Great Bear Lodge im Mai Westkanada - Kanada Bärenbeobachtungen

Rainer Schoof und Markus Knüpp in Westkanada
Mai 2017



...Leute, ich schulde Euch noch den Rest unserer kurzen, aber sehr intensiven Reise zur kanadischen Pazifikküste. Jetzt geht es mit unserem abenteuerlichen Aufenthalt auf der Great Bear Lodge im Smith Inlet los!


Tag 1: Über Port Hardy (Vancouver Island) ins Smith Inlet

Der Morgen in Vancouver. Gut ausgeschlafen verabschieden Markus und ich uns vom Rosedale on Robson Hotel und von Downtown Vancouver. Das Taxi bringt uns zum Airport - aber diesmal zum South Terminal. Immer wieder cool, von diesem Terminal zu fliegen. Es wirkt irgendwie wie ein Mini-Regionalflughafen - und das mitten neben einem großen internationalen Airport. Übers Rollfeld sind die Terminals zwar verbunden, aber für Passagiere sind sie signifikant voneinander getrennt - nicht wirklich laufbar. Ein kostenloser Shuttle-Service verkehrt zwischen den Terminals - und der Transfer kann je nach Verkehr zwischen 5 und 25 Minuten dauern.

Schnell eingecheckt auf Pacific Coastal Airlines nach Port Hardy auf Vancouver Island. Und wenig später geht's schon los. Mit Handgepäck übers Rollfeld zum Propellerflieger. Security? Braucht man hier nicht. Und der Flieger ist mit gefühlt 10 Personen (hab' nicht so genau nachgezählt) komplett voll. Ungefähr die Hälfte will nach Port Hardy, der Rest fliegt weiter nach Bella Bella. Und ab in die Luft. Unter uns der glitzernde Pazifik, rechts vor uns die schneebedeckten Coast Mountains. Wunderschön. Fast ist man ein bisschen traurig, dass es nur so ein kurzer 'Hüpfer' nach Port Hardy ist, aber nachher geht es für uns ja noch einmal in die Luft. Ein paar Stunden haben wir aber noch bis zu unserem Flug mit dem Wasserflugzeug zur Great Bear Lodge im Smith Inlet. Und so schlendern wir noch ein wenig durch Port Hardy. Zum Lunch in den Sporty Pub. Gar nicht klein, dieser Pub. Und das Essen ist gut. Keine kulinarischen Überraschungen natürlich. Just Pub-Food. Aber das passt für uns gerade super. Und dann marschieren wir auch schon zum Floatplane Dock am kleinen Container-Büro der Great Bear Lodge. Marg Leehane ist auch schon da. Die Mitbesitzerin der Lodge winkt uns schon von weitem zu. Wir sind zwar eine gute halbe Stunde vor dem vereinbarten Termin da, aber der Pilot ist auch schon da. Na, dann kann's doch eigentlich jetzt schon losgehen, oder? 'Klar', sagt der Pilot. Man ist ja flexibel hier oben auf der Nordinsel. Er ist ein älteres Semester und strahlt Souveränität aus. In unzähligen Floatplane-Trips habe ich zwar noch nie eine auch nur im Ansatz negative Erfahrung gemacht - und das völlig unabhängig vom Alter des Piloten - aber irgendwie greift die psychologische Komponente bei einem offensichtlich erfahrenen Piloten mit vielen Flugstunden auf dem Buckel dann doch immer wieder - auch bei mir. 'The strongest person is going to be my co-pilot' grinst er uns an. Nette Formulierung. Ja, ja - ich gehe ja schon nach vorn. Kommt mir beim Knipsen eh entgegen.

Tja, und dann heben wir schon wieder ab. Vom Wasser aus der Bucht von Port Hardy heraus geht es in Nordwestrichtung auf die wilde Festlandküste zu. Schon oft war ich mit dem Wasserflugzeug in dieser für mich so besonderen Region zwischen der Ostküste Vancouver Islands und dem Festland unterwegs. Viel habe ich hierüber schon geschrieben - und immer gingen mir die Superlative aus. So auch diesmal. Zwar ist das Wetter nicht das Beste - aber diese Landschaft haut einen um, macht einen sprachlos. Und süchtig. Kein Maler könnte sich das schöner, beeindruckender, harmonischer vorstellen. Dieses endlose Grün, unterbrochen nur von schneebedeckten Gipfeln und Gewässern in allen erdenklichen Formen und Farben. Ist es eine halbe Stunde, die wir in der Luft sind? Oder sogar etwas länger? Ich weiß es nicht. Mir kommt es vor wie wenige Minuten. Klar, man sieht nicht nur Schönes von da oben. Die Abholzungsgebiete kann man nicht übersehen. Sie bringen mich mal wieder zum Grübeln. Mir ist klar, dass die Holzindustrie hier ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und eine gewachsene Kulturindustrie ist, die sicher gerade auch hier nicht völlig unreguliert tun und lassen kann, was sie will. Aber für einen Durchschnitts-Europäer wie mich, der ein solches Maß an Ursprünglichkeit und echter Wildheit in der Flora seiner eigenen Heimat schlichtweg nicht kennt, ist es schwer zu begreifen, dass der Mensch mit all seinem Wissen trotzdem immer wieder so massiv eingreift. Naja, das ist wohl ein anderes Thema und eine andere Geschichte.

Anflug auf den Smith Inlet. Alles ist wieder grün. Alle Kahlschläge vergessen. Alles wieder wild. Und einsam! Hier ist ja gar nichts! Nur Wald und Wasser. Und dann sehe ich sie. Die Great Bear Lodge. Von ihren Besitzern liebevoll 'GBL' genannt. Auf einer Floßkonstruktion schwimmt sie in einer geschützten Bucht, natürlich fest mit dem Ufer vertäut. Die Landung direkt vor der Lodge ist spektakulär. Und der Empfang ausgesprochen herzlich. Tom Rivest, Biologe und Geschäftspartner von Marg, vertäut den Flieger am Steg, winkt uns heraus und nimmt uns zur Begrüßung in den Arm. 'Welcome at Great Bear Lodge!', grüßt er. Auch Angestellte und Tourguides kommen raus auf den Steg und begrüßen uns - genau wie die Gäste, die im Moment hier sind. Also, ich bin ja durch und durch Westfale und werde zwischendurch gern mal in Ruhe gelassen - aber das hier ist wirklich ausgesprochen herzlich. Da wird Distanz erst gar nicht zugelassen und man fühlt sich ehrlich willkommen. Das gefällt mir.

'OK. Dinner in einer Stunde und dann geht's raus zu den Bären!', Toms Ansage reißt mich ein bisschen aus der relaxten Empfangsatmosphäre. Wow, es ist doch gerade einmal vier Uhr - Dinner um fünf? Aber klar, wir sind wegen der Grizzlies hier - fertig. Alles andere wird angepasst. Und wenn 18.00 eine gute Zeit ist, um raus zu den Bären zu fahren und dort dann mehrere Stunden zu verbringen, dann gibt es das Abendessen halt um Fünf. Na, da bleibt uns ja gerade genug Zeit, um einen Blick in die Lodge zu werfen und unsere Zimmer zu beziehen. Hier schnell mein erster Eindruck: Die Great Bear Lodge ist genau, wie ich sie mir vorgestellt habe. Wie oft kann man so etwas wirklich sagen? Sie ist mit 8 Gästezimmern groß genug, um wie ein gemütliches (wenn auch immer noch angenehm kleines) Inn zu wirken, und gleichzeitig immer noch klein genug, um direkt dieses fast familiäre Gefühl bei Freunden aufkommen zu lassen. Die Zimmer sind erwartungsgemäß klein, aber praktisch eingerichtet. Alle haben neben der stilvoll als Glasschale dekoriertem Waschbecken auch ein eigenes Bad mit Dusche und WC. Also, in ihrer Anmutung sind die Zimmer dann tatsächlich doch schöner, als ich es mir vorgestellt habe. Einige Zimmer sind zum Regenwald ausgerichtet, andere zur Bucht. Ich erwische eines mit Fenster zum Wasser - direkt über dem Bett. Im Grunde möchte man sich direkt auf's Bett schmeißen und einfach nur hinaus auf den Pazifikfjord blicken und auf den auftauchenden Buckelwal warten! Aber wir haben ja keine Zeit. Schnell ein paar Fotos - auch von einer glücklicherweise noch freien anderen Zimmeralternative mit 2 getrennten Betten und dann fix ein paar Sachen aus dem Koffer gegriffen und runter ins gemütliche, angenehm schlicht eingerichtete Wohn-Esszimmer.

Tom serviert einen Aperitif. Auf kleinen Whiteboards an der Wand kann man nachlesen, wie der Tagesablauf auf der Lodge aussieht: Wer gerade hier ist und, ja, was es gleich zu essen gibt. Als Gäste sind bereits Pablo und Lourdes aus Mexico hier genau wie Kate und Emma aus Australien. Markus und ich kommen jetzt neu hinzu, aber auch wir sind schon auf der Tafel eingezeichnet. Unten stehen die Namen der guten Seelen der Lodge, die unseren Aufenthalt ermöglichen und so einzigartig machen sollen: Tom, Marg, Marlo, Marcus, Taylor, Elissa, Lena und Julie. Man beachte das Verhältnis: 6 Gäste und 8 Lodge-Angestellte, die sich, so wie ich es bislang beurteilen kann, wirklich hingebungsvoll um die Gäste kümmern. Mein Blick schweift auf die Programmtafel: Täglich stehen zwei Wildlife Safaris auf dem Programm - morgens und abends - und mittags gibt es eine Überraschung, eine 'Mystery-Activity'. Die soll natürlich auch immer etwas mit Natur, Regenwald und Tieren zu tun haben, aber es wird halt nicht verraten, was es sein wird. Von der Wanderung im Wald über eine Exkursion mit einem alten Schulbus über eine noch ältere Logging-Road, bis hin zur Bootsexkursion in den Fjord hinaus - alles ist möglich. Und umrahmt werden diese Wildnisaktivitäten vom 'Cheerful Wake-Up Call' um 7 Uhr, vom 'Bountiful Breakfast' um 7.15 Uhr, vom 'Lovely Lunch' um 12.00 Uhr, vom 'Delightful Dinner' um 17.00 Uhr und dem gemütlichem Beisammensein bei Wein, Bier und Snacks nach Einbruch der Dunkelheit. Und eine Tafel weiter kann ich dann auch lesen, was das 'Delightful Dinner' an diesem Tag sein sollte: 'Slow braised cardamon spiced beef, roasted baby-potatoes, seasonal vegetables and tarte tatin with whip Cream'. OK, dann kommen hier also auch noch ein paar Pfunde hinzu.

Die Befürchtung stellt sich als berechtigt heraus. Das Essen ist toll - und ich kann bestätigen, dass sich dies auch in den nächsten Tagen nicht ändern wird. Julie Triska ist eine hervorragend ausgebildete Köchin, wie ich später erfahre. Sie hat in hervorragenden Restaurants gearbeitet und ist hierhergekommen, um einmal so richtig raus zu sein und die Wildnis zu genießen. Na, gut für uns! Während wir am Tisch sitzen, das köstliche Dinner genießen und uns nett mit Tom und den anderen Gästen unterhalten, schweift mein Blick über das inzwischen leider verregnete, aber dadurch auch umso frischer und grüner wirkende Regenwaldufer; bis zum Steg, der zur Lodge führt. Und dann - das gibt´s doch nicht! Oben am Steg steht ein Grizzly und blickt zur Lodge hinab. Ich mache die anderen auf den Bären aufmerksam und frage Tom, ob er das Tier für uns bestellt hätte. 'Natürlich', antwortet Tom grinsend, während alle anderen sich ganz aufgeregt um das große Panoramafenster scharen und hektisch zu Fernglas und Kamera greifen. Aber der Grizzly wollte wohl nur einmal kurz schauen und trollt sich wieder in den verregneten Wald. Tom erklärt, dass die erste Planke des Stegs die Grenze für die Grizzlies ist. Gehen sie einen Schritt weiter, werden sie verjagt. So lernen es die Bären sehr schnell, erklärt Tom weiter. Macht Sinn - und offensichtlich funktioniert es seit Jahren zuverlässig. Aber das super Essen ist vergessen. Alle wollen nun raus auf's Wasser. Hinein ins 'Estuary', ins Mündungsgebiet des Nekite River in den Smith Fjord. Hinaus zu den großen Bären des Great Bear Rainforest! Der Tag ist also noch nicht vorüber.

Erste Bärenbegegnung

Die Regentropfen vom Nachmittag sind in Dauerregen am Abend übergegangen. Aber egal, wir wollen jetzt los. Alle haben sich dick eingepackt in die Outdoor- und Regenkleidung, die von der Great Bear Lodge zur Verfügung gestellt wird. Markus und ich sind bei Tom im Boot. Es geht los: Ab ins Mündungsgebiet des Nekite Rivers! Klar, gerade dieser Übergangsbereich zwischen Fluss und Fjord mit der Zerfaserung des Flusses in viele Kanäle zwischen lauter kleinen Inselchen ist perfektes Bärengebiet. Die Wasserbarrieren sind leicht zu überwinden und auf jeder neuen Landzunge oder Insel wartet viel neues, frisches Riedgras. Ja, das ist ja immer wieder verblüffend, gerade bei den Grizzlies. Bären sind Allesfresser. Und gerade im Mai - so kurz nach dem Winterschlaf - müssen sie schnell Gewicht zulegen und können sich nicht in anstrengenden Beutejagden aufzehren. Also fressen Sie Gras. Viel Gras. Und das wächst genau hier, wo das Mündungsdelta des Flusses viele natürliche Freiflächen geschaffen hat, wo das Sonnenlicht hinkommen kann und die niedere Vegetation zum Sprießen bringt. Und Sonnenlicht - oder sagen wir Tageslicht, wenn ich das Prasseln um mich herum höre - gibt es im Überfluss. Im Mai. Genau dann, wenn die Bären es brauchen. Und deshalb sind wir hier.

Wir sind gerade erst einmal mit dem kleinen Motorboot los getuckert. Gerade will ich Tom etwas über den Tidenhub hier im Mündungsbereich fragen - der scheint mir nämlich erstaunlich hoch zu sein (5-6 Meter, wie ich später erfahre) - da setzt er sein Fernglas ab und sagt ganz trocken: 'OK, ich habe zwei Bären. Denen nähern wir uns jetzt vorsichtig.' Ich sehe noch nichts, aber Tom stellt schon den Motor ab und greift nach dem Ruder. Ab jetzt nähern wir uns möglichst lautlos. Und dann sehe ich sie - zwei Grizzlies direkt am Ufer. Sie fressen und...kämpfen? Nein, beim Näherkommen wird mir klar, dass die beiden nicht kämpfen, sondern eher rangeln oder spielen - oder sind das die Anfänge von einer Art Liebesspiel?

'Das sind Fex und Joy', erklärt Tom. Sie sind Geschwister. Ihre Mutter, die Tom und Marg 'Good News' getauft haben, brachte sie vor vier Jahren erstmalig ins Estuary. Nun kommen sie allein - ohne die Mutter. Aber die Bande zwischen den Geschwistern scheint offensichtlich noch zu bestehen. 'Good News' verdankt ihren Namen dem Umstand, dass das Auftauchen einer trächtigen Bärenmutter im Estuary natürlich eine absolut gute Neuigkeit für die Bärenbeobachter war. Eine Bärenmutter, die potenziell neue Bärenmütter zur Welt bringt. Im Falle des männlichen Sprösslings Fex dann eine 'False Expectation' - die lange Version von 'Fex'. Und eine Freude im Fall von 'Joy', seiner Schwester.

Die 'Fex and Joy Show'

'Good News' und 'False Expectation' - eine witzige Hintergrundgeschichte. Aber sie lenkt ein wenig von der Einzigartigkeit dieses Erlebnisses ab. Es regnet in Strömen, aber es ist uns sowas von egal! Wir können uns nicht satt sehen an der Vorstellung, die Fex und Joy uns bieten. Wer meine bisherigen Reiseberichte verfolgt hat oder einen meiner Bärenworkshops auf unseren Kanadatagen besucht hat, weiß, dass ich wirklich schon viele, viele Bärenbegegnungen hinter mir habe. Aber das hier ist etwas ganz besonderes. Wir sind so nah dran. Ganz nah. Wenige Meter trennen uns von den Bären. Und die bleiben ganz relaxed und scheinen ihre Zeit zu zweit zu genießen. Noch sind sie nicht ganz ausgewachsen und derzeit ist es für sie sicherlich ein echtes Sicherheitsplus zu zweit unterwegs zu sein.

Schwarzbär auf Abendexkursion

Der Fluss ist jetzt klarer also ein solcher zu erkennen. Er ist schmaler, nicht mehr so zerfasert und hat jetzt auch eine erkennbare Strömung - gegenläufig zu unserer Fahrtrichtung. Tom steuert in eine Bucht hinein. Fast muss man sich unter den Zweigen ducken. Kein Wort von Tom - der Motor ist wieder aus und leise gleiten wir auf das hufeisenförmige Ufer vor uns zu. Aber kein Bär zu sehen. 'Schade', sagt Tom. Normalerweise ist dies wohl aufgrund der geschützten Lage und des beruhigten Wassers ein perfekter Platz, um Bären anzutreffen. An diesem Abend halt nicht. Das können wir nach der Erfahrung von gerade aber locker verschmerzen. Wir rudern zurück auf den Fluss. Also, Tom rudert. Wir anderen unterhalten uns über die beeindruckende Dichte des völlig unwegsam wirkenden Regenwaldes um uns herum, der nahtlos in ebenso dichtes Buschland übergeht, bevor sich die Grasflächen anschließen. Und genau an dieser Schnittstelle zwischen Busch und Gras sehe ich einen mächtigen Bären. Links von uns - nur wenige Meter entfernt. Aber halt, das ist kein Grizzly, sondern ein Schwarzbär. Mann, was für ein Kaliber. Ich mache Tom auf den Bären aufmerksam und der ist plötzlich ganz aus dem Häuschen. Diesen kapitalen Burschen hat er hier noch nicht gesehen. Nun zückt auch Tom seine Kamera und macht Bilder. Schwarzbären sind natürlich die Bären, die man in Kanada am häufigsten zu Gesicht bekommt. Aber hier in diesem besonderen Grizzly-Terrain sieht man sie wohl eher selten. Sie bleiben lieber versteckt im Unterholz aus Angst vor den im Kampf in aller Regel überlegenen Grizzlies. Aber dieser Bursche braucht sich vor einem Großteil der Grizzlies ganz sicher nicht zu verstecken! Beeindruckend - wirklich!

So langsam treten wir die Rückfahrt an, lassen uns im Prinzip von der Strömung treiben. Der Regen prasselt nach wie vor, aber die Stimmung ist ausgelassen. Wie unterscheidet man einen braunen Schwarzbären (ihr Fell ist ja nicht immer schwarz) von einem Grizzly?
'Ganz einfach', gebe ich mein altes humoristisches Guide-Wissen aus den Neunzigern zum Besten, 'Man läuft weg und klettert auf den nächsten Baum. Kommt der Bär hinterher, ist es ein Schwarzbär. Drückt er den Baum einfach um, ist es ein Grizzly.' 'Das wäre eine Möglichkeit', stimmt Tom lachend zu, 'Oder man untersucht den Bärenkot. Beim Schwarzbären findet man zahlreiche Kerne von Beeren. Beim Grizzly die Bärenglocken der Touristen.' Allgemeines Gelächter - Na also, haben wir die beiden Sprüche auch wieder durch. Tom hat den Motor wieder angeworfen und wir nähern uns der Lodge. Noch ein kurzer Stop bei Fex und Joy. Ja, sie sind immer noch am Ufer, wenn auch nicht mehr an der gleichen Stelle. Und fast können wir uns wieder nicht losreißen. Aber es wird dunkel und so langsam reift in uns allen der Wunsch, sich in eines der gemütlichen Sofas der Lodge fallen zu lassen, um noch einen Drink zu genießen und sich gemeinsam über die atemberaubenden Erlebnisse dieser Exkursion zu ereifern. Und genauso kommt es dann auch. Auch, wenn sich dann doch recht schnell die Bettschwere einstellt. Gut gegessen, viel erlebt, viel Sauerstoff, viele Bären - todmüde falle ich in mein Bett. Das Fenster über mir habe ich geöffnet. Das leise Schwappen der leichten Pazifikwellen beginnt schon, mich in den Schlaf zu wiegen. Irgendwo höre ich Seehunde rufen. Das ist dann aber auch das letzte, was ich noch wahrnehme.

Tag 2: Great Bear Lodge: Der erste volle Tag im Fjord

Ich wache mit den Geräuschen auf, mit denen ich eingeschlafen bin. Das leichte Schwappen des Wasser und die Rufe der Seehunde. Ahh, herrlich geschlafen! Und ich muss mich ja nur umdrehen, um aus meinem Fenster über den Fjord blicken zu können. Das hat schon etwas! Nur das Wetter spielt immer noch nicht so richtig mit. Hab' den Regen schon vor dem Umdrehen gehört. Wie er am Dach klopft und dann gesammelt durch die Regenrinne über meinem Fenster in das angeschlossene Fallrohr plätschert. Jetzt sehe ich ihn auch - zusammen mit mystisch anmutenden Wolken über dem Fjord. Nein, man kann sicher nicht behaupten, dass nicht gerade auch diese Schlechtwetterszenerie etwas anziehendes und beeindruckendes an diesem speziellen Ort hätte. Aber Regen bleibt Regen. Und heute erleichtert er mir eine Entscheidung. Nämlich die, die Morgenexkursion nach dem Frühstück auszulassen. Klar, eigentlich will ich keine einzige Bärenbeobachtung verpassen, aber mit der gestrigen Show von Fex und Joy bin ich ja schon mehr als verwöhnt worden. Und ich hatte mir fest vorgenommen, die Lodge auch einmal zu erleben, wenn keiner der Gäste da ist. Zudem weiß ich, dass ich dringend anfangen muss, an meinem Reisebericht zu schreiben - und wann soll man das sonst machen, wenn den ganzen Tag so spannende Aktivitäten angeboten werden und man alles mitmacht? Denn so schnell kann die Erinnerung, die einem gerade eben noch so klar und präsent erscheint, in wenigen Tagen verschwimmen und sich verklären. Das wäre bei diesem auch für mich so besonderen Erlebnis hier auf der Great Bear Lodge echt zu schade! Der heiße Kaffee steht unten schon bereit und Marlo, die gute Frühstücksfee der Lodge, werkelt schon fleißig an ihren Töpfen und Pfannen herum. Ihre Frühstücksvarianten bis hin zu afrikanisch gebratenen Eiern wurden mir bereits angepriesen. Rückblickend bin ich für so etwas vielleicht doch ein wenig zu konservativ. Interessant? Ja. Schmackhaft? Ja. Aber so ein schönes herkömmliches Omelette oder Spiegeleier mit Ham oder Bacon hätten mich sicher auch nicht gestört.

Schließlich bin ich doch in Kanada und nicht in Afrika. Kleinigkeiten, ich weiß. Und schon jetzt kann ich ja auf der Tafel nachlesen, was Chefköchin Julie am Abend zaubern wird. Vorwegnehmen möchte ich auch, dass Markus und die anderen nachher natürlich begeistert von ihrer Morgenexkursion zurückkommen und insgesamt fünf Grizzlies gesichtet haben. Aber zu dem Zeitpunkt bin ich schon ganz entspannt und freue mich einfach für sie. Denn niemand ahnt, was ich für einen ruhigen, regelrecht stillen und unsagbar entspannten Vormittag hatte. Aber schnell die Uhr zurück auf 8 Uhr gestellt: Die beiden Boote verlassen den Anlegesteg der Lodge und plötzlich wird es still um mich. Ich hatte gedacht, dass jetzt das Gewusel der Angestellten um mich herum losgeht. Aber nein, nur Marlo werkelt in ihrer Küche und achtet darauf, dass immer eine volle Kanne Kaffee neben mir steht. Allein sitze ich am Tisch und atme tief durch, denn mein Blick schweift immer wieder über dieses unfassbare Fjord-Panorama. Gerade zum Schreiben empfinde ich so etwas immer als unglaublich inspirierend. Ich gehe hin und wieder mal ein paar Schritte über die große Floßkonstruktion. Diese trägt ja neben der großen Lodge noch mehrere andere Gebäude. Die Quartiere der Angestellten, die kleine Cabin von Marg am Floßende - mit dem Hammerblick auf den sich verbreiternden Fjord - und das Wohn- und Bürogebäude von Tom in der Mitte dieses schwimmenden Grundstücks. Alles echt toll in Schuss - sehr gepflegt. Besonders auffällig ist die in dieser Wildnis unerwartete Blütenpracht in den vielen Blumentöpfen und Hängekübeln. Das Werk und die Leidenschaft von Marg - und echt schöne Details für das Wohlempfinden des Gastes.

Zurück am großen Tisch im Wohnzimmer, meinem 'desk with a view', fließen die Worte aus mir heraus. Geistig fühle ich mich gerade auch auf Bärenexkursion. Und doch warte ich irgendwie darauf, dass oben am Steg noch einmal ein Grizzly auftaucht, von dem ich den anderen bei ihrer Rückkehr stolz erzählen kann. Doch das pelzige Tier, das ich erspähe, fällt deutlich kleiner aus. Ein Marder versucht teils kletternd und teils schwimmend zum Lodge-Floß zu gelangen. Auch irgendwie faszinierend. Genau wie der Kolibri, der direkt neben mir immer wieder den von Marg an der Balustrade aufgehängten Nektar-Spender anfliegt. Nur der Bär bleibt im Regenwalddickicht verborgen. Und dann kommen auch schon die klatschnassen, aber begeisterten Teilnehmer der morgendlichen Exkursion wieder. Markus fragt sicherheitshalber nach, ob mir auch wirklich klar wäre, was ich verpasst habe. Dafür hat man ja Freunde. Aber ich bin happy. Ich habe viel geschrieben, mir ist klar geworden, woraus diese Lodge besteht und wie sie funktioniert. Und jetzt freue ich mich auf die Mystery-Activity am Mittag, denn Marg hat mir verbotenerweise schon verraten, dass es mit dem klassisch gelben Schulbus über die alte Logging-Road in den Regenwald gehen wird. Zunächst müssen wir aber die riesigen selbstgemachten Pizzen bewältigen, die zum Lunch aufgetischt werden.

Auf in den Bus. Guide Marcus fährt und erklärt. Guide Lena sitzt hinten im Bus und erklärt auch. Leute, was soll ich sagen? Dieser Regenwald ist einfach der Hammer. Wildnis pur. Tiefgrün und immer irgendwie nass - im Moment angesichts des Dauerregens vielleicht ein bisschen zu feucht für uns. Aber man ahnt, dass der Wald auch in Trockenheitsphasen ein riesiges Wasserreservoir für Pflanzen und Tiere ist. Wild, beeindruckend - und unwegsam. Gäbe es nicht diesen alten Holzfällerpfad, hätten wir keinerlei Chance, hier mit einem Fahrzeug durchzukommen. Und auch so geht es nur im Schneckentempo. Bei einem Stop versuche ich, nur wenige Meter in den Wald hineinzuklettern, um ein Foto von den dicht beieinanderstehenden Urwaldstämmen zu ergattern, und lege mich fast auf den Bart. Unwegsam halt. Und das gilt in abgeschwächter Form auch für die Bären. Auch sie haben ihre 'Highways' durch den Wald. Marcus zeigt uns einen dieser gut ausgetretenen Pfade, über dem sich die Vegetation aber tatsächlich in etwa 2 Metern Höhe wieder komplett schließt. Auch Badelöcher gibt es. Natürliche Vertiefungen, die teilweise von den Bären noch tiefer gegraben werden und in denen sich Rinnsale aus dem Wald sammeln und so für herrlich kühlen Schlamm sorgen. Eine 'Grizzly-Wellness-Oase'.

All dies sind aber nur kurze Stops auf unserer Fahrt. Denn eigentlich wollen wir zu zwei der drei Grizzly Beobachtungsplattformen. Ein Programmpunkt extra für Markus und mich, denn wir wollen diese Plattformen natürlich sehen. Für die Grizzlybeobachtung selbst sind sie jetzt im Frühsommer völlig uninteressant, denn es gibt hier im Moment keine Fische zu fangen - die Wasserstände sind viel zu hoch und die Lachswanderung ist noch ganz weit von ihrem Höhepunkt entfernt. Also gibt es jetzt und hier auch keine Bären zu beobachten, abgesehen von Zufallsbegegnungen. Die Grizzlies sind im Mai/Juni fast alle unten im Mündungsbereich bei den großen Grasflächen und nicht hier oben am Regenwaldfluss. Aber dennoch sind wir beeindruckt von den Plattformen und von den Plätzen, die für sie gewählt wurden. Eine ist überdacht, eine Art geschlossener Stand mit Ausrichtung auf den Fluss. Die andere sogar ganz offen - also auch ohne jegliche Art der Barriere für die Grizzlies. Finde ich super! Und entsprechend engen und direkten Bärenkontakt hat es wohl auch schon gegeben. Aber alles friedlich und harmlos. Toll.

Beide Plattformen befinden sich jeweils an einem Zusammenfluss von zwei Bachläufen. Man kann es regelrecht vor dem geistigen Auge sehen, wie die Lachse im Spätsommer hier in die noch flacheren Bereiche des ohnehin deutlich weniger Wasser führenden Flusses schwimmen müssen und so zur leichten Beute für die wartenden Bären werden. Ein irrsinniges Schauspiel - habe es ja schon selbst an anderer Stelle erlebt. 'Schon bemerkenswert', denke ich, während wir im Schulbus über die Logging-Road zurück zur Lodge schaukeln. Marg und Tom haben es für die Great Bear Lodge geschafft, die Bärenbeobachtung für beide Top-Zeiträume der Grizzly Aktivität außerhalb des dichten Regenwalds zu optimieren: Den Frühsommer mit den Bootpirschfahrten durch das Mündungsdelta und den Spätsommer mit Beobachtungsvorrichtungen an den absoluten 'Hotspots'.

Forscherdrang und die Grizzlies

Ach, Dinner. Hatten wir denn überhaupt schon wieder Hunger? Und wieder so ein Sammelsurium an Köstlichkeiten. Das wird ganz großes Kino in ein paar Tagen auf der Waage. Aber dann auf zur Abendexkursion - wieder im Boot mit Tom. Heute haben wir volle Flut, was uns ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Denn plötzlich werden im Delta kleine Kanäle mitten durch die Grasflächen für das Boot befahrbar, die vorher nicht einmal auszumachen gewesen sind. Das ist echt spannend - das ist mal eine richtige Exkursion. Die grundsätzliche 'Grizzly Spannung' - denn jetzt kann man das Gras am Ufer mit den Händen fassen, also warum sollte nicht genau da plötzlich ein Grizzly stehen? - mischt sich mit gewecktem Entdeckerdrang! Durch das Schilf, unter dem überhängenden Baumstamm her. Ganz still. Immer darauf bedacht, den aufzuspürenden Grizzly mit möglichst vielen Sinnen wahrzunehmen. Und das, bevor er uns wahrnimmt. Das klappt nicht immer in dieser absoluten Stille. Im Gegenteil: Wir sehen in kürzester Zeit vier Grizzlies. Aber alle nehmen uns fast genauso schnell wahr wie wir sie - und sind verschwunden, bevor wir sie auf's Foto bannen können. Nur einen habe ich so gerade eben so erwischt - man muss aber genau hingucken. Aber ein Video gibt Euch einen guten Eindruck von der Spannung und dem Entdecker-Flair dieser Pirschfahrten durch die kleinen und nur bei Flut befahrbaren Kanäle des Nekite Mündungsgebietes.

Der Grizzly-Safespot

Die Pirschfahrt in den engen Kanälen durch das Grasland des Nekite-Mündungsgebiets war toll. Aber verwöhnt wie wir mit unseren Sichtungen nun schon jetzt am zweiten Tag sind, beschließen wir, dass uns das 'Hardcore-Pirschen' jetzt reicht. Stattdessen wollen wir zu dem Platz fahren, wo Tom die beiden Geschwister Fex und Joy vermutet. Zum Abschluss des heutigen Tages möchten wir einfach noch einmal Grizzlies hautnah erleben - und in Ruhe beobachten. Fast schon dekadent, oder? Aber wir haben nun einmal den Luxus, dass Tom tatsächlich eine Ahnung hat, wo wir die Beiden aufspüren können. Es ist ihr 'Safe Spot', wie er mir erklärt. Gar nicht weit von der Lodge. Die große Grasfläche, die zu allen Seiten von Wasser umgeben ist. Jeder potenzielle Angreifer müsste also zunächst einmal das Wasser überqueren und würde auffallen. Genau zu diesem Platz, erklärt Tom, hat ihre Mutter 'Good News' sie immer gebracht als sie noch klein waren. Und wenn möglich gern sogar nah an das Boot der Bärenbeobachter heran, da 'Good News' schnell heraus hatte, dass dieser Ort eine noch größere Sicherheit vor gefährlichen männlichen Grizzlies bot. Und - unfassbar! Tom behält Recht. Wir steuern auf die Grasfläche zu und sehen sie schon von weitem - Fex und Joy. Ganz nah am Ufer. Diesmal nicht spielend, sondern ganz entspannt grasend. Fast wie Kühe, denke ich. Hört sich auch so an. Aber es sind Grizzlies - bestimmt! Und ich bin hochzufrieden. Ein würdiger Abschluss dieser tollen Abendexkursion. Es ist fast dunkel, als wir an der Lodge ankommen. Und kann es denn sein, dass wir schon wieder Hunger haben? Auf die Snacks, von denen wir wissen, dass sie jetzt schon auf dem Tisch auf uns warten? Gibt's doch gar nicht - wir haben uns doch so gut wie gar nicht bewegt! Aber die viele frische Luft und die ganze Spannung...

Tag 3: Great Bear Lodge: Grizzlies und Sonne!

Die Seehunde rufen heute schon früh. Ob das der 'Cheerful Wake Up Call' ist? So hat es ja auf der Tafel unten gestanden. Allerdings für sieben Uhr, also erst in einer knappen Stunde. Ich wälze mich herum und blicke aus meinem Bettfenster hinaus auf den Fjord. Stahlblauer Himmel! Und am gegenüberliegenden Bergkamm erkennt man schon, dass da gleich die Sonne drüber klettern wird. Jetzt wird's Zeit! Turbodusche, rein in die Klamotten, Kamera geschnappt und raus. Das Licht in dem Moment vor und direkt während des Sonnenaufgangs will ich nicht verpassen. Und die Lodge zeigt sich tatsächlich in ihrer ganzen Pracht. Wunderschön!

Sonne - blauer Himmel. Wie? Bear viewing bei schönem Wetter? Na dann mal los! Das Frühstück fällt heute kurz aus. Alle wollen los. Und auch heute haben wir wieder Glück mit den Grizzlies. Auch heute können wir uns ein gewisses Maß an Dekadenz nicht verkneifen. Wir finden Fex und Joy, aber wir kommen für unseren verwöhnten (schon fast ein bisschen verdorbenen) Geschmack nicht nah genug ran. Ne, reicht uns nicht. Weiter. Die Stimmung ist der Hammer. Nebelschwaden steigen über dem Wasser und den sich schnell aufheizenden Uferstreifen auf. Magische Momente. Das Auge sendet Bilder ans Gehirn und das vermeldet Faszination und Verzückung und stimmt im Kopf gleich die passende mystische Musik an. Es ist herrlich. Einen Moment lang vermisst man die Bären gar nicht. Ja richtig, es sind ja nicht nur die Bären. Es ist auch dieses Unglaubliche, diese Menschenleere. Und diese wilde und in ihrer Komposition einfach perfekte Landschaft. Und zwar immer, auch wenn die Bären nicht da sind. Und in dieser sonnigen Morgenstimmung präsentiert sie sich natürlich in all ihrem Glanz! Dazu lässt der Weißkopfseeadler von einer Baumkrone am Ufer seinen Blick über den Fjord schweifen. Und die Seehunde nutzen einen aus dem Wasser ragenden Baumstamm für ein morgendliches Sonnenbad. Ob es wohl die sind, dich ich morgens und abends immer höre?

Aber einen Grizzly sehen wir natürlich schon noch - und ja, mitten in der Sonne. Und dann auch noch einen, den wir vorher noch nicht gesehen haben und den auch unser Guide Marcus noch nicht kennt. Na, das ist doch mal was! Die Stimmung ist fast euphorisch, als wir zur Lodge zurückkehren. Markus, Pablo, Guide Marcus und ich haben uns kurz vorher erst einmal eine Zigarre angezündet. Ja, ja, das Leben ist schon hart! Fröhlich palavernd nehmen wir den erneut völlig überflüssigen, aber dennoch so leckeren Lunch zu uns und bereiten uns direkt auf die 'Mystery Activity' vor. Mit den Booten erkunden wir den Fjord zur anderen Seite heraus. Wir genießen das tolle Wetter und die wahnsinnige Wildnis um uns herum. Es gibt Wasserfälle und Felsschluchten zu erkunden und einen weiteren Arm des Fjords, an dessen Ende es auch ein wirklich malerisches Mündungsgebiet gibt. Wie gemacht für Grizzlies. Aber denen ist es wohl zu sonnig. Ein gelungener Abschluss für Pablo und Lourdes aus Mexico sowie Kate und Emma aus Australien. Denn für sie kommt gleich das Wasserflugzeug hereingeflogen und bringt gleichzeitig neue Gäste. Wir tuckern zurück und müssen dann aber doch plötzlich Gas geben - das Wasserflugzeug ist noch nicht zu sehen, aber schon zu hören. Wir schaffen es noch und verabschieden uns von den Vieren. Und begrüßen die neuen Gäste. Markus und ich haben ja noch eine Nacht auf der Lodge.

Und vor allem haben wir noch die Abendexkursion! Und die wird spek-ta-ku-lär. Mit Marg am Ruder entscheiden wir, noch einmal auf richtige Pirsch zu gehen. Durch die kleinen Kanäle im Grasland, die nur zur Flut befahrbar sind. So wie gestern mit Tom. Und es wird noch besser! Erinnert Ihr Euch an die Szene, in der wir mit dem Boot unter einem überhängenden Baumstamm durchfahren? Kurz vor diesem Baumstamm hören wir es mächtig krachen. Wir erhaschen einen kurzen Blick auf den Grizzly, der sich aber dann, so meinen wir, zurück in das Unterholz verzieht. Tja - und nur wenige Meter später steht er dann direkt über uns auf diesem Baumstamm. WOW! Ok, der Grizzly erschreckt sich genauso wie wir und macht sofort kehrt. Aber was für ein Moment! Und einige Meter später sehen wir ihn dann wieder - diesmal so, wie wir es gewohnt sind: am Ufer auf einer Grasfläche. Nah, aber nicht zu nah! Und dann werden wir Zeuge einer sehr interessanten Situation. Während wir den Bären noch beobachten, entdecken wir einen weiteren Grizzly etwa 100 Meter hinter dem Ersten. Er hat ein weißes Gesicht - wahrscheinlich ein älterer, kapitaler Bär, der sofort Margs Aufmerksamkeit auf sich zieht. An den müssen wir näher ran! Doch genau der Bär ist offenbar ebenso überrascht vom holprig-krachenden Auftreten des ersten Bären. Man kann richtig sehen, wie er nur Augen für diesen 'Krachbären' hat. Einen Moment zögert er, doch dann entscheidet er sich für den Rückzug. Schade. Aber immerhin - wir haben ihn gesehen. Ob es wohl derselbe Bär war, der am vorigem Tag so plötzlich die Flucht ergriffen hatte?


Abschied von Fex und Joy

Es ist unsere letzte Exkursion im Smith Inlet. Und klar, die MUSS ja mit Fex und Joy enden. Das ist den beiden Grizzlies auch völlig klar. Wir finden sie schnell auf unserem Weg zurück zur Great Bear Lodge und sie posieren für uns - ganz nah am Ufer - im warmen Restlicht kurz nach Sonnenuntergang. 'Ich frage mich, wie lange sie noch hier bleiben', sagt Marg. Auf mein fragendes Gesicht hin ergänzt sie, dass dies hier zwar ihr 'Safe Spot' sei, aber nur für den Tag. Die Nacht verbringen sie normalerweise auf der anderen Flussseite - irgendwo im Unterholz. Tja, und wenn man schon einmal eine so versierte Anmoderation bekommt, dann muss man auch die Show folgen lassen. Fex nimmt den Kopf hoch und marschiert zum Ufer. Direkt auf uns zu! Plötzlich sind wir ihm zu nah dran - und das lässt er uns spüren. Er setzt den ersten Vorderlauf ins Wasser, dann den zweiten - und fixiert uns. Doch Marg hat schon lange reagiert. 'All right, Fex, I got it', raunt sie dem Bären leise zu und lässt uns mit einem Ruderschlag ein paar Meter zurückgleiten. Fex ist zufrieden und bewegt sich zurück zu Joy, die weiterhin keine Notiz von der Situation nimmt. Auffordernd stupst Fex seine Schwester an. Er hat etwas vor. Aber irgendwie scheint er doch noch nicht ganz entscheidungsfähig. Aber die relaxte Joy hat verstanden und macht den ersten Schritt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ganz entspannt schreitet sie ins Wasser und gibt die Richtung vor. Fex folgt. Und dann schwimmen beide Grizzlies direkt vor unserem Boot hinüber zur anderen Uferseite - zu ihrem Nachtquartier. Eine unwahrscheinlich mächtige Szene für mich.

Für einen Moment bin ich sprachlos. Wie spannend! Wie einzigartig! Und wie wunderschön! Als die beiden Bären ungefähr die Flussmitte erreicht haben, drücke ich Stopp auf meiner iPhone-Kamera, da ich noch ein paar normale Fotos machen will. Und freue mich wie ein Schneekönig, dass ich die ganze oben beschrieben Szene aufgenommen habe! Auch mein Kommentar - kurz nachdem ich meine anfängliche Sprachlosigkeit überwunden hatte - ist mit drauf: 'It doesn't get much better than this!'


Tag 4: Bye, GBL

Ein zweiter Traummorgen an der Great Bear Lodge. Sonne, blauer Himmel und ein seichtes Lüftchen. Schade, dass gleich unser Wasserflugzeug kommt, um uns nach Port Hardy zurückzubringen. Wie gern würden wir noch ein paar Tage bleiben! Ein letztes schmackhaftes Frühstück mit den neuen Gästen, die es nach den gestrigen Erlebnissen scheinbar gar nicht abwarten können wieder auf Exkursion zu gehen. Dann hören wir auch schon das Motorengeräusch und wenig später landet das Wasserflugzeug in unserem einsamen Fjord - immer ein spektakuläres Bild. Kaum etwas transportiert die Vorstellung von Wildnis und Abgeschiedenheit so gut wie der Anblick eines startenden oder landenden Wasserflugzeugs!
Inzwischen sind Wolken aufgezogen - dramaturgisch passend zu unserem Abschied, der natürlich auch wieder sehr herzlich ausfällt. Guides und Angestellte haben sich riesig über unser großzügiges Trinkgeld gefreut. Markus und ich sind uns einig, dass sie es sich mehr als verdient haben! Und dann heben wir auch schon wieder ab und schweben aus dem malerisch unter uns liegenden Smith Inlet heraus. Der Pilot entscheidet über den Wolken zu fliegen. Anfangs ganz eindrucksvoll, denn die Wolkendecke hängt so tief, dass die schneebedeckten, felsigen Gipfel des Küstengebirges so gerade noch aus den Wolken hervorschauen. Über dem Pazifik hätte ich dann aber lieber wieder die vielen kleinen unbewohnten Inselchen aus der Vogelperspektive bewundert, aber daraus wird nichts. Naja, man kann wohl nicht alles haben.

Landung bei dann plötzlich wieder strahlend blauem Himmel in Port Hardy. Im Ort schnappen wir uns ein Auto und fahren ins etwa 50 Kilometer südlich gelegene Port McNeill. Mit unserem Freund Mike Willie von Seawolf Adventures sind wir verabredet. Zu einer Bootstour durch die vorgelagerte Inselwelt, die wir aus dem Flieger nicht sehen konnten. Mike überrascht uns damit, dass er gar nicht mit seinem überdachten Boot auf uns wartet, sondern mit seinem Zodiac. Na, das ist doch super bei diesem Wetter! Schnell springen wir in die typischen Überlebensanzüge und los geht's! Herrlich, der Wind, die Sicht und die gelegentlichen Wasserspritzer im Gesicht. Es wird Sommer auf der Nordinsel. Man spürt es überall!

Unser Hauptziel heute ist die Farewell Harbour Lodge. Unser guter Freund Tim McGrady, bis vor kurzem noch Manager der Spirit Bear Lodge, hat hier eine kleine Lodge übernommen und diese durch das Floßgebäude der früheren Bones Bay Lodge ergänzt. Wir halten sehr viel von Tim und hatten uns fest vorgenommen, hier vorbeizuschauen. Ist für uns echtes Scouting, denn wir zweifeln nicht daran, dass dieses Projekt höchstinteressant für unsere Kunden werden könnte. Aber wie weit ist Tim? Ist alles im Zeitplan?

Wir legen am Steg an und werden von einem strahlenden Tim in T-Shirt und Shorts und Sandalen begrüßt. Erst einmal hoch auf das einladende Sonnendeck der Anlage - ein kühles Getränk kommt jetzt gerade recht. Und dann führt uns Tim herum. Uns wird schnell klar: Es ist ein ambitioniertes Projekt. Und es kann zu einem Juwel werden. Dafür - so ehrlich muss man sein - braucht es aber im Moment noch eine Menge Vorstellungskraft. Es gibt noch eine Menge Baustellen. Vom Innenleben der Hauptlodge bis hin zu Abschlussarbeiten in den Zimmern. Gerade während wir die Anlage abschreiten, wird zu Tims großer Freude die Bohrung des Brunnens erfolgreich abgeschlossen. Ein Meilenstein, denn es ist nicht selbstverständlich, auf einer Insel gutes, nicht salziges Grundwasser zu finden. Jetzt müssen die Leitungen gelegt werden. Ich bewundere Tim dafür, wie ruhig und souverän er den Überblick über all diese vielen unterschiedlichen Baustellen behält. Es ist ein Mammutprojekt, so ein Resort aufzubauen und startklar zu machen. Acht aneinander gebaute Cabins mit je einem Schlafzimmer und einem Bad schließen sich an das Hauptgebäude an. Alles ist auf Stelzen über dem teils felsigen Strand gebaut und trägt so zum Westcoast-Flair der Anlage bei. Weitere vier Zimmer gibt auf dem schwimmenden Teil der Lodge. Noch in ganz anderem Zuschnitt und Stil. Mir fällt die Vorstellung nicht ganz leicht, wie das später einmal alles zusammenpassen soll, aber ich vertraue Tim und darauf, dass er uns auch in dieser Frage überraschen wird.

Es ist ein spannendes Projekt, die Farewell Harbour Lodge. Mit eben dieser Spannung werden wir es weiter verfolgen, denn es kann sich zu einem echten Geheimtipp mausern. Erreichbar per Wasserflugzeug, aber eben auch per Boot. Die Wale ziehen genau hier regelmäßig vorbei und tägliche Grizzly Exkursionen in den Great Bear Rainforest sind auch geplant. Die Voraussetzungen sind also vielversprechend. Aber Tim hat noch ein gutes Stück Arbeit vor sich. Und da nächste Woche schon seine erste Saison beginnt - klar, es muss natürlich auch Geld reinkommen - wird es wohl kaum gelingen, die vielen geplanten und teilweise auch wirklich notwendigen Veränderungen schon in diesem Sommer zu bewerkstelligen. Und so sehe ich mich in meiner im Winter getroffenen Entscheidung bestätigt, die Farewell Harbour Lodge erst einmal noch nicht ins SK-Programm aufzunehmen. Noch ist sie nicht bereit für unsere Kunden. Gäste, die in dieser ersten Saison kommen, werden wohl auch viel Vorstellungskraft und Improvisationsbereitschaft mitbringen müssen. Aber das Potenzial ist da. Und ich glaube an Tim McGrady. Lange dauert es bestimmt nicht mehr, bis diese Lodge auch in unserem Programm auftaucht. Um die Tagesgestaltung und die Exkursionen mache ich mir keine großen Sorgen. Die werden, so wie ich Tim kenne, sicherlich auch in diesem Sommer schon erstklassig sein. Spannend. Wir bleiben dran!

Auf dem Rückweg schafft Mike es tatsächlich, einen Buckelwal zu finden, kurz nachdem Markus erwähnt, dass uns noch ein Wal auf diesem Trip fehlen würde. Und die geräusch- und geruchsvollen Seelöwen gibt's noch oben drauf. 'Another great day outside the office!' Aber eigentlich ist das alles hier inzwischen so ein bisschen mein Office geworden. Nicht das schlechteste, wie ich finde.

Am Dock von Port McNeill verabschieden wir uns von Mike und fahren zurück nach Port Hardy. Ein letzter Termin wartet heute noch auf uns. Tourism Vancouver Island hat zum Dinner geladen. Anlässlich der heutigen Eröffnung des Kwa'lilas Hotels in Port Hardy. Auch ein großes Projekt, das viel länger gedauert hat, als ursprünglich geplant. Aber das Warten auf dieses 'Premium Hotel' der First Nations hat sich gelohnt! 85 neue schöne Zimmer und alle mit lokalindianischer Kunst dekoriert. Genau wie das ganze Hotel und das Restaurant, in dem wir uns einfinden. Marg von der Great Bear Lodge ist auch mit dabei. Und viele Kollegen und Freunde von Tourism Vancouver Island. Sogar eine Redakteurin von National Geographic sitzt mit am Tisch. Sie will morgen mit Mike rausfahren und freut sich, als wir von unserer Buckelwalsichtung erzählen. Das Restaurant gefällt mir. Genau wie der angeschlossene Pub, der an diesem Tag zwar nicht geöffnet hat, aber in den wir natürlich bei der Gelegenheit schnell rein gelinst haben. Die Zimmer sind schön, aber letztlich halt Hotelzimmer. Die besondere Note kommt im wesentlichen durch indianische Kunst an den Wänden. Ach, und die Betten sind klasse! Dieses Hotel könnte in Zukunft eine gute Basis für die vielen Abenteuertouren sein, die hier oben auf der sonst noch so wilden Nordinsel möglich sind.

Tag 5 und 6: Vancouver, Calgary, Frankfurt

Es ist wie so häufig. Der letzt Tag ist schnell erzählt. Frühmorgens starten wir in Port Hardy. Dave Petryk von Tourism Vancouver Island bring uns zum Airport und die Propellermaschine von Pacific Coastal Airlines fliegt uns zurück zum South Terminal nach Vancouver. Hier geht es dann traditionell für mich in die kleine Filiale der St-Jeans-Cannery, wo man zu fairen Kursen tiefgefrorenen Wildlachs kaufen kann. Eine Styroporbox kauft man dazu und dann wird alles professionell und flugzeugtauglich mit Kühlakkus verpackt, so dass man sicher sein kann, dass alles auch noch tiefgefroren zuhause ankommt. Das ist gerade an diesem Tag für mich wichtig, da ich zunächst nach Calgary fliege und erst von dort weiter nach Frankfurt. Und dann noch mit der Bahn ins Münsterland. Und in Deutschland soll es warm sein - da muss ich mich auf die Kühlkette verlassen können. Es ist ein bisschen aufwendig, so eine Box mitzuschleppen, aber es ist halt Wildlachs. Sockeye-Wildlachs. Geräuchert und als Filet. Dafür nehme ich das auf mich. Und alles geht gut - wie immer.

Am internationalen Terminal checke ich dann Fisch und Koffer ein und mache mich auf den Weg zu meinem Flieger. Markus fliegt etwas später - und dafür dann direkt von hier nach Frankfurt. Das Wetter ist super und der Start über den Pazifik und die Coast Mountains grandios. Genau wie der Sinkflug über die Rockies nach Calgary. Und dann gehe ich auf dieser Reise zum letzten Mal in die Luft und hüpfe im Dreamliner der Air Canada komfortabel zurück nach Frankfurt, wo wir sogar früher landen und ich einen deutlich früheren Zug heimwärts erwische.

Es war mal wieder ein toller Trip! Das Highlight waren natürlich die Tage auf der Great Bear Lodge. Wie gesagt, so nah bin ich Grizzlies noch nie gekommen - zumindest nicht auf eine geplante und kontrollierte Art. Ein Erlebnis, dass wertvolle und bleibende Erinnerungen geschaffen hat. Ich sag's ja, manchmal ist das 'kurz und intensiv' dem 'lang und relaxt' überlegen. Aber der Anschied weilt nicht lange. Schon in wenigen Wochen geht es wieder los: Mit Schöffel und Rösle zum Fotoshooting in den Yukon - das wird spannend!
Grizzlies an der Great Bear Lodge schwimmen durch den Fluss