Du schwimmst an Kanadas Regenwaldküste tief im Smith Inlet. Eingemauert vom ewigen Grün des Great Bear Rainforest. Sicher vertäut in einer geschützten Bucht. Allein der Flug zu dir ist so, wie ich mir Kanada schon als kleiner Junge vorgestellt habe.
Text und Fotos: Ole Helmhausen



Der Grizzly ist sauer! Er packt mich beim Genick und schüttelt mich hin und her wie eine Gliederpuppe. Dann lässt er mich los und drückt meinen Kopf mit seiner mächtigen Vorderpranke in den Schlamm. Er lässt sich Zeit, aber dann beißt er zu.

Und dann wache ich auf. Verdammt, Eric! Du hättest mir gestern Abend nicht erzählen dürfen, dass Szenen aus "Revenant" mit Leonardo di Caprio unweit deiner Mount Engadine Lodge gedreht worden sind! Als ich mich umdrehe und aus dem Fenster des Navion spinxe, noch ein Schreckensszenario: Brennt etwa der Mount Commonwealth? Quatsch, die Sonne geht auf! Ich greife die Kamera und stürze nach draußen, aber da ist - wie so oft - das Beste schon wieder vorbei.


So fängt der 19. Tag meines Roadtrips durch BC und Alberta an: abenteuerlich! Und so geht er weiter. Heute geht's zum Waterton Lakes National Park. Der kleine Park in der Südwestecke von Alberta ist für mich einer der schönsten des Landes. Ich freue mich riesig.

Und das Tüpfelchen auf dem i: Ich nehme die Forestry Trunk Road dorthin. Die Forestry Trunk Road ist eine insgesamt etwa 1000 Kilometer lange Schotterstrecke durch die östlichen Foothills der Rocky Mountains und reicht von Grande Prairie im Norden bis nach Coleman am Crowsnest Pass im Süden. Sie ist selbst hier so unbekannt, dass ich bei meinen Erkundigungen von "Locals" die unterschiedlichsten Einschätzungen höre. Von "gnadenlos schlechter Zustand" bis "da kannst du mit einem Airbus drauf landen" reichen die Einschätzungen. Nur in einem Punkt sind sie alle einig: Bei Regen nur mit Allrad!

Und jep, der Himmel macht mir ein wenig Sorgen. Von Norden zieht eine Regenfront auf. Eilig sage ich Eric und seinem supernetten Team Goodbye und klemme mich hinters Lenkrad. Vor mir liegt der südliche Abschnitt der Forestry Trunk Road, vom Peter Lougheed Provincial Park bis nach Coleman. 160 Kilometer durch weitgehend menschenleere Wildnis.

Doch zunächst fahre ich in Südrichtung auf dem Smith Dorrien Trail - und halte trotz der drohenden Wolkenwand immer wieder an, um die majestätische Berglandschaft zu fotografieren. Und den absolut wahnsinnigen Regenbogen hinter mir! Im Provincial Park wechsle ich für 80 Kilometer auf den Highway 40, besser bekannt als Kananaskis Highway. Auch hier begegne ich kaum einer Menschenseele. Die Rockies für sich allein zu haben, das ist ein erhebendes Gefühl!

Kurz hinter Highwood Pass, dem mit 2200 Metern höchsten geteerten Pass in Kanada, biege ich endlich auf die Forestry Trunk Road ab. Ich könnte jetzt mit zig Adjektiven losfeuern, aber hier sage ich einfach nur: Es ist ein echtes Abenteuer. Die Natur Albertas in den gut erschlossenen Nationalparks zu erfahren, ist eine Sache. Auf einer Schotterpiste durch leere, kraftvolle Wildnis - leer wie: kaum Menschen, kaum Schilder, kein Handyempfang und Gegenverkehr höchstens einmal pro Stunde - zu rollen, ist eine andere.

Wenn ich die Gegend genießen will, die Berge, Täler, Creeks und Canyons, muss ich anhalten. Ansonsten habe ich meist beide Hände am Lenkrad. Die Stille der Wildnis in den Pausen ist ohrenbetäubend. Der Staub auf der Gott sei dank trocken gebliebenen Strecke dringt in den Navion und zwingt mich abends zu einer Grundreinigung. Ansonsten: keine Zivilisationsgeräusche. Nur das Rauschen der Wälder und das Knirschen des Staubs unter meinen Schuhen.

In Crowsnest hat mich die Zivilisation wieder. Ein komisches Gefühl, störend und beruhigend zugleich. Ich nehme die 3 nach Osten und dann die 6 nach Süden. Meine absolute Lieblingsstrecke. Die endlose Prärie links, die Rockies im Schein der untergehenden Sonne rechts der Straße, rolle ich durch die Foothills meinem Tagesziel entgegen. Von der amerikanischen Seite herüber grüßt mich der weit aus den Rockies hervortretende Chief Mountain. Was für ein Licht! Zwischen bernsteinfarben und honiggelb. Traumhaft.

Ein paar Tage später, nach einem erlebnisreichen Aufenthalt im Waterton Lakes Nationalpark, gehe ich von Calgary aus den nördlichen Abschnitt der Forestry Trunk Road an. Dazu verlasse ich die Präriemetropole in Richtung Airdrie, wo Navion-Vermieter Traveland RV Rentals eine recht neue Filiale unterhält. Die wollte ich mir eigentlich letztes Jahr schon ansehen. Bin also zunächst gespannt. Und dann beeindruckt - alles tipptopp. Traveland halt. Obwohl es auch hier, fast wie in Langley, schon wieder so aussieht, als würde der vorhandene Platz bald nicht mehr ausreichen. Ganz klar, Traveland brummt. Letztlich sage ich hier aber nur kurz hallo, bestätige, dass ich mit meinem Navion sehr zufrieden bin, und nehme dann den Highway 22 nach Norden.

Links in der Ferne die endlose Kette der Rockies, rechts und vor der Haube sacht gewelltes Weideland. Der Verkehr ist längst ausgedünnt. Ranches mit Kühen auf der Wiese und Pferden in der Koppel gleiten vorbei. Dies ist Alberta abseits der Touristenpfade. In Sundre finde ich die wohl einzige Espressomaschine am Cowboy Trail. An der Tanke in Cremona frage ich nach dem Zustand der alten Forestry Trunk Road. Diese nicht asphaltierte Route verläuft etwas westlich parallel zur 22. "Kein Thema", antwortet der braungebrannte Collegeboy, "war dort letztes Wochenende mit meinem Trailer unterwegs!" Schaffe ich sie auch mit dem Navion? "Yeah, sure", meint der Dude und grinst. "Nur nicht, wenn es regnet. Dann brauchst du Allrad!"

Vom Cowboy Trail zweigen mehrere "Service Roads" zur Forestry Trunk Road/Highway 734 ab. Ich nehme eine davon und habe die Wildnis bald wieder für mich ganz allein. Auf der gesamten Strecke bis nach Nordegg am Highway 11 kommt mir nur eine Planiermaschine entgegen. Dieser Abschnitt ist kurvenreicher als der südliche. Auch hier lasse ich am besten wieder die Bilder sprechen. Und rate allen, die es mir vielleicht nachtun wollen, immer beide Hände am Lenkrad zu lassen. Der Waschbretter in den Kurven wegen. Landschaftlicher Höhepunkt sind die Ram Falls. Danach gelange ich beim Weiler Nordegg wieder auf den Asphalt und rolle im Abendlicht gemütlich auf die Rockies zu.

Raues Alberta fernab der Touristenpfade. Kein Internet, kein Signal. Ist genau meins, die Forestry Trunk Road. Ein weiterer Weg in die Wildnis.