Kunden-Reisebericht

Wandern in den Rockies

Mit dem Camper in die Nationalparks Jasper und Banff. Mitten im September. Wer mitfahren will, den erwarten bestes Wetter und Regen, tolle Landschaften, wilde und weniger wilde Tiere, ausgedehnte Wanderungen und diverse Alarme.
Text: Janina Hofmann Fotos: Felix Michael


Die Landschaft
schlägt uns in ihren Bann.


Kanada! So wild, so schön, so aufregend und leider - so weit weg. Dank eiserner Sparpläne und eines attraktiven Frühbucherangebotes, sollte der Traum dann endlich wahr werden. Aber wo bleiben meine Manieren? Bevor man mit anderen auf Reisen geht, muss man sich natürlich vorstellen. Wir, das sind Felix - zarte 29 Jahre jung, frisch gebackener Medizinstudent, 3. Kanadareise, Outdoor-erprobt - und Janina - noch zärtere, 27 Jahre jung, frisch zertifizierte Magistra, Kanada-Ersttäterin.

Über Vancouver, die Coast Mountains und den Wells Gray Park führt unser Weg in den Mount Robson Park und den sich anschließenden Jasper Nationalpark. Highlights bei der Einfahrt: der ungetrübte Blick auf den Mount Robson in der Abendsonne und unser zweiter Schwarzbär! Wir haben ihn ganz für uns allein und beobachten aus sicherem Abstand von der anderen Straßenseite. Als wir weiterfahren, verschwindet er im Unterholz. Ich mache mir Gedanken über die Tiere und die Straße. Felix meint, ich solle mir nicht so viele Sorgen machen. Bei uns lungern die Rehe schließlich auch am Straßenrand herum. Aber die Dämmerung setzt ein und plötzlich wird jeder Schatten in unserer Vorstellung zu einem Tier, das sich vor unseren Camper werfen will. Schnell einen Jahrespass an der Einfahrt zum Jasper Nationalpark gekauft. Um 21 Uhr Mountain Time - bei strömendem Regen - erreichen wir den Whistlers Campground. Hier ist zu dieser späten Stunde natürlich kein Platz mit Strom verfügbar. Also buchen wir zunächst nur eine Nacht und beschließen, am nächsten Tag nochmal unser Glück zu versuchen.

Dieser beginnt, wie der letzte geendet hat: mit Regen. Never change a running system. Felix opfert sich und zieht frühmorgens in Regenjacke zur Information, um einen anderen Stellplatz zu ergattern. Patschnass, aber triumphierend, kommt er zurück und streckt mir die Karte für unsere Campsite mit Full Hookup entgegen. Wir wollten zwar nur Electricity, aber was soll's. Dann logieren wir die kommenden zwei Nächte eben extra luxuriös. Wir hatten Glück: Aufgrund des miesen Wetters haben einige Camper ihre Reservierung abgesagt. Die Warmduscher! Gut für uns. Auf dem Weg zum neuen Zuhause begegnen wir den Wapitis, für die der Platz ja berühmt ist. Vorsicht ist geboten: Es ist Brunftzeit und die riesigen Hirsche sind ziemlich beeindruckend. Nur die Geräusche, die sie von sich geben, wollen so gar nicht zu ihnen passen. Das klingt eher nach schlecht geölter Tür und bespaßt uns für den Rest des Morgens.

An der neuen Campsite angekommen, heizen wir erstmal den Camper ordentlich auf und vertrödeln den Vormittag. Lesen im Bett und aus dem Fenster Wapitis beobachten hat auch was für sich. Als der Regen nachlässt, geht es für uns auf nach Jasper City. Das Städtchen gefällt mir sehr gut, obwohl es hier so touristisch ist. Gerade weil es eigentlich nur zwei richtige Straßen gibt. Wir schlendern, bummeln und Felix besteht darauf, seine Kindheitserinnerungen im "Candy Bear's Lair" aufzufrischen. Abends erkunden wir den riesigen und wirklich schönen Campground. Und fiebern unserer ersten großen Wanderung entgegen. Maligne Lake, wir kommen!

Oh ja, endlich wandern! So richtig den ganzen Tag raus in die Natur und die Füße zum qualmen bringen. Wir haben so richtig Bock und deshalb zerre ich Felix auch total aufgeregt beim ersten Dämmerlicht aus dem Bett. Wetter? Ist super. Die Wolken verziehen sich und es wird ein absolut toller, warmer Tag. Beste Bedingungen also. Ein ausgiebiges Powerfrühstuck. Planung und Vorbereitung fressen leider mehr Zeit als erwartet und so kommen wir doch erst später los. Egal! Los geht's Richtung Maligne Canyon! Dort angekommen erwartet uns ein voller Parkplatz. So ein Mist! Das nächste Mal dürfen wir echt nicht so lang trödeln. Aber auf dem Weg hinunter zur 4th Bridge - die 5th Bridge ist gesperrt - verlieren wir den Großteil unserer Mit­wanderer. Die scheu­en wohl den Aufstieg. Die zunehmende Einsamkeit macht die rauschenden Wasserwirbel und bizarren Felsformationen noch eindrucksvoller. Kleidungswechsel zurück auf dem Parkplatz - es ist warm geworden. Zum Maligne Lake!

Auf dem Weg treffen wir zwei vorwitzige Bighorn Sheep, die sich vom Verkehr nicht beeindrucken lassen. Wir passieren den faszinierenden Medicine Lake. Einen längeren Stopp heben wir uns für den Rückweg auf. Das letzte Stück Weg hält eine schöne Überraschung bereit: eine Elchkuh, die abseits der Straße in einem Teich badet. Wir bewundern das Naturschauspiel voller Ehrfurcht und ärgern uns über die bald anhaltenden Touristenbusse und die Blitze aus langen Fotoobjektiven. Wird uns zu bunt, der Elchkuh auch, und wir huschen weiter.

Am Maligne Lake sind wir zunächst ein bisschen - naja, ernüchtert. Der See ist schön, aber so richtig kann ich die ganze Aufregung nicht verstehen. Um den Touristen zu entkommen, wollen wir den Opal Hills Loop Trail wandern. Nach Erkundigung bei ortskundigen Besuchern bestätigt sich unsere Vermutung, dass es ein hartes Stück Arbeit wird. Besonders die Aussagen "you're gonna be in snow much of the time" und "the trail is frequented by grizzlies" lassen uns kurz an unserem Vorhaben zweifeln. "Which one of you is the faster runner?",fragt uns einer der Anwesenden mit einem breiten Grinsen. "I'm afraid that's him", lautet meine Antwort. Der Witzbold klopft mir auf die Schulter: "Don't worry, just kick him in the knee and keep running." Mit diesen Ratschlägen machen wir uns auf zum Trailhead. Dort treffen wir auf eine deutsche Familie, die den Trail auch bezwingen will. Papa mit Baby auf dem Rücken. Naja, dann kann's ja so gefährlich nicht sein.

Puh, der Trail ist wirklich supersteil und anstrengend, aber entgegenkommende Wanderer bestätigen uns, dass sich die Anstrengung lohnt. Von Grizzlies bis jetzt keine Spur. Aber wir sind auf der Hut, da wir auch lange durch dichten Wald laufen. Lautes Unterhalten ist leider unmöglich, aber vermutlich verscheucht unser Gekeuche die Tierchen ebenso zuverlässig. Rund 1,6 Kilometer und 300 Höhenmeter später sind wir dann tatsächlich im Schnee. Macht das Kraxeln bergauf nicht einfacher, führt aber zur ersten Schneeballschlacht dieses Jahres. Im T-Shirt. Schönes Erlebnis. Nach weiteren gut 1,4 Kilometern und fast 200 Höhenmetern an der Baumgrenze angekommen, zerstreuen wir uns auf der Suche nach schönen Aussichtspunkten. Wir finden unseren perfekten Platz und siehe da: Von hier oben ist der Maligne Lake vor Gebirgspanorama echt sehr beeindruckend!

Wir genießen unseren Lunch mit Aussicht und machen uns an den schwierigen Abstieg. Wir sind erstaunt, dass uns noch Wanderer trotz einsetzender Dämmerung entgegenkommen - in unpassendem Schuhwerk. Manche Leute sind halt einfach unvorsichtig. Auf der Rückfahrt nach Jasper machen wir unseren geplanten Halt am Medicine Lake, den wir uns zu dieser Uhrzeit nur noch mit den Fliegenfischern teilen. Der See wirkt tatsächlich, als sei über den Tag noch mehr Wasser in den Karsthöhlen versickert und wir fragen uns unweigerlich, was hier jedes Jahr mit den Fischen passiert. Ich plansche barfuß im kalten Wasser. Der fast leergelaufene See fasziniert uns total und so bleiben wir, bis die Sonne hinter den Bergen verschwindet. Jetzt aber schnell zum Campground, zur wohlverdienten heißen Dusche.

Abends lassen wir uns vom Shuttle nach Jasper bringen, um den Tag mit einem Dinner zu krönen. Die Jasper Brewery lassen wir wegen ihres zu kleinem vegetarischen Angebot links liegen. Dafür genehmigen wir uns Nachos und Burger im benachbarten "Downstream". Sehr empfehlenswertes Restaurant mit supernetter Bedienung. Hier gibt's zwar kein Bier aus Jasper, dafür aber alle Special Editions der "Big Rock" Brewery aus Calgary. Davon holen wir uns auch noch eine Steige im Liquor Store - fürs Campfire nachher. An einem überraschend warmen Abend lassen wir einen anstrengenden aber wunderschönen Tag ausklingen.

Am nächsten Morgen steigen wir in die Gondel auf den Whistlers Mountain. Fur den Fußweg zum Gipfel benötigt der durchschnittliche Hiker vier bis fünf Stunden. Den Rekord hält ein nepalesischer Sherpa, der den Trail in 45 Minuten mit 60 Kilo Gepäck gelaufen ist. Uns reicht heute schon der Aufstieg von der Station zum Gipfel, wo wir das Rundumpanorama genießen. Vor allem die Vogelperspektive auf den nördlichsten Abschnitt des Icefields Parkway nährt unsere Vorfreude. Also, nichts wie los - back on the road!

Zunächst der Abstecher auf die alte Road #93A und zur Mount Edith Cavell Road. Auf der engen, steilen Bergstraße wird uns schon manchmal angst und bange, aber unser vergleichsweise kleiner Camper meistert den Aufstieg trotz Gegenverkehr tadellos. Am Ende des kurzen Path of the Glacier Trail erwarten uns Edith Cavell und Angel Glacier mit zugehörigem Glacier Pond. Bei dem eisblauen Wasser mit den großen Eisschollen fühlt man sich fast ans Polarmeer versetzt. Hier ist einiges in Bewegung, wir sehen und hören Geröll- und Eisabgänge. Einer reißt fast zwei Hiker mit, die sich trotz Sperrung auf den gegenüberliegenden Trail zur Gletscherflanke gewagt haben. Aber auch wir sind etwas leichtsinnig und klettern übers Geröll runter an den Rand des Gletschersees. Die Geröllabhänge kunden von der Gefahr abseits der Wege. Ein großer Eisabgang hatte hier erst 2012 große Teile des Tals überflutet. Deshalb verweilen wir auch nur kurz am Ufer und machen uns dann auf den Rückweg.

Athabasca Falls - sehr schön! Und dann endlich auf den Icefields Parkway! Schon bald schlägt uns die Landschaft in ihren Bann und wir machen gefühlt mehr Fotostopps als Kilometer. Aber so soll's ja auch sein. Unser Wunschcampground am Honeymoon Lake ist bereits geschlossen. Wie erwartet - und doch sind wir enttäuscht. Wir hatten gehofft, dass die Saison des schönen Wetters wegen verlängert wurde. Wir lassen den Camper kurzentschlossen an der Schranke zurück und verbringen eine schöne Zeit am Seeufer - mit Blick auf die wie abgefeilt wirkende Bergkette. Hier wollen wir noch einmal hin!

Weiter zum Wilcox Creek Campground kurz hinter dem Athabasca Glacier. Der Campground am gleichnamigen Pass ist der höchstgelegene RV-Campground Kanadas. Gleich an der Einfahrt hängt ein Hinweisschild an die Camper, Frischwasser noch abends aufzufüllen, da am Morgen niemand für frostfreie Leitungen garantieren könne. Auch die Tanks nicht winterfester RVs sind gefährdet. Na, das kann ja heiter werden. Unser Stellplatz hoch am Hang mit spektakulärer Weitsicht ist schnell gefunden. Zur großen Begeisterung unserer Nachbarn bringt mir Felix heute nicht nur das Holzhacken bei, sondern löst beim Kochen sowohl den Feuermelder als auch den eingebauten Panikalarm aus. Nachdem wir so die Aufmerksamkeit des gesamten Platzes auf uns gezogen haben, bricht dann doch gnädig die Dunkelheit uber uns herein. Unter einem unglaublichen Sternenhimmel erwarten wir die angekündigte Kälte, die aber ausbleibt.

Der Plan, den Wilcox Creek Trail zu laufen und das Columbia Icefield von oben zu betrachten, wird durch mei­ne über Nacht herangeflogenen Halsschmerzen zunichte gemacht. Wir fahren direkt zum Athabasca Glacier. Hier sind wir beide bestürzt - vor allem Felix wird beim Vergleich mit seinen Kindheitserinnerungen der Rückgang des Gletschers überdeutlich. Meine Gesundheit ist inzwischen so weit wiederhergestellt, dass wir den nicht sehr steilen Parker Ridge Trail laufen können. Die Aussicht vom sehr windigen Bergkamm ist unglaublich. Den komplett unerschlossenen Saskatchewan Glacier, einen der drei Arme des Columbia Icefield, finden wir noch viel beeindruckender als seinen berühm­ten Nachbarn. Und auf dem Rückweg gibt's sogar noch eine Murmeltiersichtung!

Weiter auf den schönsten Abschnitt des Icefield Parkway. Die Landschaft fesselt uns nun völlig! Man ist hin- und hergerissen zwischen visueller Übersättigung und Nicht-Sattsehen-Können. Die Mittagspause verbringen wir am Ufer des Lower Waterfowl Lake. Vor einem Bad kneifen wir. Nur die Füße abzükuhlen kostet Überwindung. So ein schöner Campground, aber leider in der Off-Season geschlossen. Wir wären gern hier geblieben.

Für Bow Summit und Peyto Lake scheint unser Timing nicht zu passen - ganz schön was los hier. Am Peyto Lake selbst beeindruckt uns aber die grandiose Weitsicht. Wir beschließen, heute noch bis Lake Louise zu fahren. Hier ergattern wir einen Stellplatz für zwei Nächte. Wir genießen die letzten Sonnenstrahlen und stellen uns später im Bett vor, wie Bären den Camper umstreichen. Davon gibt's hier nämlich viele. Neben den Erinnerungen ist uns von diesem Tag dann noch ein Sonnenbrand im Gesicht geblieben. Selbst Schuld, wer sich auf über 2000 Metern bei Sonne und wolkenlosem Himmel nicht eincremt.

Nach einer unruhigen Nacht - Felix machen die vorbeirauschenden Zuge zu schaffen, mir eher das Pilotprojekt Heizung bei Nacht - stehen wir früh auf, um möglichst als erste am Lake Louise einzutreffen. Der Plan geht auf. Im frühen Morgenlicht rollen wir auf den leeren Parkplatz. Ich muss zugeben, dass der See wirklich beeindruckt. Den Hype um ihn kann ich mehr als verstehen. Eingefasst zwischen zwei Bergen und dem ihn speisenden Gletscher liegt er spiegelglatt im Morgenlicht. Als die ersten Busse eintreffen, wandern wir auf dem Weg am See entlang. Die hintere, zwischen den Bergen eingekeilte Spitze des Sees mit ihrem kleinen "Strand" aus Schlitt gefällt mir noch besser.

Wir machen uns an den Aufstieg zum Plain of Six Glaciers Trail, der uns völlig begeistert. Als wir aus den bewaldeten Abschnitten an die kahle Felswand kommen, erwartet uns eine Riesenüberraschung: Mountain Goats (Schneeziegen)! Eine ganze Familie friedlich am Wegesrand grasend und eine weitere oben an der Felswand. Wir sind hin und weg, denn die weißen, flauschigen Gesellen wollten wir unbedingt sehen. Weiter geht es auf dem zunehmend schwieriger werdenden Pfad zum Viewpoint. Auf dem letzten Stück verschwindet der Trail in einem Geröllabhang und wir beneiden alle Hiker mit Wanderstöcken. Aber die Mühe lohnt sich: Die wohlverdiente Pause mit Aussicht auf die umliegenden Gletscher und den Abbots Pass ist spektakulär. Und tief unten funkelt der See. Ach ja, die Geschichte über die Abbots Hut, die Schutzhütte am höchsten Punkt des Passes: Für ihre Konstruktion Anfang des 20. Jahrhunderts sind extra Bergführer aus der Schweiz eingeflogen worden.

Plötzlich ein massiver Schneeabgang am Hang gegenüber - auch hier sind die Gletscher in Bewegung. Auf dem Rückweg kommen wir mit einem Ehepaar aus Washington ins Gespräch. Die Frau beeindruckt uns mit ihrer Begeisterung fürs Wandern trotz doppelter Knie-OP und künstlichem Gelenk. Sie meint, man müsse Dinge halt einfach tun und wenn's ein bisschen zwickt, dann solle man das hinnehmen. Diese Einstellung imponiert uns und spornt uns an auf dem anstrengenden Aufstieg zum Big Beehive. Wir werden mal wieder mit einer Rast vor grandioser Aussicht belohnt. Die bettelnden Chipmunks (Hörnchen) und Greyjays (Häher) lassen wir abblitzen, was zumindest seitens der Vögel mit lautem Gemecker quittiert wird. Höhepunkt ist ein in etwa zwei Metern Entfernung vorbeiziehender Adler auf Beuteflug. So nah habe ich noch nie einen gesehen! Der Anblick macht auch dem Betteln der Chipmunks ein Ende. Blitzartig verschwinden sie. Nach Eintrag ins Geo Cache Logbuch steigen wir ab zum schönen Lake Agnes, wo sich der Schnee tapfer hält. Über den Mirror Lake geht es zurück zum Lake Louise. Heute Nacht wird es auf dem Campground so richtig zippe zappe duster. So, dass man die eigene Hand nicht vor Augen sieht. Irgendwie schaffen wir es, uns gegenseitig mit unserer Bärenangst verrückt zu machen. Jeder Weg aus dem Camper wird trotz Außenbeleuchtung zur Nervenprobe. Fast beneiden wir die Zeltcamper um den Elektrozaun um ihr Areal.

Heute besuchen wir den nicht mehr ganz so heimlichen Star des Banff Nationalparks. Der Moraine Lake soll ja mittlerweile fast beliebter sein als der Lake Louise und das bekommen wir auch zu spüren. Aufgehalten vom fehlenden Wasser an der Dumpingstation erreichen wir den See viel zu spät und parken frech abseits der RV-Parkplätze. Heute wollen wir auf dem Sentinel Pass Trail wandern und hoffen, Mitwanderer zu finden. Denn hier ist wirklich Grizzlygebiet und das Wandern in Gruppen unter vier Leuten ist verboten. Zum Glück treffen wir ein Paar wieder, das schon auf dem Mount Whistler ein Foto von uns geschossen hat. Annika und Gus aus London wandern mit uns. Es geht hinauf durch dichten Wald bis zu einer Ebene mit grandioser Aussicht auf die Ten Peaks. Dann weiter durch einen Märchenwald aus Lärchen, die jetzt in voller gelber Pracht stehen. Oben angekommen, erwartet uns ein alpines Tal mit zwei schönen Seen. Und der Rest des schmalen Trails - an der Felswand entlang. Am höchsten Punkt des Trails genießen wir die Aussicht auf das Paradise Valley und die Berge. Wir sind stolz auf die 725 geschafften Höhenmeter. Auf dem Weg nach unten wird's nochmal anstrengend für die Knie - ich rutsche aus und fast den Abhang runter. Das ist gerade nochmal gut gegangen. In Deutschland hätte dieser Trail bestimmt ein Geländer und 100 Warnschilder. Aber kanadische Trails sind eben ohne doppelten Boden, und das gefällt uns sehr gut.

Zurück am Ufer des Moraine Lake verabschieden wir uns von unseren Wanderpartnern und fahren über den Bow Valley Parkway Richtung Banff. Wir erwarten, dass jeden Moment ein Grizzly aus dem dichten Wald am Straßenrand auftaucht. Das wurde uns jetzt auch viel besser gefallen als noch vor ein paar Stunden auf dem Trail. Aber Meister Petz macht sich rar. Der Johnston Canyon Campground ist auch bereits geschlossen, deshalb fahren wir direkt nach Banff. Leider entpuppt sich der Tunnel Mountain Village Campground als Enttäuschung. In Reih und Glied stehen die RVs hier auf Asphalt. Am störendsten ist die Nachtbeleuchtung, die jedes Wildnisfeeling zunichte macht. Wenigstens muss man sich hier nicht vor nächtlichen Bärenubergriffen gruseln. Auch das schöne Bergpanorama, eine saubere Dusche und die warme Nacht am Lagerfeuer können uns weiter besänftigen. Trotzdem werden wir hier wohl nur eine Nacht bleiben.

Ach Banff! Traumhaft gelegen. Größer und mon­däner als Jasper. Gefällt uns gut. Hier leben die Touristen in uns auf. Wir kaufen T-Shirts und lassen uns treiben. Die schönste Erinnerung an Banff ist die an die "The Wild Gallery & Gifts", welche ausschließlich Fotografien des kanadischen Naturfotografen Jason Leo Bantle ausstellt und verkauft. Wir verbringen hier eine Ewigkeit, überaus nett beraten von der Galeristin, die zu jedem Motiv und abgebildeten Tier etwas erklären kann. Wir ziehen weiter - mit schweren Taschen und leichten Geldbeuteln - und schauen uns das Banff Springs Hotel an. Schön, aber wir ziehen unseren Camper dem Luxus vor.

In den Camper müssen wir bald flüchten, denn es beginnt zu schütten wie aus Eimern. Wir beschließen, bereits heute in den Yoho Nationalpark zu fahren. Die letzte Etappe unserer Wanderreise durch die Rockies. Noch im Banff Park beeindruckt uns die ursprüngliche Land­schaft mitten am Transcanada Highway. Undenkbar an einer deutschen Autobahn. Und auch die Brücken für Wildtiere finden wir clever. Die Spiral Tunnels im Yoho Park sind leider durch dichten Regen kaum zu erkennen. Dafür ergattern wir noch einen schönen, ruhigen Platz auf dem schon gut gefüllten Kicking Horse Campground.

Beim Aufwachen ein Déjà-vu unserer Ankunft in Jasper: Regen, Regen, Regen. Wir lassen uns viel Zeit. Als es aber gegen Mittag kein Stück besser wird, fahren wir los. Zu den Takkakkaw Falls, in deren Nähe wir ja vermutlich eh nass geworden wären. Auf dem Weg beobachten wir, wie riesige Wohnmobile die enge Straße rückwärts herunter manövrieren mussen. Ein Glück, dass wir minimalistischer unterwegs sind. Unser Truck Camper passt zu uns!

Von den Takkakkaw Falls sind wir sehr beeindruckt. Und es gibt ein großes "Hallo!". Wir stehen neben Annika und Gus, unseren Wanderpartnern vom Sentinel Pass. Das riesige Kanada kann manchmal so klein sein! Die beiden fliegen morgen wieder nach Hause und wir tauschen uns aus über die Dinge, die wir gesehen haben und was für den nächsten Urlaub aufgehoben werden muss. Schnell kommt unser Gespräch auf den berühmten Lake O'Hara. Dank "Quotenregelung" bekommen ihn ja nicht viele zu Gesicht. Auch wir haben den Besuch nicht eingeplant, da wir nicht genau wissen konnten, wann wir hier sind. Als die beiden uns aber erzählen, dass man nicht nur mit dem zu reservierenden Shuttlebus, sondern auch zu Fuß hinkommen kann, sind wir angefixt. Aber so richtig.

Wir verabschieden uns herzlich und machen uns zunächst auf den Weg zur Natural Bridge. Hier haben wir einen wunderschönen Moment ganz für uns allein. Am Emerald Lake erwartet uns ein spektakuläres Panorama und nachlassender Regen. Mutter Natur gibt ihr Bestes. Gerade als wir den Rundweg um den See starten, reißt der Himmel ein Stück auf und schenkt uns den perfekten Regenbogen. Wir haben noch nie einen schöneren gesehen. Und gerade als wir denken, es könne nicht besser werden, beginnen die Farben sich im See zu spiegeln und es entsteht ein perfekter, elliptischer Regenbogen. Wir sind mit unserer Begeisterung nicht allein - ein paar Schritte weiter ertönen die Begeisterungsschreie einer japanischen Reisegruppe, die sich gar nicht wieder einkriegen kann. Wir bestaunen das Schauspiel noch, bis die Farben verblasst sind und genießen dann die Stille und Einsamkeit auf dem Rundweg.

So viele schwierige Trails in den vergangenen Tagen und ausgerechnet hier erwischt es mich. Der Matsch ist meine Nemesis. Ich rutsche auf einer glitschigen Holzplanke aus und es haut mich längs auf den Rücken. Volle Breitseite. Danach sehe ich aus wie aus einem B-Horrormovie. Nach diesem Erlebnis hat keiner von uns mehr Lust, sich hinter den Herd zu klemmen. Im Camper mache ich mich halbwegs gesellschaftsfähig und wir dinieren in der noblen Emerald Lake Lodge. Man gönnt sich ja sonst nichts. Wir würden auch wiederkommen, allein schon für den guten Wein, das selbstgebackene Brot und den unglaublichen Nachtisch. Das Abendessen gibt Raum, über unsere Wanderpläne zum Lake O'Hara zu diskutieren. 11 Kilometer laufen bis zum See. Und dort noch mehr zu laufen. Auf kurzfristig freiwerdende Plätze im Shuttle-Bus hoffen wir nicht wirklich, da morgen Samstag ist und das Wetter phänomenal werden soll. Der Plan ist eigentlich vollig bekloppt und vielleicht ist es der Wein, der mich zur Selbstüberschätzung verleitet. Aber ich beschließe, dass wir den See auf jeden Fall sehen müssen. Wer weiß, wann wir wiederkommen. Also zurück zum Campground. Denn morgen heißt es: Der frühe Vogel... naja, ihr wisst schon. Lake O'Hara, you better be worth it!

Um 6.15 Uhr reißt uns der Wecker aus dem Schlaf. Verpflegungspakete gepackt und los geht's! Auf dem Parkplatz bestätigt sich unsere Vermutung: Kein Platz im Bus. Macht nichts. Im Schlepptau von drei fröhlichen Japanern machen wir uns auf den Weg. Wir sind die einzigen Wanderer auf dem breiten Weg und folgen ihm durch dichten Wald und vorbei an moorahnlichen Lichtungen. In der Ferne leuchten die Berge in der Morgensonne. Die­ser Anblick und die aufsteigend zählenden Kilometermarker spornen uns an. Um 10.30 Uhr ist es geschafft, wir erreichen den Campground an der Straße. Die Camper scheinen von unserer Leistung beeindruckt und wir sind mächtig stolz. Wir folgen einem kleinen Trail durch dichten Wald zum Seeufer und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Lake O'Hara ist atemberaubend schon! Der Weg hat sich schon jetzt gelohnt.

Als wir eine Gruppe mit Kletterausrüstung bemerken, wer­den wir misstrauisch. Nein, wir sind ausreichend ausgerüstet. Die Kletterer wollen den Abbots Pass besteigen - hinauf zur Abbots Hut. Moment mal - Abbotts Hut? Ja genau, die Schutzhütte, die wir vor vier Tagen vom Plain of Six Glaciers aus bewundert hatten. Wie gesagt, die Rockies sind klein! Wir nutzen die Gelegenheit, uns hier Wanderstöcke auszuleihen und machen uns an den Aufstieg zum Alpine Circuit, den der wanderbegeisterte Autor unseres Reiseführers als einen der besten Hikes in den Rockies ankündigt. Wir sind gespannt.

Der 17-Kilometer-Rundweg setzt sich aus den Teilstrecken Wiwaxy Gap, Lake Oesa, Yukness, Opabin Plateau und All Souls' Prospect zusammen. Heute wird es so richtig anstrengend und fordernd. Wir haben Glück und finden einmal mehr nette Wanderpartner, die seit über zehn Jahren hierher kommen und uns mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ohne deren Hilfe hatten wir uns wohl ein bisschen schwerer getan, vor allem beim Überqueren der Boulderfelder. Gar nicht so leicht, den Trail hier nicht zu verlieren. Und es ist auch nett, ein paar Bilder von uns beiden zu haben, die nicht aus der leidigen Selfie-Position geschossen sind. Für unsere Anstrengungen werden wir belohnt. Mit spektakularen Hohenpanoramen, Gletschern, spiegelklaren Seen und Pikas, kleinen mausähnlichen Bergbewohnern - uns erinnern sie an Chinchillas.

Schreckmoment bei der Rast am Lake Oesa: Am Berg gegenüber ereignet sich ein massiver Steinschlag. Der Lärm ist ohrenbetaubend. Wir sind besorgt und hoffen, dass niemand verletzt wurde. Und dass die Straße frei geblieben ist. Obwohl, es gibt schlimmere Orte, an denen man festsitzen kann. Wir wandern über das Opabin Seenplateau zurück zum Lake O'Hara und genießen die Abendstimmung am See. Einmal mehr kommen wir mit vielen spannenden Menschen ins Gespräch: Passüberquerern, Gletscherwanderern, Weltreisenden. Der Steinschlag hat die Straße verfehlt und es gibt keine Verletzten. So kön­nen wir zufrieden im alten Bus den Rückweg antreten.

Ganz voll mit Eindrucken von tollen Orten und tollen Menschen. Mit Wehmut geht es unserer letzten Woche entgegen, die uns zum Abschluss der Reise wieder zurück in Richtung Vancouver führen wird. Todtraurig werde ich schon bald mit ansehen, wie unser Truck Camper von einem Fraserway-Mitarbeiter vom Platz gefahren wird. Aber es bleiben so viele unvergessliche Eindrucke. Und eine Gewissheit: Rockies, wir kommen wieder!