte Tor als Eingang zu Chinatown. Victorias Chinatown gilt als das Schönste in Canada und quirlig geht es dort allemal zu. Wir holen uns noch einen Kaffee und einen Muffin, dann drängt es uns zum Auto zurück. Wir fahren zur Fähre und müssen erstmal kräftig schlucken. Wenn wir Glück haben, kommen wir mit der dritten Fähre mit rüber nach Vancouver – mit der Letzten des Tages. Autos, soweit das Auge reicht, stehen Schlange. Wartezeit ca. 5 Stunden. Okay, auch das lernen wir fürs nächste Mal. Die Wochenendpendler, Kurzurlauber und was auch immer, haben wir gänzlich unterschätzt. Um 20 Uhr dann die Erlösung, als wir schätzungsweise als vorletztes Auto auf die Fähre gelassen werden. Kurze Zeit später stehen wir an Deck, Vancouver Island wird immer kleiner, voraus ist der Vulkan Mount Baker zu erkennen und die Sonne geht langsam unter. Ein stimmungsvoller Sonnenuntergang und die bunten Lichter Vancouvers sind ein Trostpflaster für die Warterei und das Bangen wegen der Überfahrt.
Vancouver – eine Stadt wie keine andere
Obwohl es bereits stockdunkel ist, als wir durch die Stadt zu unserem Hotel fahren, erkennen wir sofort soviel wieder. Die Brücke bei Granville Island, das Stadion, die Straßen wie Burrard Street oder Robson Street. Wieder werde ich kribbelig und kann es kaum erwarten, morgen auf Erkundungstour zu gehen.
Wir lassen das Auto die nächsten beiden Tage in der Tiefgarage stehen. Unser vorletzter Tag ist angebrochen. Wir laufen kreuz und quer durch Vancouver Downtown, suchen Bekanntes, entdecken Neues. Statt eines Rundfluges fahren wir im Harbor Center ganz hinauf zum Vancouver Lookout und genießen bei klarem Wetter eine Rundumsicht auf die Stadt mit tollen Erklärungen, was man da so alles sieht. Allerdings habe ich beim Hochfahren die Augen zugemacht, denn der Aufzug ist aus Glas und außen am 169 m hohen Gebäude angebracht. Die rauchende Steam Clock in Gas Town ist immer wieder ein kleines Erlebnis und wird liebvoll instandgehalten. Wir sind auf das Vancouver House aufmerksam geworden und laufen die ganze Burrard Street hinunter, um es zu sehen. Je nachdem, in welchem Winkel man es sieht, wirkt es, als würde es auf einer Säule, einer Wohnung stehen, während es nach oben viel breiter wird. Eine geniale optische Täuschung und witzige Architektur. Natürlich flanieren wir auch über den Canada Place, auch heute liegt wieder ein großes Schiff vor Anker. Hier ist Vieles umgestaltet worden. Zum Beispiel wehten früher die Fahnen der Provinzen vor dem Canada Place, heute hat man den Boden neu verlegt und dabei die Provinzen und ihre bekannten Städte als Platten verlegt, so dass man beim Begehen der Plattform einmal durch ganz Kanada spaziert. Ober der oberen Aussichtsplatte wurde die Hymne Kanadas in Englisch und Französisch verlegt. Im Lot 49 gönnen wir uns eine Pause. Kleinkünstler spielen hier Musik, ein Café bietet Sitzgelegenheiten an, der Platz zwischen den Bürogebäuden ist begrünt und mit Bäumen bewachsen, eine kleine Oase inmitten der Betonwüste. Vancouver ist eine Stadt, die mit der Zeit geht, modern, hip, sie wächst, aber überall sieht man solch kleine Oasen und auch alte, kleine Backsteingebäude aus dem vorletzten Jahrhundert stehen neben gläsernen, hoch in den Himmel schießenden Wolkenkratzern. Am frühen Abend machen wir tatsächlich schon ein paar Einkäufe für die Abreise, ein paar Mitbringsel für zu Hause, als Erinnerung für uns. Es ist so unwirklich. Wo sind die drei Wochen nur geblieben? Um von dieser Frage abzulenken, gehen wir mit vollen Einkaufstüten in die Spaghetti Factory in Gas Town. Die haben dort nicht nur fantastisches italienisches Essen, sondern auch ein besonderes Ambiente. Innen steht ein Straßenbahnwaggon, für Gäste hergerichtet und das sanfte Licht kommt aus unzähligen Tiffanylampen. Ansonsten ist es sehr gemütlich, rustikal und ein bißchen antik eingerichtet.
Unser letzter Tag gehört dem Stanley Park. Wir wandern die Straße von Gas Town hoch zum Yachthafen und folgen dem Wanderweg außen um den Park herum, bis wir hinter dem neuen Wasserspielplatz zum Beaver Lake abbiegen können. Von dort aus steuern wir den Red Cross Point an. Der Stanley Park ist riesig für einen Stadtpark. Wir wandern heute ca. 15 km nur durch und um den Park. Im Gegensatz zu damals sind viel mehr Wege richtig ausgebaut worden, sowohl für Fußgänger und vor allem für Radfahrer. Der Aussichtspunkt Red Cross Point bietet einen Ausblick auf den Pazifik, wo die großen Schiffe hereinkommen und auf die Lions´s Gate Bridge, die Vancouver mit der North Shore verbindet. Nach dem Großstadtbummel von gestern genießen wir es noch einmal richtig, hier durch den Wald zu wandern, auch wenn ganz schön was los ist. Der Stanley Park ist ein richtig schöner Naherholungsort für Groß und Klein in einer so großen Stadt wie Vancouver. Schon fast wieder auf dem Rückweg kommen wir an einem kleinen Strandabschnitt vorbei. An einem Marktstand ergattern wir zwei üppige Obstschalen mit Brombeeren und Himbeeren, setzen uns in den Sand und letztlich gehe ich sogar noch ins Wasser. Einmal im Pazifik baden! Das Wasser ist erstaunlich warm! Später, vorbei an der Lost Lagoon, treffen wir dann endlich auch auf die kleinen Eichhörnchen, die ich schon vermisst habe. Man darf sie aus gutem Grund inzwischen nicht mehr füttern und das hat sich herumgesprochen. Waren sie früher wie ein Schwarm Tauben unterwegs, überall wo es Parkbänke gab, so findet man sie heute nur noch im Vorbeiflitzen oder eben in den Sträuchern und Bäumen und haben unnatürliche Zutraulichkeit verloren. Aber niedlich sind sie immer noch!
Mit müden Füßen der letzten Tage finden wir zum Abschluss unserer Reise dank eines Insider Tipps eine kleine, unscheinbare Bar in Gas Town. Ohne den Tipp hätten wir sie weder gefunden, noch wären wir auf die Idee gekommen, hineinzugehen. An einem Restaurant führt eine Treppe hinab in das Kellergewölbe, ins Guilt & Co, nur ein unscheinbares Schild mit einem Pfeil weist auf die Bar hin. Wir haben Glück und erleben Livemusik, die uns gefällt, Countrystyle. Mit ein paar Drinks und Knabbereien setzen wir uns ins bunt gemischte Publikum. Für ein paar Stunden denken wir noch nicht daran, dass wir danach noch die Koffer packen müssen.
Am Tag unserer Abreise regnet es in Strömen. Wie passend. Aber so fällt es niemanden auf, dass mir bei der Ankunft am Flughafen tatsächlich ein paar Tränen herunterkullern.
Schlusswort
Ich werde immer wieder gefragt, woher kommt meine Faszination für Kanada? Andere Länder sind doch ähnlich und viel näher. Dazu habe ich mir wirklich Gedanken gemacht. Es gibt wohl keine rationale Erklärung. Aber schon 1996, als ich das erste Mal und direkt allein nach Vancouver geflogen bin, hatte ich dieses unglaubliche Gefühl des Nachhausekommens. Ein Freund sagte daraufhin zu mir:
„In Kanada siehst Du die Landschaft deiner Seele – hier siehst Du nur eine schöne Landschaft“