Nova Scotia und Prince Edward Island
Weiße Flecken auf der Landkarte
Juni 2023


Teil 1 – Nova Scotia

Text: Carsten Siegel

Die kanadische Atlantikküste! Trotz vieler Kanadareisen ist diese Region noch immer ein weißer Fleck auf meiner persönlichen Karte. Umso mehr habe ich mich natürlich gefreut, als sich im Juni 2023 die Gelegenheit ergab, hier auf die Reise zu gehen.

So, auf nach Frankfurt und rein in den Flieger. Nach einer Portion Pasta und einem warmen Cookie vergeht die Zeit dank der guten Filmauswahl wie im Flug. Naja, es sind ja auch nur gut 6 Stunden, bis man auf die endlosen Wälder und Seen rund um den Halifax Stanfield International Airport blickt. Halifax ist auch die erste Station meiner Reise. Als Basis dient ein tolles Zimmer im Cambridge Suites Hotel, zentral am Citadel Hill gelegen. Von hier lässt sich so gut wie alles zu Fuß erreichen: Der vier Kilometer lange Boardwalk entlang der Harbourfront, die viktorianischen Public Gardens, das Canadian Museum of Immigration at Pier 21 und Shopping-Meilen wie die Spring Garden Road. Besonders beeindruckt hat mich auf meinem ersten Rundgang der tolle Mix aus bunten Holzhäusern, prunkvollen Kolonialbauten und modernen Glasfronten. Direkt aufgefallen sind mir auch die vielen charmanten Restaurants und Pubs. Apropos Pubs, keine andere Stadt in Nordamerika kommt auf so viele Pubs pro Einwohner. Den Abend lassen wir im Old Triangle Irish Alehouse bei folkiger Live-Musik und lokalem IPA ausklingen – Tanzen und Mitsingen inklusive.

Erster morgen in Kanada. Mann, habe ich gut geschlafen. Nur 5 Stunden Zeitverschiebung machen im Vergleich zu den 9 Stunden im Westen schon einen spürbaren Unterschied. Nachdem ich mir gestern einen ersten Eindruck von Halifax verschafft habe gibt es heute eine neue Perspektive. Im "Harbour Hopper" mache ich eine sehr unterhaltsam kommentierte Stadtrundfahrt. Spannend wird es, als wir am Hafen ankommen. Der Sightseeing-Bus ist nämlich ein Amphibienfahrzeug aus Vietnamkriegs-Zeiten. Mit ordentlich Tempo geht es ins Wasser, dann etwas gemütlicher entlang der Harbourfront und vorbei an Georges Island. Zurück an Land erklimme ich den grünen Hügel im Zentrum der Stadt, um an einer geführten Tour durch die sternförmige Festung der Halifax Citadel teilzunehmen. Zeitreise inklusive. Studenten in Uniformen des Regiments der 78th Highlanders vermitteln einen guten Eindruck vom militärischen Alltag vor 150 Jahren. Jeden Tag pünktlich um 12 Uhr wird hier eine Kanone abgefeuert. Lohnenswert sind natürlich auch die tollen Ausblicke auf die Stadt und die Ausstellung über die Geschichte von Halifax und der Zitadelle – von der ersten Mik'maq Siedlung bis heute.

Am folgenden Tag steht Peggy's Cove auf dem Programm. Ein Bilderbuch-Fischerdorf und der wohl meistfotografierte Leuchtturm in Kanada! Tatsächlich fühle ich mich hier, als würde ich mich durch eine begehbare Postkarte bewegen. Kontrovers diskutiert wurde die neue Viewing Platform, die hier 2021 eröffnet wurde. Manche sahen den ursprünglichen Charme des Fischerörtchens in Gefahr, andere begrüßten den barrierefreien Zugang. Ich finde, das neue Viewing Deck und der neue Weg durch die Felsen sind schön gemacht und fügen sich hervorragend ein. Tourismus ist aus diesem Ort so oder so schon lange nicht mehr wegzudenken. Nur konsequent also, allen die Möglichkeit zu geben, sich hier gut und sicher zu bewegen.
Pluspunkt dabei: Je mehr Menschen sich auf der Plattform aufhalten, desto freier ist der Blick auf das Lighthouse – zu dem man natürlich auch weiterhin über die Felsen gelangen kann. Auch der Fußgängerweg entlang der Straße durch den Ort ist für mich eine Bereicherung. Kleiner Tipp: Wer morgens vor 9 Uhr da ist, sieht Peggy's Cove im schönsten Licht und muss die Kulisse nur mit wenigen anderen Besuchern teilen.

Historisch geht es danach in Lunenburg weiter. 1751 kamen hier etwa 1500 Einwanderer an, größtenteils aus Deutschland. Per Los erhielt jede Familie ein gleich großes Grundstück und die gleiche Menge Holz für den Bau eines Hauses. Die Einwanderer wurden zu erfolgreichen Fischern und Bootsbauern, und so gelangte die Stadt schnell zu Wohlstand. Ich erkunde die Stadt im Rahmen einer geführten Walking Tour. Sowohl die Struktur der von der britischen Regierung geplanten Kolonialstadt als auch der damalige Architekturstil sind bis heute perfekt erhalten. Einfache Blockhäuser wurden über die Jahre mit prunkvollen Erkern und prachtvollen Verzierungen aufgewertet und in allen denkbaren Farben gestrichen. Wahnsinnig schön! Besonders beeindruckend finde ich die "Zimmermannsgothik" der Kirchen. Hier werden sämtliche Elemente einer europäischen Gothik-Kirche mit Holz kopiert. Lunenburgs Status als UNESCO Weltkulturerbe ist eindeutig verdient.
Empfehlen würde ich auch einen Besuch im Fisheries Museum of the Atlantic. Und eine Lobster Roll im darüber liegenden Restaurant.

Von der Ostküste Nova Scotia reise ich tags darauf an die Westküste. Genauer gesagt an die Bay of Fundy, bekannt für ihre extremen Gezeiten. Zwischen Ebbe und Flut liegen hier in der Regel 13-16 Meter – Weltrekord! Bei Ebbe erreiche ich den Burntcoat Head Park und nehme an einer geführten Tour über den Meeresboden teil. Wahnsinn, wie viel Leben sich auf den Felsen, im Watt und in den Gezeitenbecken tummelt. Unser Tourguide erklärt uns allerhand Wissenswertes über die Pflanzen, Krebse, Muscheln und Fische dieses extremen Lebensraums. Spannend wird es, als in einem der Gezeitenbecken plötzlich zwei der Muscheln anfangen aufeinander zu zu laufen, Zangen ausfahren und gegeneinander kämpfen. Die beiden Einsiedlerkrebse hatten wohl noch eine Rechnung miteinander offen. Das größte Highlight des Burntcoat Head ist aber sicherlich "Flower Pot Island". Der Name erklärt sich schnell. Inmitten des Meeresgrundes wächst auf einem Fundament von terrakotta-roten Klippen ein leuchtend grüner Mischwald.

Der Weg entlang der Bay of Fundy führt mich durch die Grand-Pré Kulturlandschaft. Vom The Landscape of Grand Pré View Park führt ein schöner Pfad durch die Felder zur National Historic Site mit der alten Kirche. Schon 1680 nutzen französische Siedler hier das fruchtbare Ackerland. Heute ist die Region DAS Weingebiet Nova Scotias. Auf dem Weingut von Domaine de Grand Pré nehme ich an einer Verkostung teil. Vor allem die Weißweine sind wirklich spitzenmäßig! Im gemütlichen Inn kann man auch die Nacht direkt auf dem Weingut verbringen. Zum Dinner bietet sich das hauseigene Restaurant an, das Le Caveau. Ich mache es mir im herrlich grünen Außenbereich gemütlich. Die Hauptgerichte (ich hatte ein Lachsforellenfilet) sind auf hohem Niveau, die Portionen eher klein. Angesichts der großartigen Vorspeisen und Desserts ist das allerdings auch besser so. Noch ein persönlicher Tipp: Wer wie ich eigentlich lieber Bier als Wein verkostet, kommt bei der der Church Brewing Company in Wolfville auf seine Kosten. Der Name ist Programm: Die Brauerei und die dazugehörige Gastronomie befinden sich in einer restaurierten Kirche. Um direkt mehrere der 13 eigenen Biere am Zapfhahn zu probieren empfiehlt sich ein Beer Flight mit vier kleinen Probiergläsern. Mein Favorit: Das 902 East Coast IPA.

Damit endet leider meine Zeit in Nova Scotia, doch zum Glück geht es nicht direkt zurück zum Airport. Es stehen nämlich noch einige Tage auf Prince Edward Island auf dem Programm!