Es ist Mitte März 2016 und mir kommt es so vor, als wären wir gerade erst von unserem letzten Schöffel-Trip Ende September zurückgekehrt. Und doch fühlt es sich neu und anders an. Kein Wunder - uns erwartet ja auch etwas völlig anderes. Etwas Großartiges: Die kanadischen Rocky Mountains im Spätwinter. Und meine Lieblingsskigebiete Lake Louise und Sunshine Village!
Text: Rainer Schoof Fotos: Michael Müller (KME/Schöffel) und Rainer Schoof
Der Nonstop-Flug 845 der Air Canada nach Calgary ist pünktlich, ruhig und angenehm. Was will man mehr? Das Beste ist jedoch die frühe Ankunftszeit in der Präriestadt, von der man die Rocky Mountains schon sehen kann. Landung um kurz nach eins mittags und um zwei stehe ich schon am Mietwagen-Schalter. Zeitdruck habe ich auch, klar. Aber irgendwie zieht es mich auch einfach nur in die Berge und ich bin froh, dass mir die frühe Ankunft eine erste Hotelnacht in der Stadt erspart. Im Gegenteil - bis nach Lake Louise will ich noch kommen. Sollte kein Problem sein, denn das Tageslicht wird mir für die gesamte Fahrt erhalten bleiben.
So, jetzt steht es also unmittelbar bevor - das zweite Schöffel-Shooting in Kanada. Es ist Mitte März 2016 und mir kommt es so vor, als wären wir gerade erst von unserem letzten Schöffel-Trip Ende September zurückgekehrt. Und doch fühlt es sich wieder komplett neu und anders an. Kein Wunder - uns erwartet ja auch etwas völlig anderes. Zwar machen wir geografisch da weiter, wo wir im Herbst aufgehört haben - in den Rockies rund um Lake Louise und Banff - aber jetzt reden wir natürlich vom Winter. Genauer: von den kanadischen Rocky Mountains im Winter! Meine Ski habe ich dabei - es kann losgehen!
Natürlich ist auch mein Freund Andy Schwaiger wieder mit von der Partie. Seinen Kleinbus, der uns im Sommer bei unseren Kleingruppenreisen so treue Dienste leistete, hat er schon am Airport vorgefahren und gut gelaunt empfängt er mich am Passagierausgang. Zusammen mit Ole Helmhausen, unserem Reisejournalisten. Der ist natürlich auch wieder dabei. Kurz nach mir kommt auch die Schöffel-Crew mit ihren Unmengen an Gepäck aus dem Zollbereich heraus. Großes Hallo, dann alle in den Bus. Nur Ole und ich steigen in den ausgeliehenen SUV. Und los geht es in Richtung Rockies. Am Anfang die übliche Orientierungsphase im Mietwagen. "Wo geht denn hier das Radio an und wie stellt man die Temperatur ein?" Am Airport hat's gerade gereicht, um schnell das iPad-Mini mit Halterung an die Windschutzscheibe zu klatschen und die Tomtom-Navigations-App ans Laufen zu bringen. Doch die lotst uns dann zuverlässig durch das anfängliche Gewirr von Highway-Auf- und Abfahrten, bis wir auf dem Transcanada Highway in Richtung Westen unterwegs sind - und erst einmal aufatmen.
Und dann - aahhh! Die Rockies! Immer wieder einmalig, wie sie sich genauso plötzlich wie majestätisch aus der Weite der Prärie erheben. Wie eine gigantische Wand, die klar zum Ausdruck bringt: Hier ist Schluss mit Flachland! Kurze Zeit später ist man dann schon mittendrin in diesem beeindruckenden Gebirge. Vorbei an Canmore - Mann, das ist schon wieder gewachsen, neue Hotels sieht man schon von der Straße aus - geht es hinein in den Banff Nationalpark. Ein kurzer Stopp in Banff am Büro von Banff-Lake-Louise Tourism (BLLT). Hierhin hat Schöffel die Bekleidung vorausgeschickt, die in den nächsten Tagen abgelichtet werden soll. Ryan Elliot, unser Mann vor Ort von BLLT, erwartet uns schon und führt uns zu der Schöffel-Lieferung. Was? Neun große Alukisten? Nie und nimmer bekommen wir die in unseren Kofferraum! "Kein Problem", grinst Ryan. "Ich komme mit. Mein Kofferraum ist ganz leer." Glück gehabt. Aber so kennen wir es ja von den Kanadiern.
Auf nach Lake Louise! Ein Traum die Fahrt durch das Bow Valley, am Westufer des Bow River entlang. Der Fluss fließt, aber rechts und links am Ufer sind noch dicke Eisschollen aufeinander geschoben. Dieses Wildnis-Bild vor der Kulisse des imposanten Castle Mountain - einfach nur großartig! Unterhalb des Lake Louise steuern wir im gleichnamigen Örtchen das Lake Louise Inn an, unsere Unterkunft für die nächsten drei Nächte. Einchecken, Sachen ins Zimmer werfen, duschen und dann runter in den Pub. Ein leckeres kanadisches Bier und den ersten Bison-Burger des Jahres. Alles ist gut!
Ryan ist zum Dinner geblieben. Er wird das Shooting hier im Banff Nationalpark in Etappen begleiten. Gelegenheit zu einer ersten kurzen Lagebesprechung. Ins Skigebiet von Lake Louise soll es morgen gehen. Zum Location-Scouting. Hört sich nach viel Skifahren an. Super! Jetzt ist wirklich alles gut! Todmüde, aber mit großer Vorfreude auf den nächsten Tag falle ich in mein Bett. Könnte schwören, dass ich schon schlafe, bevor mein Kopf das Kissen berührt.
Der neue Tag und das Skigebiet Lake Louise warten auf uns! Aber zunächst das richtig gute Frühstücks-Buffet im Lake Louise Inn. Es gibt leckeren Schinken - ja, über so etwas kann ich mich in Kanada immer noch freuen. Überhaupt wurde es mal wieder Zeit, dass ich hier ins Lake Louise Inn komme. Meiner Meinung nach ist und bleibt es im Winter das ideale Hotel für alle Skifahrer, die wissen, dass sie sich auf Lake Louise und die herrlichen Back Bowls konzentrieren wollen und nicht zwangsläufig den Luxus eines Fairmont Hotels brauchen. Sprich, die Zimmer sind typische, nordamerikanische Hotelzimmer: nicht zu klein, sauber, no frills. Pool und Whirlpool gibt's noch. Für uns passt's super. Auch wegen der Lage: Kein Hotel in Lake Louise liegt näher am Skigebiet.
Gestärkt geht es los. Ski Lake Louise - wir kommen! Richtig gut schaut's aus mit dem Wetter. Zu unserer Überraschung wollen Ryan und Chef-Fotograf Michael Müller Andy und mich gar nicht dabei haben bei ihrem Location-Scouting. Mit Filmer Mario Entero und dem Skirennläufer Benni Raich wollen sie los. Benni hat eine eigene Partnerschaft mit Schöffel und ist relativ spontan mit auf diesen Trip gekommen. Freut uns natürlich - bringt Glanz in die Hütte! Für heute, erklärt uns Ryan, sind wir jedoch nicht als komplette Filmcrew angemeldet und daher möchte er das Scouting-Team klein halten.
"All right", sagt Andy zu mir. "We're on our own - even better!" Denn Andy kennt das Skigebiet wie seine Westentasche - und vor allem die Back Bowls. Die vielen kleinen, steilen Felskamine, in die man teilweise leicht hineinspringen muss und in denen noch so viel Powder auf uns wartet. Herrlich! Ich muss zugeben, ich hatte fast vergessen, wie schön dieses Skigebiet mit all seinen Möglichkeiten rechts und links der Piste ist! Die Temperaturen sind unter null - also herrlicher Schnee auch auf den breiten, präparierten Pisten. Aber der eigentliche Reiz von Lake Louise liegt im Gelände. Das Außergewöhnliche ist ja gerade, dass innerhalb des Gesamtskigebiets alles freigegeben und dennoch lawinenkontrolliert ist. "What you see is what you ski" - gerade für Europäer ein eher unbekanntes Konzept. Wirklich etwas Besonderes!
Immer und immer wieder schmeißen wir uns in die kleinen Schluchten hinein - wir können einfach nicht genug bekommen! Und das, obwohl sich der Himmel zuzieht und man teilweise in dem leicht zerfahrenen Pulverschnee gar nicht mehr so genau sieht, wo man eigentlich hinfährt. Aber es ist traumhaft und wir genießen die leeren Hänge in vollen Zügen. Zum Lunch fahren wir runter in die Day Lodge von Lake Louise - ein großes, atmosphärisches Rundholzgebäude mit allen Annehmlichkeiten. Vom Skiverleih unten über das Kantinen-Restaurant in der Mitte bis zum japanischen Restaurant und dem gemütlichen Pub oben. Wir entscheiden uns für oben rechts, den Pub - eh klar. Ein zünftiges Canadian und Chicken Wings. Wir sind ja schließlich in Kanada!
Der Nachmittag wird genauso schön. Immer wieder beeindruckt mich, dass der Schnee überhaupt nicht an Qualität verliert! Schließlich müssen wir jedoch vor der immer schlechter werdenden Sicht kapitulieren. Macht nichts. Wir fühlen uns reif für die Annehmlichkeiten des Hotels. Sind richtig kaputt. Ein Start nach Maß für das Skifahren in den kanadischen Rockies!
Ach, daran kann man sich gewöhnen: morgens Frühstücksbuffet und dann die fünfminütige Fahrt Skigebiet. Und über Nacht hat es geschneit! Andy und ich können es kaum erwarten loszukommen. Am Resort habe ich Gelegenheit, mich mit Benni Raich zu unterhalten. Ist ja schon ein beeindruckender Skiläufer! Und auch er ist vom Skifahren in Kanada begeistert. Die Weltcup-Abfahrt in Lake Louise gehört zu seinen absoluten Lieblings-Rennstrecken.
Andy und ich helfen, das Basiscamp für die Schöffel-Crew in der Lodge auf der Rückseite des Hauptbergs einzurichten. Alles muss auf Skiern hingetragen werden. Abenteuerlich - vielleicht sogar unvernünftig. Niemals würde ich unter normalen Umständen mit solchen Lasten auf dem Rücken auf die Bretter gehen. Andy grinst mich nur an, als wir uns beide schnaufend mit großen Lastenrucksäcken aus dem Sessellift schleppen. "It is what it is, my friend!" An der Lodge müssen dann die "Models" - keine Profis, sondern Locals aus Banff - angekleidet, geschminkt und eingewiesen werden. Hektik - fast Chaos. Doch dann läuft plötzlich alles nach einem für Andy und mich unsichtbaren, aber offenbar routiniertem Schema ab. Diese Crew macht so etwas nicht zum ersten Mal.
Zeit für uns, die vielen anderen Geländeabfahrten auszutesten. Bis zum Mittag. Dann schauen wir nochmal bei der Schöffel-Crew vorbei. Das Wetter ist nicht optimal. Aber sie haben sich in den Kopf gesetzt, im "Elevator" zu fotografieren. Ein Tiefschneehang, den man erst komplett ersteigen muss. Das geht nur über einen steilen Grat - und heute auch nur, weil die Ski Patrol dabei ist. Wir sehen die kleine Gruppe um Benni Raich und Fotograf Michael nur noch in der Ferne den Grat hinaufsteigen. Sieht irgendwie unwirklich aus und erinnert mich in diesem diffusen Licht an die alten Bilder der Goldrauschpioniere am Anstieg des legendären Chilkoot Trail.
Sie sind schon zu weit oben -?wir können nicht mehr hinterher. Also, noch ein paar Abfahrten für uns! Bei der letzten Waldabfahrt brauchen wir so lange, um auf unmöglichen Wegen durch den Wald zu stochern, dass wir fast die letzte Sesselliftauffahrt zurück hinüber zur Frontseite verpassen. Naja, eigentlich haben wir sie schon verpasst. Aber der junge Mann am Lift lacht nur, als er uns sieht, klappt die bereits hochgestellte Sitzfläche wieder herunter und bedeutet uns einzusteigen. „No worries. Have fun up there!“ Auch das ist Skifahren in Kanada.
Das Skigebiet Sunshine Village steht am nächsten Morgen auf dem Programm. Etwas früher aufstehen, denn wir müssen noch auschecken. Heute ziehen wir um nach Banff. Und die Fahrt von Lake Louise zum Skigebiet dauert eine knappe halbe Stunde. Mit seinen großen und weiten Abfahrtsflächen ist Sunshine Village ein Paradies für den Pistenfahrer. Das Upper Village ist zudem das einzige On-Mountain-Resort in den Nationalparks. Ski in, ski out: Richtig einladend sieht das Sunshine Village Inn aus mit seinen komfortablen Loftzimmern, deren Balkone hinüber zu den Liften blicken. Ein neuer Plan reift in mir: Das mache ich nochmal mit der Familie. Drei, vier Tage hier oben – das muss ein Traum sein. Denn die Infrastruktur ist überzeugend. Zwar muss man mit der Gondel hochfahren – es gibt keine Straßenzufahrt im Winter – aber dann hat man ja alles, was man braucht. Nicht nur das Hotel mit all seinen Annehmlichkeiten, sondern zur attraktiven Abwechslung auch das Old Trapper Restaurant gegenüber, das auf eine ganz eigene sympathische Weise Western-Atmosphäre mit dem Flair einer österreichischen Skihütte verbindet.
Andy und ich treffen die Crew oben auf dem Berg. Der letzte halbe Tag mit Benni Raich. Außerplanmäßig musste unser Skirennläufer morgens noch einmal mit auf den Berg, denn die Szenerie, in der Cheffotograf Michael seine Bilder macht, ist einfach nur spektakulär an einem solchen Tag mit blauem Himmel und einer atemberaubenden Fernsicht. Auch wenn es nur noch wenige Stunden bis zu seinem Rückflug ab Calgary sind, hat Benni die Ruhe weg und meistert Michaels Anweisungen routiniert. Souverän steht er auf den Ski oder schnallt die Bretter ab, um sie fotogen den Hang hinauf zu tragen. Sieht alles super aus. Ich ziehe meine Handschuhe aus, um selbst ein bisschen mit dem Handy zu filmen und spüre schon nach einer Minute meine Finger nicht mehr. Es ist -12 Grad –?das ist schon eine Ansage!
Aber der Schnee ist ein Traum! Für Andy und mich zumindest. Auch hier finden wir noch einiges an Tiefschnee und spannendem Gelände. Klar, mit Lake Louise ist Sunshine in Sachen Gelände sicher nicht zu vergleichen. Da hat Lake Louise mehr zu bieten. Mehr Variation – nicht unbedingt Extremeres. Denn den „Geländeknaller“ schlechthin gibt es hier in Sunshine. „Delirium Dive“ – nomen est omen: ein langgezogenes Kanonenrohr auf der Bergrückseite. Die steilste unpräparierte Geländeabfahrt in einem Skigebiet weltweit. Auf einem Schild am hinführenden Sessellift lesen wir, dass „The Dive“ heute für ein paar Stunden geöffnet wird – gerade so, dass es für uns nicht reinpasst. Schade, aber halb so schlimm. Noch stäubender Schnee auf den Pisten, recht tiefer und dennoch leichter Schnee im Gelände, ein paar schöne Buckel – alles gut. Gefällt uns. Und schafft uns. Denn für Sunshine gilt das Gleiche wie für Lake Louise: Skifahren, Skifahren, Skifahren. Kein Verschnaufen an den Liften – einfach immer weiter. Das Gebiet ist groß, variationsreich und dennoch aufgrund der kesselähnlichen Form sehr orientierungsfreundlich. Gefällt mir. Auf einer in den Rockies startenden Skireise würde ich dieses Skigebiet als Start wählen. Zum Einschwingen – und für erste Geländeexkursionen.
Bis drei Uhr nachmittags lassen wir es krachen. Dann sind wir platt und begeben uns auf die Talabfahrt. Die Crew ist auch fertig. Auf nach Banff. In die Banff Caribou Lodge, eines meiner Lieblingshotels in Banff. Andy und ich erzählen von unseren Tiefschneeabfahrten. Fotograf Michael rollt mit den Augen. Er ist im Augenblick nicht so zufrieden. Als Perfektionist war ihm der Schnee nicht tief und jungfräulich genug. Er hätte sich für die Aufnahmen mit Benni Raich richtig meterhoch aufwirbelnde Schneewolken gewünscht. Wir sehen erste Bilder und sind begeistert! Ist doch super – aber uns fehlt dann vielleicht doch das professionelle fotografische Auge.
Morgens Frühstück im Keg – wieder ein tolles Buffet. In dem Steakrestaurant hatten wir gestern bereits bei einem ernstzunehmenden Rib Eye den Tag ausklingen lassen. Für die Crew um Fotograf Michael geht es zum Location Scouting für die Non-Ski-Bilder. Im Bow Valley des Banff Nationalparks – alles leicht zu finden. So entscheidet Michael, allein mit kleinem Team zu fahren. Also noch ein Skivormittag für Andy und mich! Passt gut, denn heute hat sich Bart Donelly, der Director Travel Trade von Travel Alberta, zum Frühstück zu uns gesellt. Unter der Woche lebt Bart in Calgary – für die Winter-Wochenenden hat er sein Haus in Banff behalten. Na, das ist doch mal Lifestyle! Und heute ist er extra einen Tag eher ins Wochenende gestartet, um uns zu treffen. Er möchte mit uns Ski fahren. Also gut, wenn ich gezwungen werde.
Sunshine it is again. Heute erkunden wir die Off-Piste-Kamine am Goateye Mountain. Toll – vielleicht doch nicht ganz so weit weg vom Geländeangebot in Lake Louise. Bart ist ein sehr guter Skiläufer und es macht Spaß, sich mit ihm und Andy in die Steilhänge zu stürzen, in denen wir immer wieder herrliche Pulverschneetaschen finden. Keine übermäßigen Mengen, aber so, dass es Spaß macht. Und wenn man dann einmal einen jungfräulichen Kamin entdeckt hat, wird man fast ein bisschen misstrauisch. Warum sind hier noch keine Spuren? Lauern da Felsen unter der Schneedecke? Naja, irgendwann muss einer los und es herausbekommen. Wir wechseln uns ab – jeder ist mal dran. Und alles geht gut.
Zum Nachmittag verschlechtert sich das Wetter. Immer wieder dichte Nebelbänke. Und wärmer ist es auch nicht geworden. Ein guter, anstrengender Skivormittag reicht uns heute. Ab auf die Talabfahrt. Andy muss mit seinem Bus noch auf einen Teil der Filmcrew warten. Filmer Mario ist heute mit kleinem Team auf den Berg gefahren, um Close-ups und technische Aufnahmen zu machen –?zum Beispiel von Jackenreißverschlüssen. Bart und ich fahren zurück nach Banff. Lunch im Keg und dann einfach mal das Hotel genießen. Ich bin echt gern in der Banff Caribou Lodge – für mich die perfekte Mischung aus Komfort und gehobenem Understatement. Und irgendwie echt kanadisch. Tolle Holzapplikationen, die beeindruckende Kamin-Lounge – da kommt man schon beim Hineingehen in die richtige Stimmung. Die Zimmer sind vielleicht etwas kleiner als anderswo, aber dafür sind sie geschmackvoll eingerichtet. Und ein Trumpf ist das KEG mitten im Hotel. Wer die Steaks der KEG-Kette kennt, weiß das:?ein gutes Restaurant, ohne dass alberne Preise aufgerufen würden. Zufrieden und entspannt gehe ich hinauf in mein Zimmer. Und freue mich, denn auf dem Nachttisch hat mir das Zimmermädchen eine Dank-Nachricht geschrieben. Sie hat sich über mein Trinkgeld gefreut. Und so etwas freut mich dann wieder.
Gerade will ich mich auf mein Bett legen, da klingelt das Telefon. Ein aufgeregter Stefan Ritschel – auch der Schöffel-Marketingmann ist natürlich wieder mit von der Partie – erklärt mir, dass es Probleme mit einem der Models gibt. Cristiano aus Italien hat von seinem Zwischenstop in Toronto angerufen. Ihm sei die Einreise nach Kanada verwehrt worden und er müsse zurück nach Deutschland. Ein Schock im Team, insbesondere beim Planungsstab: Krisensitzung, Erarbeitung von Plan B und C. Lokale Model-Agenturen werden kontaktiert. Ich informiere die Air Canada und das SK-Büro in Deutschland und bitte um Hilfe beim Herausfinden, was eigentlich genau passiert ist. Eine ordentliche Maschinerie setzt sich in Gang. Dann klingelt das Telefon von Stefan. Cristiano ist dran. Es sei alles nur ein Scherz gewesen. Er komme nachher aus Calgary mit einem der vielen Shuttles hergefahren. Also, ich muss mich erst einmal setzen. Kaum zu glauben, das Schöffel-Team lacht schon wieder. „Typisch Cristiano“, wird mehrfach geschmunzelt. Mir ist im Augenblick nicht wirklich nach Schmunzeln zumute. Kopfschüttelnd beginne ich überall Entwarnung zu geben.
Damit aber nicht genug. Fotograf Michael hat den Wetterbericht studiert und drängt auf eine Planänderung. Er will nicht mehr drei Tage, sondern nur noch morgen in Banff bleiben, um stattdessen zwei Tage früher nach Südalberta zu fahren. Ein bisschen habe ich schon auf so etwas gewartet. Jetzt ist es also soweit: alles spontan umbuchen. So sind sie, die Fotoshootings. Aber was soll ich sagen? Michael hat ja recht. In den nächsten drei Tagen soll es Superwetter geben, danach eher durchwachsen sein. Und in Südalberta wollen wir die Weite der Prärie vor der Silhouette der Rockies auf die Bilder bringen. Dafür braucht man Fernsicht, ergo: gutes Wetter.
An die Arbeit, Reiseveranstalter! Den leichten Panikanfall schnell unterdrücken. Aber gerade in solchen Situationen hat man gelegentlich auch mal Glück. Alle meine Umbuchungen funktionieren. Erleichtert mache ich mich zum Dinner auf. Heute geht es ins „Balkan“ an der Banff Avenue. Dort ist heute „Greek Night“ – mit Bauchtanz-Vorführung. Bauchtanz und griechisch in Kanada – im Ernst? Also, mein Fall ist diese Art von Entertainmentgastronomie nicht, aber vielen im Team scheint es zu gefallen. Nach dem Essen der angenehme Spaziergang in der klaren, kalten Abendluft auf der Banff Avenue zurück zur Caribou Lodge. Der Blick diese Straße hinab ist einfach immer wieder spektakulär – egal zu welcher Tageszeit. Ich stelle mich mitten auf die Straße, um ein paar Fotos zu schießen – wahrscheinlich zum x-ten mal...
Und irgendwie kann man an der einladenden Bar des Keg abends auch nicht vorbeigehen. Nightcap-Time. Cristiano ist inzwischen angekommen und gesellt sich dazu. Schuldbewusst beeilt er sich, die Getränkerunde zu bezahlen. Naja, da hat er dann wohl noch einmal die Kurve gekriegt. Sympathisch ist er ja – und genau wie alle anderen schaffe auch ich es nicht, ihm länger böse zu sein.
Aufbruch am nächsten Morgen in der Dämmerung. Wir nehmen die allererste Gondel. Michael will das bestmögliche Licht haben - "Action Fotos" stehen heute auf dem Programm. Der Himmel strahlt! Ryan hat eine Ex-Kollegin mitgebracht. Martha ist 40, Skilehrerin in Banff und sieht umwerfend aus. Kein Wunder also, dass sie kurzerhand von der Schöffel-Crew für diesen Tag als Model engagiert wird. Model Cristiano ist auch mit von der Partie. Er ist für die sogenannten "Beauties" vorgesehen. Sprich: Er muss gut aussehen, nicht wirklich Skifahren. Die Stimmung ist super – und die Shooting Location auf der Piste perfekt vorbereitet. Ryan managed professionell mit dem Walkie Talkie das zeitgenaue Losfahren der Models. Alle sind happy. "Super-Schuss", hören wir oft von Michael.
Andy und ich beobachten zufrieden das produktive Treiben, bis uns klar wird, dass es schon wieder nichts mehr zu tun für uns gibt. Außer Skifahren - wie schlimm! Doch Augenblick mal: Zeit zum Skifahren in Sunshine Village und Super-Wetter - diese Kombination schreit doch nach dem "Delirium Dive"! Die legendäre Off-Piste-Abfahrt muss doch dann heute für uns auf dem Plan stehen! Schnell erkundigen wir uns am Lift: In ein bis zwei Stunden soll "The Dive" öffnen. Na, also! Schnell leihen wir uns bei der Schöffel-Crew die erforderliche Ausrüstung zusammen. Ohne Lawinenpiepser und Rucksack mit Schaufel darf man nicht rein. Und mindestens ein ebenso ausgerüsteter Begleiter muss dabei sein. Aber wir sind ja zu zweit und die Ausrüstung haben wir zusammen. Delirium Dive – here we come!
Ich bin beeindruckt. In dieser Form habe ich so etwas noch nie mitgemacht. Oben vom Ausstieg des Sessellifts sind es nur ein paar Meter hinüber zum Eingang. Nein, nicht der Start der Abfahrt. Im Gegenteil – von hier aus muss man erst einmal hochlaufen. Zunächst durch das Tor, an dem das Gerät angebracht ist, das zuverlässig überprüft und mit einem Signalton quittiert, dass wir mit Lawinenpiepsern ausgestattet sind. Dann die endlosen kleinen und steilen in den Schnee gehauenen Stufen den Berg hinauf. Etwa 10-15 Minuten. Ohne Pause, denn hinter dir sind ja schon die nächsten – und keiner will sich die Blöße geben, hier auf den ersten Metern schon Verschnaufen zu müssen. Ich natürlich auch nicht! Also hoch, und oben verschnaufen. Der Blick die Abfahrt hinab flößt Respekt ein. Steil! Hammersteil! Vor allem der Einstieg – mehr kann man eh nicht sehen. Ein paar Freerider-Profis, die hier offensichtlich nicht zum ersten Mal sind, springen über die Abbruchkante und stäuben den Abhang hinunter. Cool! Alle anderen brauchen aber länger. Es gibt mehrere Einstiege – man kann auch noch ewig weiter über den Grat laufen, um noch ein gutes Stück höher einzusteigen. Eine Treppe führt ein Stück hinunter – dort unten soll der Einstieg bedeutend einfacher sein. Also nix für uns. Hallo? Wir werden uns doch jetzt und hier keine Blöße geben! Von einem Local erfahre ich, dass man halt einfach reinspringen soll. Je nachdem welche Route man bei der Abfahrt wählt, gibt es nachher unter Umständen eh keine andere Option als "Mandatory Air", erfahre ich. "Mandatory Air" – also springen. Über Felsen oder Wächten. Puhh.
Ach, was soll's! Auf geht's! Ich suche mir einen Einstieg, der so ein Mittelding zwischen Springen und Reinrutschen darstellt. Skifahrer kennen das: Die Art von Einstieg, bei der man sich vor dem Losfahren die ersten drei, vier Schwünge genau überlegen muss. Man weiß vorher, dass der Ablauf genau passen muss. Eine Möglichkeit zum Stoppen gibt es nicht. Die einzige Alternative heißt Sturz. Andy versucht es ein Stück weiter rechts von mir. Ein Meter, zwei Meter hinab – und dann sehe ich ihn nicht mehr. Aber auch unten in der Abfahrt taucht er nicht auf. "Andy? Alles ok?", rufe ich über den Felsen. Es dauert einen Moment, dann höre ich ein Gegrummel von unten: "Ja, ja. Alles ok. Muss nur eben meine Ski wieder zusammensuchen – fahr nicht hierher!" Nicht sonderlich ermutigend, aber nun ist der Anfang gemacht. Ein paar Zentimeter rutsche ich noch rein – man fängt an, mit sich selbst zu feilschen. Komm, noch ein paar Zentimeter weiter. Und noch ein bisschen. Aber dann ist es soweit – der erste Schwung muss gemacht werden. Und es ist wie immer: So lange man sich vorher mit Abwägungen und Überlegungen aufgehalten hat, so schnell hat man es dann auch schon hinter sich. Die vier Schwünge, die ich mir vorgenommen hatte, klappen einigermaßen und ich stehe fast genau dort im Hang, wo ich auch stehen wollte. Andy wartet schon. Etwas weiter eine junge Frau, die sich im Augenblick nicht weiter zu trauen scheint. Aber bei ihr ist alles ok, versichern wir uns.
Und dann geht's ab! Ich brake den Hang hinunter. Der Schnee scheint sich mit mir zu bewegen - er fließt mit mir hinunter. Ganz natürlich irgendwie - nicht wie eine Lawine. Und dabei stäubt es. Traumhaft. Einfach nur herrlich! Also, da haben sich die Mühen des Hinaufkraxelns doch jetzt schon gelohnt! Super – und auch gar nicht so schwierig die Abfahrt. Finde ich. Der Einstieg hatte Schlimmeres vermuten lassen. Es macht einfach nur Spaß! Andy und ich meistern das Kanonenrohr juchzend – also völlig ohne Probleme. Dann die flache Wedelwiese – technisch anspruchslos aber ein herrlicher Spaß bei dem Tiefschnee. Bis ich dann herausfinde, warum hier noch gar keine andere Spur zu sehen ist. Ein Schlag von unten in die Beine, es kracht, die Ski bleiben stehen und ich fliege durch die Luft. „Mandatory Air“, muss ich später denken. Ich lande mit dem Gesicht im Tiefschnee. Mein Gehirn braucht etwas, um zu verstehen, was gerade passiert ist. Ein Ski von mir hat einen unter dem Schnee verborgenen Felsen erwischt und ist auf der Felskante stehengeblieben. Das konnte mein zierlicher Körper so schnell nicht mitmachen – er setzte seinen Weg talwärts fort. Ohne Ski an den Füßen. "Mandatory Air". Aber alle Knochen sind heilgeblieben und nach einigen Minuten habe ich auch alle meine Sachen wieder zusammengesammelt. Und dann höre ich nur Andy’s "Bad news, Buddy". Meine Ski sind Vollschrott. Komplett durchgebrochen. Seit meinem dritten Lebensjahr stehe ich auf den Brettern – so etwas ist mir noch nie passiert.?Warum musste ich nur meine eigenen Ski mitnehmen?
Irgendwie bringe ich den Dive hinter mich. Auf dem kaputten Ski – wie auch sonst? Selbst die Talabfahrt schaffe ich noch, allerdings mehr schlecht als recht, denn ich merke, dass der Ski mir nun gar nicht mehr gehorcht. Ehrlich gesagt bin ich sogar so unvernünftig und fahre noch einmal mit dem Sessellift zum Einlass des Delirium Dive hinauf. Denn Andy will ihn noch einmal fahren. Und ich will unbedingt ein Foto mit dem zerbrochenen Ski vor dem „Delirium Dive“-Schild haben. „Right on“, lacht der Ski Patroler am Eingangstor. „I guess that’s why they call them the Rocky Mountains!“ Ja, ja – wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Aber eine heiße Dusche im Hotelzimmer und ein kühles Bier im Keg später kann ich dann auch wieder mit den anderen über mein Missgeschick lachen.
Denn alle anderen sind sehr zufrieden mit diesem Tag. Alles ist im Kasten, was Fotograf Michael und Videograf Mario sich vorgenommen haben. Die Stimmung ist ausgelassen. Ein sehr versöhnlicher Abschluss unseres Ski- und Outdoor-Shootings in Lake Louise und Banff.
Ja, natürlich – das Shooting ist ja noch gar nicht zu Ende. Morgen geht es über den Cowboy Trail nach Südalberta. So viel kann ich schon verraten:?Uns erwartet etwas völlig anderes als in den Vortagen. Anderes und Überraschendes. Vieles, mit dem ich gar nicht gerechnet habe und was mich derart beeindruckt hat, dass es seine eigene Geschichte verdient. Aber hier und jetzt heißt es erst einmal Abschied nehmen von dem einmaligen Erlebnis des Skifahrens in den kanadischen Rocky Mountains. Von den Skigebieten Lake Louise und Sunshine Village. Einmal mehr ist mir klar geworden, wie wenig man dieses Erlebnis mit dem Skifahren in Europa vergleichen kann. Es ist und bleibt etwas Besonderes. Etwas, nach dem man süchtig werden kann. Und ich glaube, bei mir ist es soweit. Der März hat’s gemacht. Die Locals haben es mir schon immer gesagt – März und April sind Rohdiamanten für Skifahrer in den kanadischen Rockies. Jetzt weiß ich, dass das stimmt! Gut, getrauert habe ich auch noch – um meinen geliebten Ski. Aber auch nicht wirklich lange, denn irgendwann kam mir der Gedanke:?„Mensch, ist das nicht ein würdiges Ende für diesen tollen Ski? In den Rockies. In Sunshine. Auf dem Delirium Dive!“ Und so habe ich den Ski mit nach Hause genommen und an die Wand gehängt.
Text: Rainer Schoof Fotos: Michael Müller (KME/Schöffel) und Rainer Schoof
Der Nonstop-Flug 845 der Air Canada nach Calgary ist pünktlich, ruhig und angenehm. Was will man mehr? Das Beste ist jedoch die frühe Ankunftszeit in der Präriestadt, von der man die Rocky Mountains schon sehen kann. Landung um kurz nach eins mittags und um zwei stehe ich schon am Mietwagen-Schalter. Zeitdruck habe ich auch, klar. Aber irgendwie zieht es mich auch einfach nur in die Berge und ich bin froh, dass mir die frühe Ankunft eine erste Hotelnacht in der Stadt erspart. Im Gegenteil - bis nach Lake Louise will ich noch kommen. Sollte kein Problem sein, denn das Tageslicht wird mir für die gesamte Fahrt erhalten bleiben.
So, jetzt steht es also unmittelbar bevor - das zweite Schöffel-Shooting in Kanada. Es ist Mitte März 2016 und mir kommt es so vor, als wären wir gerade erst von unserem letzten Schöffel-Trip Ende September zurückgekehrt. Und doch fühlt es sich wieder komplett neu und anders an. Kein Wunder - uns erwartet ja auch etwas völlig anderes. Zwar machen wir geografisch da weiter, wo wir im Herbst aufgehört haben - in den Rockies rund um Lake Louise und Banff - aber jetzt reden wir natürlich vom Winter. Genauer: von den kanadischen Rocky Mountains im Winter! Meine Ski habe ich dabei - es kann losgehen!
Natürlich ist auch mein Freund Andy Schwaiger wieder mit von der Partie. Seinen Kleinbus, der uns im Sommer bei unseren Kleingruppenreisen so treue Dienste leistete, hat er schon am Airport vorgefahren und gut gelaunt empfängt er mich am Passagierausgang. Zusammen mit Ole Helmhausen, unserem Reisejournalisten. Der ist natürlich auch wieder dabei. Kurz nach mir kommt auch die Schöffel-Crew mit ihren Unmengen an Gepäck aus dem Zollbereich heraus. Großes Hallo, dann alle in den Bus. Nur Ole und ich steigen in den ausgeliehenen SUV. Und los geht es in Richtung Rockies. Am Anfang die übliche Orientierungsphase im Mietwagen. "Wo geht denn hier das Radio an und wie stellt man die Temperatur ein?" Am Airport hat's gerade gereicht, um schnell das iPad-Mini mit Halterung an die Windschutzscheibe zu klatschen und die Tomtom-Navigations-App ans Laufen zu bringen. Doch die lotst uns dann zuverlässig durch das anfängliche Gewirr von Highway-Auf- und Abfahrten, bis wir auf dem Transcanada Highway in Richtung Westen unterwegs sind - und erst einmal aufatmen.
Und dann - aahhh! Die Rockies! Immer wieder einmalig, wie sie sich genauso plötzlich wie majestätisch aus der Weite der Prärie erheben. Wie eine gigantische Wand, die klar zum Ausdruck bringt: Hier ist Schluss mit Flachland! Kurze Zeit später ist man dann schon mittendrin in diesem beeindruckenden Gebirge. Vorbei an Canmore - Mann, das ist schon wieder gewachsen, neue Hotels sieht man schon von der Straße aus - geht es hinein in den Banff Nationalpark. Ein kurzer Stopp in Banff am Büro von Banff-Lake-Louise Tourism (BLLT). Hierhin hat Schöffel die Bekleidung vorausgeschickt, die in den nächsten Tagen abgelichtet werden soll. Ryan Elliot, unser Mann vor Ort von BLLT, erwartet uns schon und führt uns zu der Schöffel-Lieferung. Was? Neun große Alukisten? Nie und nimmer bekommen wir die in unseren Kofferraum! "Kein Problem", grinst Ryan. "Ich komme mit. Mein Kofferraum ist ganz leer." Glück gehabt. Aber so kennen wir es ja von den Kanadiern.
Auf nach Lake Louise! Ein Traum die Fahrt durch das Bow Valley, am Westufer des Bow River entlang. Der Fluss fließt, aber rechts und links am Ufer sind noch dicke Eisschollen aufeinander geschoben. Dieses Wildnis-Bild vor der Kulisse des imposanten Castle Mountain - einfach nur großartig! Unterhalb des Lake Louise steuern wir im gleichnamigen Örtchen das Lake Louise Inn an, unsere Unterkunft für die nächsten drei Nächte. Einchecken, Sachen ins Zimmer werfen, duschen und dann runter in den Pub. Ein leckeres kanadisches Bier und den ersten Bison-Burger des Jahres. Alles ist gut!
Ryan ist zum Dinner geblieben. Er wird das Shooting hier im Banff Nationalpark in Etappen begleiten. Gelegenheit zu einer ersten kurzen Lagebesprechung. Ins Skigebiet von Lake Louise soll es morgen gehen. Zum Location-Scouting. Hört sich nach viel Skifahren an. Super! Jetzt ist wirklich alles gut! Todmüde, aber mit großer Vorfreude auf den nächsten Tag falle ich in mein Bett. Könnte schwören, dass ich schon schlafe, bevor mein Kopf das Kissen berührt.
Der neue Tag und das Skigebiet Lake Louise warten auf uns! Aber zunächst das richtig gute Frühstücks-Buffet im Lake Louise Inn. Es gibt leckeren Schinken - ja, über so etwas kann ich mich in Kanada immer noch freuen. Überhaupt wurde es mal wieder Zeit, dass ich hier ins Lake Louise Inn komme. Meiner Meinung nach ist und bleibt es im Winter das ideale Hotel für alle Skifahrer, die wissen, dass sie sich auf Lake Louise und die herrlichen Back Bowls konzentrieren wollen und nicht zwangsläufig den Luxus eines Fairmont Hotels brauchen. Sprich, die Zimmer sind typische, nordamerikanische Hotelzimmer: nicht zu klein, sauber, no frills. Pool und Whirlpool gibt's noch. Für uns passt's super. Auch wegen der Lage: Kein Hotel in Lake Louise liegt näher am Skigebiet.
Gestärkt geht es los. Ski Lake Louise - wir kommen! Richtig gut schaut's aus mit dem Wetter. Zu unserer Überraschung wollen Ryan und Chef-Fotograf Michael Müller Andy und mich gar nicht dabei haben bei ihrem Location-Scouting. Mit Filmer Mario Entero und dem Skirennläufer Benni Raich wollen sie los. Benni hat eine eigene Partnerschaft mit Schöffel und ist relativ spontan mit auf diesen Trip gekommen. Freut uns natürlich - bringt Glanz in die Hütte! Für heute, erklärt uns Ryan, sind wir jedoch nicht als komplette Filmcrew angemeldet und daher möchte er das Scouting-Team klein halten.
"All right", sagt Andy zu mir. "We're on our own - even better!" Denn Andy kennt das Skigebiet wie seine Westentasche - und vor allem die Back Bowls. Die vielen kleinen, steilen Felskamine, in die man teilweise leicht hineinspringen muss und in denen noch so viel Powder auf uns wartet. Herrlich! Ich muss zugeben, ich hatte fast vergessen, wie schön dieses Skigebiet mit all seinen Möglichkeiten rechts und links der Piste ist! Die Temperaturen sind unter null - also herrlicher Schnee auch auf den breiten, präparierten Pisten. Aber der eigentliche Reiz von Lake Louise liegt im Gelände. Das Außergewöhnliche ist ja gerade, dass innerhalb des Gesamtskigebiets alles freigegeben und dennoch lawinenkontrolliert ist. "What you see is what you ski" - gerade für Europäer ein eher unbekanntes Konzept. Wirklich etwas Besonderes!
Immer und immer wieder schmeißen wir uns in die kleinen Schluchten hinein - wir können einfach nicht genug bekommen! Und das, obwohl sich der Himmel zuzieht und man teilweise in dem leicht zerfahrenen Pulverschnee gar nicht mehr so genau sieht, wo man eigentlich hinfährt. Aber es ist traumhaft und wir genießen die leeren Hänge in vollen Zügen. Zum Lunch fahren wir runter in die Day Lodge von Lake Louise - ein großes, atmosphärisches Rundholzgebäude mit allen Annehmlichkeiten. Vom Skiverleih unten über das Kantinen-Restaurant in der Mitte bis zum japanischen Restaurant und dem gemütlichen Pub oben. Wir entscheiden uns für oben rechts, den Pub - eh klar. Ein zünftiges Canadian und Chicken Wings. Wir sind ja schließlich in Kanada!
Der Nachmittag wird genauso schön. Immer wieder beeindruckt mich, dass der Schnee überhaupt nicht an Qualität verliert! Schließlich müssen wir jedoch vor der immer schlechter werdenden Sicht kapitulieren. Macht nichts. Wir fühlen uns reif für die Annehmlichkeiten des Hotels. Sind richtig kaputt. Ein Start nach Maß für das Skifahren in den kanadischen Rockies!
Ach, daran kann man sich gewöhnen: morgens Frühstücksbuffet und dann die fünfminütige Fahrt Skigebiet. Und über Nacht hat es geschneit! Andy und ich können es kaum erwarten loszukommen. Am Resort habe ich Gelegenheit, mich mit Benni Raich zu unterhalten. Ist ja schon ein beeindruckender Skiläufer! Und auch er ist vom Skifahren in Kanada begeistert. Die Weltcup-Abfahrt in Lake Louise gehört zu seinen absoluten Lieblings-Rennstrecken.
Andy und ich helfen, das Basiscamp für die Schöffel-Crew in der Lodge auf der Rückseite des Hauptbergs einzurichten. Alles muss auf Skiern hingetragen werden. Abenteuerlich - vielleicht sogar unvernünftig. Niemals würde ich unter normalen Umständen mit solchen Lasten auf dem Rücken auf die Bretter gehen. Andy grinst mich nur an, als wir uns beide schnaufend mit großen Lastenrucksäcken aus dem Sessellift schleppen. "It is what it is, my friend!" An der Lodge müssen dann die "Models" - keine Profis, sondern Locals aus Banff - angekleidet, geschminkt und eingewiesen werden. Hektik - fast Chaos. Doch dann läuft plötzlich alles nach einem für Andy und mich unsichtbaren, aber offenbar routiniertem Schema ab. Diese Crew macht so etwas nicht zum ersten Mal.
Zeit für uns, die vielen anderen Geländeabfahrten auszutesten. Bis zum Mittag. Dann schauen wir nochmal bei der Schöffel-Crew vorbei. Das Wetter ist nicht optimal. Aber sie haben sich in den Kopf gesetzt, im "Elevator" zu fotografieren. Ein Tiefschneehang, den man erst komplett ersteigen muss. Das geht nur über einen steilen Grat - und heute auch nur, weil die Ski Patrol dabei ist. Wir sehen die kleine Gruppe um Benni Raich und Fotograf Michael nur noch in der Ferne den Grat hinaufsteigen. Sieht irgendwie unwirklich aus und erinnert mich in diesem diffusen Licht an die alten Bilder der Goldrauschpioniere am Anstieg des legendären Chilkoot Trail.
Sie sind schon zu weit oben -?wir können nicht mehr hinterher. Also, noch ein paar Abfahrten für uns! Bei der letzten Waldabfahrt brauchen wir so lange, um auf unmöglichen Wegen durch den Wald zu stochern, dass wir fast die letzte Sesselliftauffahrt zurück hinüber zur Frontseite verpassen. Naja, eigentlich haben wir sie schon verpasst. Aber der junge Mann am Lift lacht nur, als er uns sieht, klappt die bereits hochgestellte Sitzfläche wieder herunter und bedeutet uns einzusteigen. „No worries. Have fun up there!“ Auch das ist Skifahren in Kanada.
Das Skigebiet Sunshine Village steht am nächsten Morgen auf dem Programm. Etwas früher aufstehen, denn wir müssen noch auschecken. Heute ziehen wir um nach Banff. Und die Fahrt von Lake Louise zum Skigebiet dauert eine knappe halbe Stunde. Mit seinen großen und weiten Abfahrtsflächen ist Sunshine Village ein Paradies für den Pistenfahrer. Das Upper Village ist zudem das einzige On-Mountain-Resort in den Nationalparks. Ski in, ski out: Richtig einladend sieht das Sunshine Village Inn aus mit seinen komfortablen Loftzimmern, deren Balkone hinüber zu den Liften blicken. Ein neuer Plan reift in mir: Das mache ich nochmal mit der Familie. Drei, vier Tage hier oben – das muss ein Traum sein. Denn die Infrastruktur ist überzeugend. Zwar muss man mit der Gondel hochfahren – es gibt keine Straßenzufahrt im Winter – aber dann hat man ja alles, was man braucht. Nicht nur das Hotel mit all seinen Annehmlichkeiten, sondern zur attraktiven Abwechslung auch das Old Trapper Restaurant gegenüber, das auf eine ganz eigene sympathische Weise Western-Atmosphäre mit dem Flair einer österreichischen Skihütte verbindet.
Andy und ich treffen die Crew oben auf dem Berg. Der letzte halbe Tag mit Benni Raich. Außerplanmäßig musste unser Skirennläufer morgens noch einmal mit auf den Berg, denn die Szenerie, in der Cheffotograf Michael seine Bilder macht, ist einfach nur spektakulär an einem solchen Tag mit blauem Himmel und einer atemberaubenden Fernsicht. Auch wenn es nur noch wenige Stunden bis zu seinem Rückflug ab Calgary sind, hat Benni die Ruhe weg und meistert Michaels Anweisungen routiniert. Souverän steht er auf den Ski oder schnallt die Bretter ab, um sie fotogen den Hang hinauf zu tragen. Sieht alles super aus. Ich ziehe meine Handschuhe aus, um selbst ein bisschen mit dem Handy zu filmen und spüre schon nach einer Minute meine Finger nicht mehr. Es ist -12 Grad –?das ist schon eine Ansage!
Aber der Schnee ist ein Traum! Für Andy und mich zumindest. Auch hier finden wir noch einiges an Tiefschnee und spannendem Gelände. Klar, mit Lake Louise ist Sunshine in Sachen Gelände sicher nicht zu vergleichen. Da hat Lake Louise mehr zu bieten. Mehr Variation – nicht unbedingt Extremeres. Denn den „Geländeknaller“ schlechthin gibt es hier in Sunshine. „Delirium Dive“ – nomen est omen: ein langgezogenes Kanonenrohr auf der Bergrückseite. Die steilste unpräparierte Geländeabfahrt in einem Skigebiet weltweit. Auf einem Schild am hinführenden Sessellift lesen wir, dass „The Dive“ heute für ein paar Stunden geöffnet wird – gerade so, dass es für uns nicht reinpasst. Schade, aber halb so schlimm. Noch stäubender Schnee auf den Pisten, recht tiefer und dennoch leichter Schnee im Gelände, ein paar schöne Buckel – alles gut. Gefällt uns. Und schafft uns. Denn für Sunshine gilt das Gleiche wie für Lake Louise: Skifahren, Skifahren, Skifahren. Kein Verschnaufen an den Liften – einfach immer weiter. Das Gebiet ist groß, variationsreich und dennoch aufgrund der kesselähnlichen Form sehr orientierungsfreundlich. Gefällt mir. Auf einer in den Rockies startenden Skireise würde ich dieses Skigebiet als Start wählen. Zum Einschwingen – und für erste Geländeexkursionen.
Bis drei Uhr nachmittags lassen wir es krachen. Dann sind wir platt und begeben uns auf die Talabfahrt. Die Crew ist auch fertig. Auf nach Banff. In die Banff Caribou Lodge, eines meiner Lieblingshotels in Banff. Andy und ich erzählen von unseren Tiefschneeabfahrten. Fotograf Michael rollt mit den Augen. Er ist im Augenblick nicht so zufrieden. Als Perfektionist war ihm der Schnee nicht tief und jungfräulich genug. Er hätte sich für die Aufnahmen mit Benni Raich richtig meterhoch aufwirbelnde Schneewolken gewünscht. Wir sehen erste Bilder und sind begeistert! Ist doch super – aber uns fehlt dann vielleicht doch das professionelle fotografische Auge.
Morgens Frühstück im Keg – wieder ein tolles Buffet. In dem Steakrestaurant hatten wir gestern bereits bei einem ernstzunehmenden Rib Eye den Tag ausklingen lassen. Für die Crew um Fotograf Michael geht es zum Location Scouting für die Non-Ski-Bilder. Im Bow Valley des Banff Nationalparks – alles leicht zu finden. So entscheidet Michael, allein mit kleinem Team zu fahren. Also noch ein Skivormittag für Andy und mich! Passt gut, denn heute hat sich Bart Donelly, der Director Travel Trade von Travel Alberta, zum Frühstück zu uns gesellt. Unter der Woche lebt Bart in Calgary – für die Winter-Wochenenden hat er sein Haus in Banff behalten. Na, das ist doch mal Lifestyle! Und heute ist er extra einen Tag eher ins Wochenende gestartet, um uns zu treffen. Er möchte mit uns Ski fahren. Also gut, wenn ich gezwungen werde.
Sunshine it is again. Heute erkunden wir die Off-Piste-Kamine am Goateye Mountain. Toll – vielleicht doch nicht ganz so weit weg vom Geländeangebot in Lake Louise. Bart ist ein sehr guter Skiläufer und es macht Spaß, sich mit ihm und Andy in die Steilhänge zu stürzen, in denen wir immer wieder herrliche Pulverschneetaschen finden. Keine übermäßigen Mengen, aber so, dass es Spaß macht. Und wenn man dann einmal einen jungfräulichen Kamin entdeckt hat, wird man fast ein bisschen misstrauisch. Warum sind hier noch keine Spuren? Lauern da Felsen unter der Schneedecke? Naja, irgendwann muss einer los und es herausbekommen. Wir wechseln uns ab – jeder ist mal dran. Und alles geht gut.
Zum Nachmittag verschlechtert sich das Wetter. Immer wieder dichte Nebelbänke. Und wärmer ist es auch nicht geworden. Ein guter, anstrengender Skivormittag reicht uns heute. Ab auf die Talabfahrt. Andy muss mit seinem Bus noch auf einen Teil der Filmcrew warten. Filmer Mario ist heute mit kleinem Team auf den Berg gefahren, um Close-ups und technische Aufnahmen zu machen –?zum Beispiel von Jackenreißverschlüssen. Bart und ich fahren zurück nach Banff. Lunch im Keg und dann einfach mal das Hotel genießen. Ich bin echt gern in der Banff Caribou Lodge – für mich die perfekte Mischung aus Komfort und gehobenem Understatement. Und irgendwie echt kanadisch. Tolle Holzapplikationen, die beeindruckende Kamin-Lounge – da kommt man schon beim Hineingehen in die richtige Stimmung. Die Zimmer sind vielleicht etwas kleiner als anderswo, aber dafür sind sie geschmackvoll eingerichtet. Und ein Trumpf ist das KEG mitten im Hotel. Wer die Steaks der KEG-Kette kennt, weiß das:?ein gutes Restaurant, ohne dass alberne Preise aufgerufen würden. Zufrieden und entspannt gehe ich hinauf in mein Zimmer. Und freue mich, denn auf dem Nachttisch hat mir das Zimmermädchen eine Dank-Nachricht geschrieben. Sie hat sich über mein Trinkgeld gefreut. Und so etwas freut mich dann wieder.
Gerade will ich mich auf mein Bett legen, da klingelt das Telefon. Ein aufgeregter Stefan Ritschel – auch der Schöffel-Marketingmann ist natürlich wieder mit von der Partie – erklärt mir, dass es Probleme mit einem der Models gibt. Cristiano aus Italien hat von seinem Zwischenstop in Toronto angerufen. Ihm sei die Einreise nach Kanada verwehrt worden und er müsse zurück nach Deutschland. Ein Schock im Team, insbesondere beim Planungsstab: Krisensitzung, Erarbeitung von Plan B und C. Lokale Model-Agenturen werden kontaktiert. Ich informiere die Air Canada und das SK-Büro in Deutschland und bitte um Hilfe beim Herausfinden, was eigentlich genau passiert ist. Eine ordentliche Maschinerie setzt sich in Gang. Dann klingelt das Telefon von Stefan. Cristiano ist dran. Es sei alles nur ein Scherz gewesen. Er komme nachher aus Calgary mit einem der vielen Shuttles hergefahren. Also, ich muss mich erst einmal setzen. Kaum zu glauben, das Schöffel-Team lacht schon wieder. „Typisch Cristiano“, wird mehrfach geschmunzelt. Mir ist im Augenblick nicht wirklich nach Schmunzeln zumute. Kopfschüttelnd beginne ich überall Entwarnung zu geben.
Damit aber nicht genug. Fotograf Michael hat den Wetterbericht studiert und drängt auf eine Planänderung. Er will nicht mehr drei Tage, sondern nur noch morgen in Banff bleiben, um stattdessen zwei Tage früher nach Südalberta zu fahren. Ein bisschen habe ich schon auf so etwas gewartet. Jetzt ist es also soweit: alles spontan umbuchen. So sind sie, die Fotoshootings. Aber was soll ich sagen? Michael hat ja recht. In den nächsten drei Tagen soll es Superwetter geben, danach eher durchwachsen sein. Und in Südalberta wollen wir die Weite der Prärie vor der Silhouette der Rockies auf die Bilder bringen. Dafür braucht man Fernsicht, ergo: gutes Wetter.
An die Arbeit, Reiseveranstalter! Den leichten Panikanfall schnell unterdrücken. Aber gerade in solchen Situationen hat man gelegentlich auch mal Glück. Alle meine Umbuchungen funktionieren. Erleichtert mache ich mich zum Dinner auf. Heute geht es ins „Balkan“ an der Banff Avenue. Dort ist heute „Greek Night“ – mit Bauchtanz-Vorführung. Bauchtanz und griechisch in Kanada – im Ernst? Also, mein Fall ist diese Art von Entertainmentgastronomie nicht, aber vielen im Team scheint es zu gefallen. Nach dem Essen der angenehme Spaziergang in der klaren, kalten Abendluft auf der Banff Avenue zurück zur Caribou Lodge. Der Blick diese Straße hinab ist einfach immer wieder spektakulär – egal zu welcher Tageszeit. Ich stelle mich mitten auf die Straße, um ein paar Fotos zu schießen – wahrscheinlich zum x-ten mal...
Und irgendwie kann man an der einladenden Bar des Keg abends auch nicht vorbeigehen. Nightcap-Time. Cristiano ist inzwischen angekommen und gesellt sich dazu. Schuldbewusst beeilt er sich, die Getränkerunde zu bezahlen. Naja, da hat er dann wohl noch einmal die Kurve gekriegt. Sympathisch ist er ja – und genau wie alle anderen schaffe auch ich es nicht, ihm länger böse zu sein.
Aufbruch am nächsten Morgen in der Dämmerung. Wir nehmen die allererste Gondel. Michael will das bestmögliche Licht haben - "Action Fotos" stehen heute auf dem Programm. Der Himmel strahlt! Ryan hat eine Ex-Kollegin mitgebracht. Martha ist 40, Skilehrerin in Banff und sieht umwerfend aus. Kein Wunder also, dass sie kurzerhand von der Schöffel-Crew für diesen Tag als Model engagiert wird. Model Cristiano ist auch mit von der Partie. Er ist für die sogenannten "Beauties" vorgesehen. Sprich: Er muss gut aussehen, nicht wirklich Skifahren. Die Stimmung ist super – und die Shooting Location auf der Piste perfekt vorbereitet. Ryan managed professionell mit dem Walkie Talkie das zeitgenaue Losfahren der Models. Alle sind happy. "Super-Schuss", hören wir oft von Michael.
Andy und ich beobachten zufrieden das produktive Treiben, bis uns klar wird, dass es schon wieder nichts mehr zu tun für uns gibt. Außer Skifahren - wie schlimm! Doch Augenblick mal: Zeit zum Skifahren in Sunshine Village und Super-Wetter - diese Kombination schreit doch nach dem "Delirium Dive"! Die legendäre Off-Piste-Abfahrt muss doch dann heute für uns auf dem Plan stehen! Schnell erkundigen wir uns am Lift: In ein bis zwei Stunden soll "The Dive" öffnen. Na, also! Schnell leihen wir uns bei der Schöffel-Crew die erforderliche Ausrüstung zusammen. Ohne Lawinenpiepser und Rucksack mit Schaufel darf man nicht rein. Und mindestens ein ebenso ausgerüsteter Begleiter muss dabei sein. Aber wir sind ja zu zweit und die Ausrüstung haben wir zusammen. Delirium Dive – here we come!
Ich bin beeindruckt. In dieser Form habe ich so etwas noch nie mitgemacht. Oben vom Ausstieg des Sessellifts sind es nur ein paar Meter hinüber zum Eingang. Nein, nicht der Start der Abfahrt. Im Gegenteil – von hier aus muss man erst einmal hochlaufen. Zunächst durch das Tor, an dem das Gerät angebracht ist, das zuverlässig überprüft und mit einem Signalton quittiert, dass wir mit Lawinenpiepsern ausgestattet sind. Dann die endlosen kleinen und steilen in den Schnee gehauenen Stufen den Berg hinauf. Etwa 10-15 Minuten. Ohne Pause, denn hinter dir sind ja schon die nächsten – und keiner will sich die Blöße geben, hier auf den ersten Metern schon Verschnaufen zu müssen. Ich natürlich auch nicht! Also hoch, und oben verschnaufen. Der Blick die Abfahrt hinab flößt Respekt ein. Steil! Hammersteil! Vor allem der Einstieg – mehr kann man eh nicht sehen. Ein paar Freerider-Profis, die hier offensichtlich nicht zum ersten Mal sind, springen über die Abbruchkante und stäuben den Abhang hinunter. Cool! Alle anderen brauchen aber länger. Es gibt mehrere Einstiege – man kann auch noch ewig weiter über den Grat laufen, um noch ein gutes Stück höher einzusteigen. Eine Treppe führt ein Stück hinunter – dort unten soll der Einstieg bedeutend einfacher sein. Also nix für uns. Hallo? Wir werden uns doch jetzt und hier keine Blöße geben! Von einem Local erfahre ich, dass man halt einfach reinspringen soll. Je nachdem welche Route man bei der Abfahrt wählt, gibt es nachher unter Umständen eh keine andere Option als "Mandatory Air", erfahre ich. "Mandatory Air" – also springen. Über Felsen oder Wächten. Puhh.
Ach, was soll's! Auf geht's! Ich suche mir einen Einstieg, der so ein Mittelding zwischen Springen und Reinrutschen darstellt. Skifahrer kennen das: Die Art von Einstieg, bei der man sich vor dem Losfahren die ersten drei, vier Schwünge genau überlegen muss. Man weiß vorher, dass der Ablauf genau passen muss. Eine Möglichkeit zum Stoppen gibt es nicht. Die einzige Alternative heißt Sturz. Andy versucht es ein Stück weiter rechts von mir. Ein Meter, zwei Meter hinab – und dann sehe ich ihn nicht mehr. Aber auch unten in der Abfahrt taucht er nicht auf. "Andy? Alles ok?", rufe ich über den Felsen. Es dauert einen Moment, dann höre ich ein Gegrummel von unten: "Ja, ja. Alles ok. Muss nur eben meine Ski wieder zusammensuchen – fahr nicht hierher!" Nicht sonderlich ermutigend, aber nun ist der Anfang gemacht. Ein paar Zentimeter rutsche ich noch rein – man fängt an, mit sich selbst zu feilschen. Komm, noch ein paar Zentimeter weiter. Und noch ein bisschen. Aber dann ist es soweit – der erste Schwung muss gemacht werden. Und es ist wie immer: So lange man sich vorher mit Abwägungen und Überlegungen aufgehalten hat, so schnell hat man es dann auch schon hinter sich. Die vier Schwünge, die ich mir vorgenommen hatte, klappen einigermaßen und ich stehe fast genau dort im Hang, wo ich auch stehen wollte. Andy wartet schon. Etwas weiter eine junge Frau, die sich im Augenblick nicht weiter zu trauen scheint. Aber bei ihr ist alles ok, versichern wir uns.
Und dann geht's ab! Ich brake den Hang hinunter. Der Schnee scheint sich mit mir zu bewegen - er fließt mit mir hinunter. Ganz natürlich irgendwie - nicht wie eine Lawine. Und dabei stäubt es. Traumhaft. Einfach nur herrlich! Also, da haben sich die Mühen des Hinaufkraxelns doch jetzt schon gelohnt! Super – und auch gar nicht so schwierig die Abfahrt. Finde ich. Der Einstieg hatte Schlimmeres vermuten lassen. Es macht einfach nur Spaß! Andy und ich meistern das Kanonenrohr juchzend – also völlig ohne Probleme. Dann die flache Wedelwiese – technisch anspruchslos aber ein herrlicher Spaß bei dem Tiefschnee. Bis ich dann herausfinde, warum hier noch gar keine andere Spur zu sehen ist. Ein Schlag von unten in die Beine, es kracht, die Ski bleiben stehen und ich fliege durch die Luft. „Mandatory Air“, muss ich später denken. Ich lande mit dem Gesicht im Tiefschnee. Mein Gehirn braucht etwas, um zu verstehen, was gerade passiert ist. Ein Ski von mir hat einen unter dem Schnee verborgenen Felsen erwischt und ist auf der Felskante stehengeblieben. Das konnte mein zierlicher Körper so schnell nicht mitmachen – er setzte seinen Weg talwärts fort. Ohne Ski an den Füßen. "Mandatory Air". Aber alle Knochen sind heilgeblieben und nach einigen Minuten habe ich auch alle meine Sachen wieder zusammengesammelt. Und dann höre ich nur Andy’s "Bad news, Buddy". Meine Ski sind Vollschrott. Komplett durchgebrochen. Seit meinem dritten Lebensjahr stehe ich auf den Brettern – so etwas ist mir noch nie passiert.?Warum musste ich nur meine eigenen Ski mitnehmen?
Irgendwie bringe ich den Dive hinter mich. Auf dem kaputten Ski – wie auch sonst? Selbst die Talabfahrt schaffe ich noch, allerdings mehr schlecht als recht, denn ich merke, dass der Ski mir nun gar nicht mehr gehorcht. Ehrlich gesagt bin ich sogar so unvernünftig und fahre noch einmal mit dem Sessellift zum Einlass des Delirium Dive hinauf. Denn Andy will ihn noch einmal fahren. Und ich will unbedingt ein Foto mit dem zerbrochenen Ski vor dem „Delirium Dive“-Schild haben. „Right on“, lacht der Ski Patroler am Eingangstor. „I guess that’s why they call them the Rocky Mountains!“ Ja, ja – wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Aber eine heiße Dusche im Hotelzimmer und ein kühles Bier im Keg später kann ich dann auch wieder mit den anderen über mein Missgeschick lachen.
Denn alle anderen sind sehr zufrieden mit diesem Tag. Alles ist im Kasten, was Fotograf Michael und Videograf Mario sich vorgenommen haben. Die Stimmung ist ausgelassen. Ein sehr versöhnlicher Abschluss unseres Ski- und Outdoor-Shootings in Lake Louise und Banff.
Ja, natürlich – das Shooting ist ja noch gar nicht zu Ende. Morgen geht es über den Cowboy Trail nach Südalberta. So viel kann ich schon verraten:?Uns erwartet etwas völlig anderes als in den Vortagen. Anderes und Überraschendes. Vieles, mit dem ich gar nicht gerechnet habe und was mich derart beeindruckt hat, dass es seine eigene Geschichte verdient. Aber hier und jetzt heißt es erst einmal Abschied nehmen von dem einmaligen Erlebnis des Skifahrens in den kanadischen Rocky Mountains. Von den Skigebieten Lake Louise und Sunshine Village. Einmal mehr ist mir klar geworden, wie wenig man dieses Erlebnis mit dem Skifahren in Europa vergleichen kann. Es ist und bleibt etwas Besonderes. Etwas, nach dem man süchtig werden kann. Und ich glaube, bei mir ist es soweit. Der März hat’s gemacht. Die Locals haben es mir schon immer gesagt – März und April sind Rohdiamanten für Skifahrer in den kanadischen Rockies. Jetzt weiß ich, dass das stimmt! Gut, getrauert habe ich auch noch – um meinen geliebten Ski. Aber auch nicht wirklich lange, denn irgendwann kam mir der Gedanke:?„Mensch, ist das nicht ein würdiges Ende für diesen tollen Ski? In den Rockies. In Sunshine. Auf dem Delirium Dive!“ Und so habe ich den Ski mit nach Hause genommen und an die Wand gehängt.
Schöffel Winter Kampagne 2016
Lake Louise: Benni Raich vor Skiaufnahmen
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